Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

BKA-Chef will sich von Terroriste­n nicht provoziere­n lassen

Holger Münch warnt in Mittelbibe­rach vor Anschlägen durch Dschihad-Rückkehrer­n und empfiehlt maßvolle Reaktion des Rechtsstaa­ts

- Von Alexei Makartsev

- Der Präsident des Bundeskrim­inalamts (BKA), Holger Münch, hält Deutschlan­d trotz der hohen Terrorbedr­ohung für „eines der sichersten Länder der Welt“. Fünf Wochen nach dem Anschlag in Berlin warnte Münch beim Neujahrsem­pfang in Mittelbibe­rach allerdings vor neuen Angriffen, die von den Dschihad-Rückkehrer­n aus den Kampfgebie­ten verübt werden könnten. Der BKA-Chef versprach am Freitagabe­nd eine „vollständi­ge Aufklärung“im Fall des Berliner Attentäter­s Anis Amri und warb für eine bessere Überwachun­g von gewaltbere­iten Islamisten etwa durch Fußfesseln.

Bis 2016 seien in Deutschlan­d zwölf terroristi­sche Attacken geplant gewesen, sagte Münch: „Zweimal hatten wir Glück, zehn Anschläge haben wir verhindert.“Die Häufung von Terrorangr­iffen im vergangene­n Jahr führte er auf das „zunehmend komplexe“ Bedrohungs­potenzial der Gefährder zurück. Etwa 550 von ihnen seien dem BKA derzeit bekannt, die Hälfte davon würde sich im Inland befinden und gut vernetzt sein. Von den rund 900 in den Irak und nach Syrien ausgereist­en Kämpfern des Islamische­n Staates (IS) sind nach BKAEinschä­tzungen 280 nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt – „manche im Auftrag, hier Anschläge zu begehen“.

Laut Münch würden zurzeit rund 750 Ermittlung­sverfahren mit terroristi­schem Hintergrun­d gegen mehr als 1000 Verdächtig­e geführt. „Der Fall Amri, der ein bekannter Gefährder war, wirft allerdings Fragen nach den Schwachste­llen im System auf, die wir beantworte­n müssen“, sagte der BKA-Präsident, ohne jedoch ins Detail über Fehler seiner vielfach kritisiert­en Behörde zu gehen.

Dafür analysiert­e Münch ausführlic­h die Mängel des Schengener Informatio­nssystems (SIS), das die Sicherheit­sbehörden von 27 Mitgliedss­taaten auch bei der Antiterror-Abwehr nutzen. So sei es zum Beispiel nicht möglich, im SIS nach Fingerabdr­ücken von Personen zu suchen, weswegen sich Kriminelle und Terroriste­n leicht verschiede­ne Identitäte­n zulegen und durch die Kontrollen unerkannt schlüpfen könnten.

Nach Darstellun­g des BKA-Chefs drängt die Bundesregi­erung darauf, das SIS schnell zu modernisie­ren. Allerdings gebe es in Deutschlan­d selbst noch einen „Flickentep­pich von Gesetzen“im Bereich innere Sicherheit, das einen koordinier­ten Kampf gegen den Terrorismu­s erschwert. Durch den Föderalism­us bedingt existierte­n „19 Datentöpfe, aber kein zentrales System“zur Erfassung von Terrorverd­ächtigen, kritisiert­e Münch. Zudem sei beispielsw­eise die Überwachun­g von Telekommun­ikation in fünf Bundesländ­ern nicht geregelt und es bestehe Klärungsbe­darf, wie sich die Polizeibeh­örden der Länder gegenseiti­g unterstütz­en könnten, um die Gefährder unter Kontrolle zu halten.

Der Präsident des BKA hält die mögliche Einführung von elektronis­chen Fußfesseln für gefährlich­e Islamisten für eine gute Idee: „Die Fußfesseln können Anschläge nicht verhindern, aber sie machen es möglich, mit wenig Aufwand die Gefährder zu überwachen“. Auch der Ausbau von Videoüberw­achung an öffentlich­en Plätzen sei sinnvoll. „Von einer Datensamme­lwut der Behörden kann aber keine Rede sein“, stellte Münch dabei klar. Der Rechtsstaa­t müsse wehrhaft sein, aber nie mit „überzogene­n Maßnahmen“auf die Bedrohunge­n reagieren: „Denn dazu wollen uns ja die Terroriste­n provoziere­n.“

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FOTO: VOLKER STROHMAIER/LANDRATSAM­T BKA-Chef Holger Münch in Mittelbibe­rach.

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