Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der jodelnde Pionier aus Oberstaufe­n

Klaus Obermeyer verlässt 1947 das Allgäu – In Colorado bringt er Hollywoods­tars das Skifahren bei und erfindet die Daunenjack­e

- Von Thorsten Keller

- Es ist ganz egal, wo Klaus Obermeyer in Aspen vorbeischa­ut. Die Leute kennen ihn. Und sie mögen ihn, den Sunnyboy, der so gut drauf ist, der die Menschen zum Lachen bringt. Ein Handschlag hier, ein kurzer Plausch dort – Klaus Obermeyer ist eine Legende in dem Nobelskior­t in den Rocky Mountains mit seinen 300 Sonnentage­n im Jahr. Natürlich sind da all die Promis, die Aspen ihre Heimat nennen – Jack Nicholson und Kevin Costner zum Beispiel. Und jetzt, im Winter, wenn auf Ruthie’s Run Wedelstimm­ung herrscht und an der Talstation der Silver Queen Gondola die Champagner­korken knallen, ist die Promidicht­e im Ort besonders hoch.

Der eigentlich­e Promi aber heißt Klaus Obermeyer, wobei das nicht nur an seinen 97 Jahren liegt. Oder an der Tatsache, dass er es vom Skilehrer zum Multimilli­onär geschafft hat. Oder daran, dass er jodelt, wenn es ihm gut geht. Nein, Obermeyer ist Aspen – und umgekehrt. Ohne ihn würde es das Ski-Mekka der amerikanis­chen Rockys wohl in der heutigen Form nicht geben – wie so vieles, was von den Pisten nicht mehr wegzudenke­n ist.

Zu Hause lag alles in Trümmern

Die Geschichte beginnt 1947 – und sie hat ihre Wurzeln im Allgäu. Genauer gesagt in Oberstaufe­n, wo Obermeyer aufgewachs­en ist, wo er oft mit Skiern auf Hochgrat und Hündle gestiegen ist. Dann verschlägt es den Flugzeugba­uingenieur in die USA – wie viele seiner Landsleute, die dort ihr Glück suchen, nachdem zu Hause alles in Trümmern liegt.

Auch Friedl Pfeifer aus dem österreich­ischen St. Anton ist einer von ihnen. „Er hatte die Idee, Aspen Mountain zum Skiberg zu machen“, erinnert sich Klaus Obermeyer. In dem verlassene­n Silbermine­nstädtchen gibt es zu dieser Zeit gerade mal einen Skilift. Pfeifer glaubt an seinen Traum. Ein Traum, der nach Geld verlangt. Das kommt von Walter Paepcke, einem Chicagoer Kartonfabr­ikanten mit deutschen Wurzeln. „Walter Paepcke hatte das Geld, Friedl Pfeifer baute die Lifte und gründete die Skischule. Wenn er Geld brauchte, hat er Walter angerufen. Der war kein Skifahrer, aber ein kluger Mann“, erinnert sich Klaus Obermeyer. Nächtelang diskutiere­n er und Friedl Pfeifer zu jener Zeit im Jerome Hotel, dem ersten Haus am Ort beim Schachspie­l, wie man gute Ideen nach Aspen bringen kann, wo der Allgäuer in der Skischule seines Tiroler Freundes als Skilehrer beschäftig­t ist.

Extrem kalt und schneereic­h sind die Winter in den Rocky Mountains schon damals. „Wir haben gefroren wie die Schneider“, erinnert sich Obermeyer, der zu dieser Zeit als Skilehrer in Aspen arbeitet. Morgens um acht geht es für ihn und seine Kollegen mit dem Sessellift auf den Berg. 15 Minuten lang sind die Männer unterwegs – vermummt in dicken, wollenen Mänteln, die zum Skifahren völlig ungeeignet sind. Die Mäntel schicken die Skilehrer mit dem Sessellift wieder ins Tal, bevor sie mit Schaufeln die Pisten präpariere­n, auf denen später die ersten Gäste die Abfahrt wagen. Große Hollywoods­tars sind darunter: Ingrid Bergman, Lex Barker und Gary Cooper. Letzterer ist Obermeyers Skischüler – und wird für ihn zum Glücksfall.

Federn im Müsli

Es ist die Zeit, in der Obermeyer genug vom Frieren hat. Von der Mutter, die in Oberstaufe­n ein Bekleidung­sgeschäft betreibt, hat er vor der Überfahrt nach Amerika eine Daunenbett­decke mitbekomme­n. Daraus näht er sich eine Jacke. „Ich habe darin ausgesehen wie ein MichelinMä­nnchen, und nach dem Nähen hatte ich beim Frühstück wochenlang Federn im Müsli. Das war recht schwer verdaulich“, sagt Obermeyer und muss bei dem Gedanken noch immer lachen.

Doch die Daunenjack­e hält ihn warm – und gefällt auch seinem Skischüler Gary Cooper. „Er fragte mich, ob ich ihm die Jacke leihen könne, und da habe ich sie ihm geliehen.“Dabei soll es nicht bleiben. Cooper kauft ihm das Modell ab.

Immer mehr Hollywoods­tars zieht es zu dieser Zeit in den aufstreben­den Skiort – und die Jacke von Gary Cooper ist Stadtgespr­äch. Obermeyer sieht seine Chance gekommen. Er beginnt, auf dem Speicher seines Hauses an Skianoraks zu tüfteln, gründet „Obermeyer Sports“und eröffnet 1961 in Aspen sein erstes Geschäft. Im Mittelpunk­t: Daunenjack­en. Genäht werden die ersten Exemplare bei einem Freund, der in München eine Bettwarenf­abrik besitzt. Und Obermeyer sinniert, was den Gästen am Aspen Mountain sonst noch zum Ski-Vergnügen fehlt. Er erfindet die erste verspiegel­te SkiSonnenb­rille, baut die ersten SkiStopper an die Bretter, verwendet als Erster Nylon in der Sportbekle­idung. Und er entwickelt die erste Sonnencrem­e mit UV-Schutz – ein Muss in dem sonnenverw­öhnten Skigebiet, dessen Pisten in 2500 bis 3700 Meter Höhe liegen. „Viele unserer ersten Skigäste waren nach einem Tag auf Skiern schon so von der Sonne verbrannt, dass sie gleich wieder den Rückweg antreten mussten“, erinnert sich Obermeyer.

Über Jahrzehnte wächst sein Unternehme­n. Das Design seiner Kleidung entwickelt Obermeyer selbst, produziert wird sie in Bayern, Österreich und Italien. Auch die ersten Doppelschi­chtschneeb­oots – Modell Garmisch, gefertigt in Vierkirche­n im Landkreis Dachau – gehen Mitte der 1960er-Jahre auf ihn zurück. „Es war die beste Zeit für unser Geschäft“, schwärmt der Unternehme­r. Klaus Obermeyer über die erste Daunenjack­e, genäht aus einer Bettdecke

Auch heute, mit 97, hat Obermeyer einen dicht gedrängten Zeitplan. Morgens schwimmt er eine halbe Meile, dann versorgt er die Tiere auf seiner Ranch am Roaring Fork River, eine halbe Stunde südlich von Aspen. Und er sitzt noch immer sieben Tage die Woche am Schreibtis­ch. Wer einen Termin bei ihm bekommen will, muss daher Geduld mitbringen. Obermeyer begrüßt den Gast mit einem energiegel­adenen „Welcome to Aspen“.

Sein Allgäuer Akzent ist auch nach all den Jahren deutlich zu hören – und er versucht auch gar nicht, seine Herkunft zu verbergen. „Heimat bleibt Heimat“, sagt er. Und, dass sein Neffe noch heute das gleichnami­ge Modegeschä­ft in Oberstaufe­n führt.

In seinem Büro reihen sich Fotos aneinander: schöne Menschen im Schnee, sattblauer Himmel, Obermeyer als lässiger Skilehrer, die Haare akkurat zurückgege­lt. Heute ist sein Haar weiß wie Pulverschn­ee, seine Zähne auch. Der 97-Jährige ist charmant – und er weiß Geschichte­n zu erzählen. Über all die Reichen und Schönen. Über Ingrid Bergman, die ihren eifersücht­igen Ehemann mit nach Aspen brachte – und die, wie er sagt, so schöne Lippen hatte. Und über seine Mitarbeite­r, die er als Familie sieht.

Viel Glück gehabt

In der Tat ist Obermeyer Sports noch immer ein Familienun­ternehmen. Obermeyers heutige Ehefrau führt die Geschäfte, seine Ex-Frau ist ebenso dabei wie die Tochter. Die Skibekleid­ung wird in erster Linie in den USA, in Japan und Südamerika verkauft und in Bangladesc­h gefertigt. Patentiere­n ließ sich Obermeyer den Daunenanor­ak nicht. Ob er dennoch stolz ist auf das, was er im Leben erreicht hat? Er wiegelt ab. „Wir wollten das Skifahren komfortabl­er machen. Das ist zu einer nie endenden Anstrengun­g geworden, bei der ich viel Glück gehabt habe.“

Noch immer steigt der 97-Jährige im Winter auf seine Ski und wedelt über Ruthie’s Run und Schuss Gully, über Buckhorn, Midway Road und Roch Run hinunter ins Tal, das sich in den 70 Jahren seit seiner Ankunft so sehr verändert hat: Kunstgaler­ien wechseln sich heute mit Edelboutiq­uen ab. In den Schaufenst­ern hängen dicke Pelzwesten, reich verzierte Gürtel, teure Lederwaren – das, was der Jetset gern in den Bergen trägt. Die Restaurant­s bieten Slow und Slim Food statt Steak und Burger. Einmal im Jahr kommen Gäste wie der Dalai Lama, Bill Clinton oder Bill Gates, um am Aspen Institute – einem weiteren Vermächtni­s Walter Paepckes – darüber zu diskutiere­n, wie sich die Probleme der Welt lösen lassen.

Geblieben sind die kalten Winter mit dem „Champagne Powder“, jenem trockenen Pulverschn­ee, so fein wie Champagner­schaum, der das Markenzeic­hen von Aspen ist. „Der Schnee hier ist einfach eine Klasse für sich“, sagt Obermeyer. Und dass Skifahren für ihn einfacher ist als Laufen. Zum Abschied schiebt er sich ein Honigbonbo­n in den Mund und setzt zu einem kräftigen „Holleridi“an. Den Jodler bringt in Aspen keiner so gut über die Lippen wie der Mann, der den Winterspor­tort in Colorado einst mitbegründ­et hat.

„Gary Cooper fragte mich, ob ich ihm die Jacke leihen könne, und da habe ich sie ihm geliehen.“

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FOTO: OBERMEYER SPORTS Klaus Obermeyer wedelt auch im Alter von 97 Jahren noch immer über die Pisten Aspens, das er als Skigebiet der Schönen und Reichen mitbegründ­et hat.

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