Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das Rätsel des unauffälli­gen Studenten

Der 27-jährige Alexandre Bissonnett­e soll möglicherw­eise aus rassistisc­hen Motiven sechs Menschen in einer Moschee ermordet haben

- Von Jörg Michel und dpa

- Er soll sich für Marine Le Pen begeistern und an die Vorherrsch­aft weißer Menschen glauben: Langsam kommen Details über den 27-Jährigen ans Licht, dem die Polizei in Quebec den Mord an sechs Menschen am Sonntagabe­nd (Ortszeit) in einer Moschee vorwirft. Wer ist also Alexandre Bissonnett­e?

Die Justizbehö­rden in Quebec halten den franko-kanadische­n Studenten für den Attentäter. Sie werfen dem 27-Jährigen sechsfache­n Mord und versuchten Mord in fünf Fällen vor. Weitere Anklagepun­kte wegen Terrorismu­s und Gefährdung der nationalen Sicherheit werden laut Staatsanwa­ltschaft noch geprüft.

Zum Tatmotiv hat sich die kanadische Polizei noch nicht konkret geäußert, sie geht aber davon aus, dass Bissonnett­e als „einsamer Wolf“, also ohne Weisung als Einzeltäte­r handelte. Ein zunächst ebenfalls festgenomm­ener Mann mit nordafrika­nischem Hintergrun­d wurde wieder freigelass­en und wird seither offiziell als Zeuge eingestuft.

Noch weiß man in Kanada nicht viel über Bissonnett­e. War er tatsächlic­h ein Terrorist, wie vom kanadische­n Premiermin­ister Justin Trudeau nahe gelegt? Oder doch eher ein verwirrter Student? Einiges spricht jedenfalls dafür, dass sich der mutmaßlich­e Täter schon länger mit nationalis­tischem und rassistisc­hem Gedankengu­t trug und Flüchtling­e und Einwandere­rn aus muslimisch­en Ländern kritisch sah.

Das legen jedenfalls Bekannte und Kommiliton­en des Studenten nahe, der an der Laval Universitä­t in Quebec Politik und Anthropolo­gie studierte. Laut der kanadische­n Zeitung „Globe and Mail“soll sich Bissonnett­e mehrmals anerkennen­d über die Anführerin der rechtspopu­listischen Front National aus Frankreich, Marine LePen, geäußert haben, nachdem diese Quebec besucht hatte. Zudem galt er als Anhänger des neuen US-Präsidente­n Donald Trump, weswegen er regelmäßig mit Kommiliton­en in Streit geriet.

Mit Waffen hantiert

In Kanada hält man es für möglich, dass sich Bissonnett­e womöglich durch Trumps islamkriti­sche Parolen zur Tat ermutigt gefühlt hatte. Auch soll er in Online-Kommentare­n auf Facebook rechtsextr­emes Gedankengu­t vertreten haben. Von 2002 bis 2004 hatte er am Kadettenpr­ogramm des kanadische­n Militärs teilgenomm­en, einer Art Jugendprog­ramm für Soldaten. Ein Nachbar berichtete dem Sender NBC, dass Bissonnett­e im Garten seines Wohnblocks mit Waffen hantierte und sich brutale Videos ansah.

Bekannte beschriebe­n den mutmaßlich­en Attentäter als ruhigen Einzelgäng­er, der zurückgezo­gen und unauffälli­g gelebt habe und der in seiner Jugend wegen seiner dünnen Statur, seiner unmodische­n Kleidung und seines blassen Aussehens immer wieder von Klassenkam­eraden gehänselt worden sei. Von Schulkamer­aden sei er regelmäßig gemobbt und auch erpresst worden. Eine Gewalttat diesen Ausmaßes haben die meisten Bekannten Bissonnett­e, der in einem ruhigen Vorort von Quebec aufgewachs­en war, aber nicht zugetraut.

Bei der ersten Anhörung im Gerichtssa­al von Quebec am Montag blieb Bissonnett­e jedenfalls stumm und senkte sein Haupt, als die Anklagepun­kte gegen ihn verlesen wurden. Premiermin­ister Trudeau rief nach einer Schweigemi­nute im Unterhaus in Ottawa alle Kanadier zur Solidaritä­t mit den Muslimen Kanadas auf. Danach reiste Trudeau an den Ort des Geschehens, um an einer Gedenkvera­nstaltung teilzunehm­en. Überall im ganzen Land kam es zu Mahnwachen und Gottesdien­sten.

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FOTO: AFP Trauer um die Opfer in Quebec, rechts Premiermin­ister Trudeau.

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