Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Sparer werden jetzt systematisch enteignet“
Angesichts anziehender Inflationsraten fordert Ralf-Joachim Götz, Chefvolkswirt der DVAG, ein Umdenken bei Sparern und Notenbankern
RAVENSBURG - Sparbuch, Tagesgeld und Co. werfen wegen der Nullzins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) kaum noch etwas ab. Bisher glich die niedrige Inflation diesen Effekt unter dem Strich aus. Das könnte sich nun ändern, denn die Teuerung zieht an. Mit 1,9 Prozent gab es im Januar dieses Jahres nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes den kräftigsten Sprung seit Juli 2013. Was das für die deutschen Sparer bedeutet erklärt Ralf Götz, Chefvolkswirt der DVAG, im Gespräch mit Andreas Knoch.
Herr Götz, die Inflation in Deutschland zieht wieder an. Was heißt das für Anleger?
Bei Anlagezinsen nahe Null und einer Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent werden die Leute einen richtigen Kaufkraftverlust spüren. Das ist eine neue Situation. Zuletzt war es oft ein Nullsummenspiel: Niedrigen Verzinsungen stand eine ähnlich niedrigere Teuerung gegenüber. Mitunter konnte unter dem Strich noch eine leicht positive reale Rendite erzielt werden. Diese Rechnung geht nun nicht mehr auf.
Was raten Sie Anlegern?
Zunächst einmal, sich intensiver um die eigene Vermögenssituation zu kümmern als bisher und sich dazu beraten zu lassen. Denn viele Sparer werden bei risikolosen Geldanlagen jetzt systematisch enteignet. Deutschland hinkt bei der Rendite auf das Geldvermögen im internationalen Vergleich ohnehin schon hinterher. Der Abstand könnte sich vergrößern und sich langfristig negativ auf den Wohlstand auswirken.
Wie gravierend ist das Problem?
Die Deutschen haben ein Geldvermögen von rund 5,5 Billionen Euro. Ein großer Teil davon liegt auf kaum oder gar nicht verzinsten Spar-, oder Tagesgeldkonten oder wird sogar unter dem Kopfkissen versteckt. Die Bargeldhaltung ist mittlerweile auf rund 160 Milliarden Euro gestiegen. Zwar sparen die Leute im Durchschnitt etwa um die zehn Prozent ihres verfügbaren Einkommens, aber viel zu wenig in solchen Anlageformen, die ordentliche Renditen abwerfen können – wie etwa Aktien oder Aktienfonds. Vor diesem Hintergrund ist das Problem schon gravierend. Warum haben Aktien so einen schweren Stand in Deutschland? Das hat zum einen damit zu tun, dass die Deutschen im Durchschnitt sehr sicherheitsorientiert denken und Aktienkurse schwanken. In der Vergangenheit gab es einzelne Jahre mit vorübergehenden Kursverlusten von mehr als 30 Prozent. Zum anderen haben sich festverzinsliche Wertpapiere in der historischen Betrachtung durchaus ordentlich verzinst. Es gab auch Phasen, in denen Anleihen sogar besser rentierten als Aktien. Für viele, vor allem ältere Anleger, ist es also keine ausgemachte Sache, welche Anlageform die bessere ist. Das könnte sich jedoch ändern.
Warum?
Wir haben seit 1981 meist sinkende Zinsen gehabt, was Anlegern neben attraktiven Kuponzahlungen auch satte Kursgewinne beschert hat. Bei einem Zinsniveau von nahe Null funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr.
Sind Aktien jetzt also die bessere Alternative?
Prinzipiell ja. Beispielsweise ist der Deutsche Aktienindex Dax seit 1988 im Durchschnitt um über 8,5 Prozent pro Jahr gestiegen. Ich glaube zwar nicht, dass man diesen Erfolg eins zu eins in die Zukunft fortschreiben kann. Aber mit einem gut gemischten Aktienportfolio – beispielsweise in einem Investmentfonds – kann man langfristig gute Ergebnisse erzielen.
Gerade hier im Südwesten stehen Immobilien hoch im Kurs ...
In der Tat. Die Quote der Immobilienbesitzer im Südwesten ist deutlich höher als im Bundesdurchschnitt. Das wirkt sich positiv auf die Vermögenssituation der Bürgerinnen und Bürger aus. Allerdings sind die Voraussetzungen, Immobilienvermögen aufzubauen, angesichts örtlich zum Teil extremer Preissteigerungen, für viele Bürger inzwischen sehr herausfordernd geworden.
Muss die Europäische Zentralbank Ihrer Meinung nach reagieren?
Die EZB ist ihrem Mandat zufolge verpflichtet, den Geldwert stabil zu halten. Geldwertstabilität sieht sie bei einer Inflationsrate von nahe zwei Prozent. Nun haben wir dieses Inflationsziel erreicht und die Wahrscheinlichkeit, dass wir dieses Inflationsziel übersteigen, ist nicht gering. Angesichts dessen müsste die Notenbank jetzt ihre Wertpapierkäufe und ihre Zinspolitik auf den Prüfstand stellen.
EZB-Chef Draghi argumentiert, dass es keine überzeugenden Anzeichen für einen Anstieg der Kerninflation gebe ...
Inflation ist immer auch ein sehr persönliches Empfinden und lässt sich nicht allein auf amtliche Statistiken reduzieren. In der Wahrnehmung vieler Bürger sind 2016 beispielsweise Mieten sowie Preise für Nahrungsmittel oder Handwerkerrechnungen deutlich stärker gestiegen als dies mit der offiziellen Jahresinflationsrate von 0,5 Prozent ausgedrückt wird.
In den USA ist die Zinswende bereits eingeläutet. Kann sich die Eurozone davon abkoppeln?
Die Historie hat gezeigt, dass sich Europa nie ganz von den Zinsentwicklungen in den Vereinigten Staaten hat abkoppeln können. Sollte Präsident Donald Trump sein Infrastrukturprogramm umsetzen, werden die USA enorme Mengen an Kapital zur Finanzierung benötigen und Investoren dafür höhere Zinsen bieten müssen. Die Zinsen dürften jenseits des Atlantiks also weiter steigen. Und nebenbei: Mäßige Zinssteigerungen kann die Wirtschaft der Eurozone durchaus verkraften. Das Wirtschaftswachstum war zuletzt kaum geringer als in den USA.