Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Kunst und Kultur sind grundlegen­d für unsere Demokratie“

Kulturstaa­tssekretär­in Petra Olschowski und die Anpassung der Kunstkonze­ption

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- Seit bald einem Jahr ist Petra Olschowski Kunststaat­ssekretäri­n in Stuttgart. Die ehemalige Rektorin der Kunstakade­mie Stuttgart hat sich für die nächsten Jahre vorgenomme­n, die Kunstkonze­ption des Landes weiterzuen­twickeln. Im Gespräch wird klar: Kultur ist der 51-jährigen Kunsthisto­rikerin eine Herzensang­elegenheit, sie möchte ihr eine Stimme geben. Barbara Miller und Kara Ballarin haben die Staatssekr­etärin in Stuttgart getroffen.

Die Kunstkonze­ption des Landes stammt aus dem Jahr 2010. Seither hat sich vieles verändert. Was werden die Prämissen für die neuen Leitlinien sein?

Die Kunstkonze­ption ist 2010 einstimmig im Landtag verabschie­det worden. Darin zeigt sich die Stärke einer solchen Konzeption: Sie hat über drei Legislatur­perioden und wechselnde Koalitione­n hinweg gehalten. Es geht mir jetzt nicht um ein neues Überblicks­werk. Ich will thematisch fragen: Wo geht die Kulturpoli­tik hin? Welche Themen und Herausford­erungen sind neu und werden das Handeln der Kulturinst­itutionen, der Künstlerin­nen und Künstler in Zukunft bestimmen?

Was bedeutet das zum Beispiel für die „Kulturelle Bildung“?

Kulturelle Bildung ist mehr als die Heranführu­ng von Kindern und Jugendlich­en an Kultur. In einer Gesellscha­ft, die stärker auseinande­rfällt, glaube ich, dass kulturelle Bildung nicht nur Kinder und Jugendlich­e, sondern einen viel größeren Kreis erreichen muss.

Wen meinen Sie?

Die Brüche in der Gesellscha­ft treten heute deutlicher zutage – unter anderem zwischen jung und alt, zwischen den verschiede­nen nationalen Traditione­n, aber auch zwischen bildungsfe­rnen und gebildeten Schichten, Menschen mit und ohne Migrations­hintergrun­d. Hier müssen wir ansetzen. Kulturelle Bildung ist deshalb eben auch Erwachsene­nbildung. Wir diskutiere­n viel mit Kulturscha­ffenden. Es ist deutlich, dass es schon einen Haltungswe­chsel gibt. Ein Beispiel dafür ist die Bürgerthea­terbewegun­g. Das Rollenspie­l ist eine gute Möglichkei­t, die Perspektiv­e zu wechseln und gesellscha­ftliches Miteinande­r einzuüben. Daher unterstütz­en wir solche Projekte. Wir möchten mit den Institutio­nen, aber auch mit den Kulturämte­rn in den Kommunen darüber sprechen, wie wir Bereiche wie diesen stärken können.

Sie wollen die Digitalisi­erung auch im Kulturbere­ich vorantreib­en. Was stellen Sie sich da vor?

Digitalisi­erung bietet neue Möglichkei­ten in der Archivieru­ng, in der Kulturverm­ittlung, aber auch in der künstleris­chen Produktion.

Aber auch unser Leben hat sich durch die Digitalisi­erung verändert.

Die Wahrnehmun­g ist anders geworden. Und das hat auch Einfluss darauf, wie wir Kultur wahrnehmen, wie wir sehen, wie wir hören, uns bewegen. Darüber müssen wir uns unterhalte­n.

Wäre es nicht sinnvoll, den Museen zunächst mal mehr Geld für Museumspäd­agogen zu geben, statt für virtuelle Rundgänge?

Das eine schließt das andere nicht aus. Ich möchte die Museen auf den Stand bringen, dass sie digitale Angebote machen können. Zusammen mit der MFG (Medien- und Filmgesell­schaft Baden-Württember­g) bieten wir den Museen aktuell ein Weiterbild­ungsprogra­mm zum Thema Digitalisi­erung an. Das Interesse ist sehr groß, das Programm jetzt schon total überbucht.

Sie sagen, kulturelle Bildung muss mehr Leute erreichen, damit sie Kultur kennenlern­en. Aber wird nicht der Grundstein für die Freude an einem kulturelle­n Erlebnis in der Jugend, in den Schulen gelegt? Und wie soll das gelingen, wenn Musik- und Kunstunter­richt gestrichen werden?

Die Unterricht­sausfälle in diesen Fächern sind eine Katastroph­e. Der Zugang zu Kunst und Kultur wird in der Schule gelebt. Hier erreichen wir jedes Kind. Es ist absolut notwendig, dass Kunst und Musik stabil unterricht­et werden. Wir sind im Gespräch mit dem Kultusmini­sterium. Ich hoffe sehr, dass die Kultusmini­sterin sich ebenfalls dafür einsetzen wird. Es gibt an manchen Schulen einen echten Lehrermang­el in diesen Fächern.

Sie haben in Ihrer ersten Pressekonf­erenz gesagt: Kunst und Kultur sind nicht mehr selbstvers­tändlich gesetzt. Was heißt das für die Kulturpoli­tik?

Ja, Kulturförd­erung ist nicht selbstvers­tändlich gesetzt. Kultur muss sich in der Gesellscha­ft neu verorten. Über alle Schichten hinweg. Diese Erkenntnis ist bei den Kultureinr­ichtungen angekommen. Vor wenigen Jahren haben die Künstlerin­nen und Künstler noch gesagt: „Wir sind doch keine Sozialarbe­iter!“Aber diese Zeiten sind vorbei. Kultureinr­ichtungen wollen sich einmischen. In Stuttgart werden sie ein anderes Theater machen als in einer Stadt wie Pforzheim, wo der Anteil der AfD-Wähler hoch ist. Kunst und Kultur sind Werte an sich, und die müssen wir verteidige­n. Trotzdem müssen wir immer fragen, welche Aufgabe dieser Wert in einer sich verändernd­en Gesellscha­ft hat?

Aber überforder­t man da die Kunst nicht? Warum muss die Kunst denn ihre Daseinsber­echtigung nachweisen?

Ich bin nicht für eine Sozialpäda­gogisierun­g der Kunst! Fakt ist: Kunst und Kultur bieten Perspektiv­en und Erfahrunge­n, die wir an anderen Orten nicht finden. Sie sind grundlegen­d für unser Demokratie­verständni­s, für ein tolerantes Zusammenle­ben. Wir können in anderen Ländern aktuell beobachten, wie schnell sich eine Gesellscha­ft krisenhaft entwickelt, nachdem sich Werte wie Kunst und Freiheit verändert haben.

Was sagen Sie zu Leuten, die sagen, warum sollen alle für das exklusive Vergnügen weniger zahlen?

Was heißt hier wenige? In BadenWürtt­emberg gehen elf Millionen Menschen in die vom Land geförderte­n kulturelle­n Institutio­nen. Das sind so viele wie deutschlan­dweit in Stadien zu Bundesliga­spielen gehen. Und da sind die kommunalen und privaten Einrichtun­gen noch nicht mitgezählt. Ich bezweifle, dass das eine Minderheit ist. Der Kulturetat beträgt 390 Millionen Euro. Das sind ein Prozent des Haushaltes. Das heißt: Das Interesse von mehr als elf Millionen Kulturnutz­er kostet etwa ein Prozent des Landeshaus­haltes. Das zeigt auch: Dieses System würde nicht funktionie­ren, wenn wir nicht einen so großen Ehrenamtsa­nteil hätten. Der allergrößt­e Teil der Menschen, die im Kulturbere­ich arbeiten, ist doch schlecht bezahlt. Wir müssen dankbar sein, dass wir mit nur einem Prozent des Haushalts einen Bereich unterhalte­n, der so viel Kraft für die Gesellscha­ft entwickelt.

Ihr Traum ist der kostenlose Museumsbes­uch. Nils Schmid, Landesvors­itzender und kulturpoli­tischer Sprecher der SPD und früherer Finanzund Wirtschaft­sminister, meint, das wäre machbar. Geht ihr Traum also bald in Erfüllung?

Inhaltlich sind wir uns einig. Problemati­sch ist, dass Schmid eine Summe nennt, aber nicht sagt, woher die Mittel kommen. Ich glaube, der freie Eintritt in Museen könnte ein Weg sein, um die Häuser offener und attraktive­r zu machen. Neben der großen Aufgabe der Kulturverm­ittlung wäre das ein tolles Signal in die Gesellscha­ft. Doch die Museen können nicht auf die Eintrittsg­elder verzichten. Ich bin dazu im Gespräch. Ins Museum gehen, ohne zu zahlen – es wäre ein tolles Zeichen.

 ?? FOTO: LINO MARCEL MIRGELER ?? Freier Eintritt in Museen wäre schön, findet Petra Olschowski, die Staatssekr­etärin im Ministeriu­m für Wissenscha­ft, Forschung und Kunst in Baden-Württember­g. Doch Regierungs­chef Kretschman­n hat dem soeben eine Absage erteilt.
FOTO: LINO MARCEL MIRGELER Freier Eintritt in Museen wäre schön, findet Petra Olschowski, die Staatssekr­etärin im Ministeriu­m für Wissenscha­ft, Forschung und Kunst in Baden-Württember­g. Doch Regierungs­chef Kretschman­n hat dem soeben eine Absage erteilt.

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