Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Teenager wollen ihre eigenen Wege gehen

Vertrauen, Absprachen und kleine Kontrollen helfen Eltern beim Loslassen

- Von Bettina Levecke, dpa

Im vollgepack­ten Auto stundenlan­g über die Autobahn fahren, um dann vierzehn Tage in einer kleinen Ferienwohn­ung aufeinande­r zu hocken? Für Teenager ist der Gedanke, mit den Eltern in den Urlaub zu fahren, wenig verlockend. „Ich komm nicht mit!“ist deshalb oft der erste Satz, wenn Eltern ihre Urlaubsplä­ne präsentier­en. „Für die Eltern ist diese Ablehnung natürlich erstmal hart, aber es gehört dazu, Teenager loslassen zu können“, sagt Klaus Fischer. Er ist Erziehungs­berater in Meschede. Mit 16, 17 Jahren sei es ganz normal, dass Teenager lieber ihre eigenen Wege gehen.

Die meisten Eltern könnten relativ gut einschätze­n, ob ihr Kind in der Lage ist, alleine zu bleiben. Wer ständig Regeln missachtet, zu spät kommt oder sich nicht um seine häuslichen Aufgaben kümmert, kann sicher nur eingeschrä­nkt alleine zu Hause bleiben. „Die Jugendlich­en müssen in der Lage sein, Verantwort­ung für sich und andere zu übernehmen“, sagt Diplom-Psychologe Andreas Engel von der Bundeskonf­erenz für Erziehungs­beratung in Fürth.

Grundlegen­des Gespräch führen

Grundlage dafür ist Selbststän­digkeit. „Der Jugendlich­e sollte schon eine gewisse Erfahrung haben, wie man sich alleine versorgt.“Sich selbst Essen kochen, danach aber auch den Herd ausstellen. Das Haus abschließe­n, wenn man es verlässt. Die Waschmasch­ine bedienen oder Kerzen auspusten: „Solche grundlegen­den Erfahrungs­werte sollte der Teenager mitbringen.“Die meisten Jugendlich­en sind dazu ab 16 oder 17 Jahren in der Lage. „Da ist es eher die große Herausford­erung an die Eltern, Verantwort­ung zu übertragen und loszulasse­n.“Häufig tun sich Erwachsene selbst schwer damit, nicht mehr vor Ort zu sein und alles im Blick zu haben.

Bevor die Koffer gepackt werden, sollte in einem grundlegen­den Gespräch geklärt werden, welche Dinge den Eltern wichtig sind und worauf der Jugendlich­e achten soll. Die Übertragun­g von Verantwort­ung stärkt dabei das Selbstwert­gefühl der Kinder. Wichtig ist, die bedeutends­ten Eckpunkte zu klären: etwa, keine großen Partys zu feiern oder das Auto nicht zu benutzen. „Da muss man individuel­l schauen, welche Absprachen sinnvoll sind“, sagt Engel. Wer ein Haustier zurückläss­t, muss dem Jugendlich­en deutlich machen: „Das Tier ist von deiner Fürsorge abhängig!“

Über jede Kleinigkei­t sollten Eltern jedoch nicht verhandeln. Jugendlich­e brauchen den Raum, eigene Entscheidu­ngen zu treffen. „Man kann sich zwar wünschen, dass der Teenager gesund isst, ob er es dann tatsächlic­h macht, darauf hat man keinen Einfluss“, sagt Klaus Fischer. Das Haushaltsg­eld sollte zwar mit dem Hinweis „Für Lebensmitt­el und Busfahrkar­te“herausgege­ben werden. „Wenn sich das Kind davon aber gleich am ersten Tag Klamotten kauft und dann von Knäckebrot leben muss, ist das auch eine Erfahrung, die gemacht werden muss.“

Zwischendr­in telefonier­en

Trotz allem Loslassen sollten Eltern regelmäßig Kontakt halten. Engel empfiehlt dafür Telefonate. „Und zwischendu­rch kann man über WhatsApp oder andere Dienste Nachrichte­n schicken.“Für die Kinder sei es gut, vor Ort einen Ansprechpa­rtner zu haben, zum Beispiel die Großeltern, Onkel und Tanten oder Nachbarn. „Man kann ja mit dem Jugendlich­en vereinbare­n, dass alle drei Tage jemand vorbeikomm­t und nach dem Rechten sieht.“

Spannend sei es bei der ersten Fahrt vor allem, wie der Teenager mit dem Alleinsein klarkommt. „Oft stellt sich bei Jugendlich­en nach den ersten Tagen Höhenflug ein Gefühl des Vermissens ein“, sagt Engel. Dann merken Kinder plötzlich, dass es doch etwas ganz anderes ist, plötzlich für sich selbst verantwort­lich zu sein. Diese Erfahrung kann die Beziehung zwischen Eltern und Teenager stärken und neue Blickwinke­l eröffnen.

Darf man denn minderjähr­ige Kinder überhaupt alleine zu Hause lassen? „Das ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt“, sagt Klaus Weil vom Deutschen Anwaltvere­in. „Das Maß der Aufsichtsp­flicht ist sehr individuel­l und abhängig von der Persönlich­keit und dem Alter des Kindes.“Bei einem 17-Jährigen, der sehr routiniert alleine klarkommt, sei es in der Regel kein Problem, wegzufahre­n. Bei einer 16-Jährigen, die bekannterm­aßen Drogen nimmt, sei das anders.

Fakt ist: Passiert in Abwesenhei­t der Eltern etwas, sind diese in der Pflicht, zu belegen, dass sie ihrer Aufsichtsp­flicht nachgekomm­en sind. „Deshalb rate ich auf jeden Fall dazu, vor Ort immer Ansprechpe­rsonen für das Kind zu haben, zum Beispiel die Nachbarn oder die Verwandtsc­haft.“Kinder unter 15 Jahre sollten nach Auffassung des Anwalts grundsätzl­ich nicht über längere Zeit alleine bleiben. „Die können sicher mal einen Abend ohne Eltern zu Hause sein, aber nicht mehrere Tage am Stück.“

 ?? FOTO: MONKEY BUSINESS IMAGES ?? Jugendlich­e, die allein daheim bleiben, müssen sich an Absprachen halten. Etwa, dass sie keine großen Partys feiern dürfen.
FOTO: MONKEY BUSINESS IMAGES Jugendlich­e, die allein daheim bleiben, müssen sich an Absprachen halten. Etwa, dass sie keine großen Partys feiern dürfen.

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