Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schüler halten Gedenken wach
Gedenkfeier für die Opfer des Nationialsozialismus in Zwiefalten
- Im mit über 200 Besuchern vollen Festsaal im Konventbau des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) in Zwiefalten wurden zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 2017 klare Worte gesprochen. „Darf sich eine Demokratie auf demokratische Weise abschaffen?“, fragte Professor Dr. Gerhard Längle, Leitender Ärztlicher Direktor im ZfP. Mit Sorge wies er auf die aktuelle Situation, Inhaftierungen, auf politische Entwicklungen, Verfassungsänderung und einen Zustand der Angst in der Türkei hin.
Dr. Bernd Reichelt und Laetitia Gloning berichteten über das Schicksal von 457 Patienten, die 1940 aus der Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau am Niederrhein mit einem Sonderzug in die Region gebracht wurden. 317 Menschen wurden am 7. März in Marbach ermordet. 140 Frauen wurden erst über Zwiefaltendorf nach Zwiefalten gebracht und dann am 2. und 4. April ebenfalls in der Tötungsanstalt in Grafeneck durch Gas ermordet.
Wie auch bei den bisherigen Gedenktagen hatten Schüler der Klasse R10 der Münsterschule ein Projekt ausgearbeitet. Die Lehrer Line Brändle und Christian Sterk haben die Schüler bei ihrem Projekt begleitet. Das Schicksal so vieler Opfer berührte die Schüler. Sie wollen vor diesem dunklen Kapitel der Geschichte die Augen nicht verschließen und verhindern, dass es als vergangen und vorbei abgetan werde.
In einem Aktenordner hatten sie Postkarten und Briefe, die im Zeitraum von 1940 bis 1966 von Angehörigen der Pfleglinge geschrieben worden waren. Die Schüler konnten verstehen, dass Angehörige verärgert und nachdrücklich um Auskunft und Erklärung baten, weil sie nicht über die geheimen Vorgänge informiert waren, die „vertuscht, gelogen und totgeschwiegen“wurden.
Mit pantomimischen Szenen wurde der Lebens- und Leidensweg der 140 Frauen aus Bedburg-Hau nachgezeichnet und zum Erinnerungsweg. Als besonderes Zeichen wurden drei Tafeln mit Kreuzen aufgestellt. Die drei Kreuze trugen die Namen der 138 Frauen, die am 2. und 4. April in Grafeneck ermordet wurden. Aus den Schreiben der Angehörigen und den Antworten der Direktion der Heilanstalt ging hervor, dass die Angehörigen – zum Teil bis 1966 – nicht wussten, was mit ihren Familienmitgliedern passiert war.
Gegen das Vergessen
Die Schüler hatten selbst Antwortbriefe an die Angehörigen verfasst. Dabei sei es sehr schwer gewesen die Briefe zu formulieren. Sprachlos und erschüttert über die unmenschliche Behandlung schrieben die Schüler von Trauer und versuchten Trost durch Gedenken auszudrücken. Mit der Verteilung einiger Briefe an die Besucher handelten sie nach dem Zitat: „Niemand ist wirklich tot, wenn er nicht vergessen ist.“Alle Teilnehmer an der Gedenkfeier waren beeindruckt von der Idee für das Projekt und lobten die gründliche Arbeit und die ehrlichen Aussagen. Die Musikgruppe Feuervogel umrahmte die Gedenkfeier mit ihren Musikbeiträgen.
Bei der Kranzniederlegung neben dem Württembergischen Psychiatriemuseum Zwiefalten sagte Bürgermeister Matthias Henne: „Nicht abwarten, sondern reden, gedenken und erinnern.“Pfarrer Roland Albeck hielt die Andacht und lobte die Schüler für ihre herausragende Aufarbeitung. Er bat darum, die Schwachen, Kranken und Behinderten nicht auszugrenzen. Schüler legten einen Kranz am Gedenksein für die Opfer des Nationalsozialismus nieder.