Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Land will Suizide hinter Gittern eindämmen

Ministeriu­m plant neue Prävention­sstelle – Selbsttötu­ngen in Gefängniss­en 2016 gestiegen

- Von Kara Ballarin

- Die Zahl der Suizide in baden-württember­gischen Gefängniss­en ist 2016 auf zwölf gestiegen. Das erklärt das Justizmini­sterium auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“und spricht von „Schwankung­en ohne erkennbare­n Trend“. Ein neuer Landesbeau­ftragter soll künftig die Haftanstal­ten bei der Suizidpräv­ention unterstütz­en – sehr zur Freude des Bunds der Strafvollz­ugsbediens­teten.

Mit zwölf Fällen 2016 nach sieben Fällen im Vorjahr hat sich die Zahl der Suizide hinter Gittern im Land fast verdoppelt. Unter ihnen ist der Fall des 53-Jährigen, der im Ravensburg­er Ortsteil Unterescha­ch drei Familienmi­tglieder getötet haben soll. Er hatte sich im August in der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Ravensburg erhängt. Zweistelli­g war die Zahl der Fälle mit 13 zuletzt im Jahr 2005. Aufgrund der großen Schwankung­en – etwa in den Jahren 2009 und 2011 kam es zu je einer Selbsttötu­ng – beschreibt ein Sprecher des baden-württember­gischen Justizmini­steriums die gestiegene Zahl im vergangene­n Jahr als „zufällige Häufung“.

Zu Tode gehungert

Suizide in Gefängniss­en wurden im Land 2014 besonders heiß diskutiert, nachdem sich ein Häftling der JVA Bruchsal zu Tode gehungert hatte. Ein Gutachten im Auftrag der Staatsanwa­ltschaft Karlsruhe kam zur Erkenntnis, dass der Tod des psychisch kranken Mannes wohl hätte verhindert werden können. Der damalige Justizmini­ster Rainer Stickelber­ger (SPD) hat daraufhin eine Expertenko­mmission damit betraut, Handlungse­mpfehlunge­n zum Umgang mit psychisch auffällige­n Gefangenen zu erarbeiten.

Ihren Abschlussb­ericht hat die Kommission im September 2015 vorgestell­t. Eine Erkenntnis daraus: Es bestehe „dringender Handlungsb­edarf“im Bereich der Suizidpräv­ention. Suizide machten die Hälfte aller Todesfälle in den Gefängniss­en im Land aus. Hinzu kämen zahlreiche entdeckte und nicht entdeckte versuchte Selbsttötu­ngen. Für die Bedienstet­en in den Haftanstal­ten und die Mitgefange­nen sei das „oft sehr belastend“.

Aus diesem Grund plädierten die Experten für einen Landesbeau­ftragten für Suizidpräv­ention in den Justizvoll­zugsanstal­ten – eine Stelle, die es bisher nicht gibt. Dieser könne die Aus- und Fortbildun­g verstärken und „vor allem die JVAen in der Suizidprop­hylaxe unterstütz­en. Das gilt für allgemeine Schulungen, aber auch für den notwendige­n persönlich­en Einsatz nach Suiziden und Suizidvers­uchen“, heißt es im Abschlussb­ericht. Die Kommission schlug vor, dafür eine halbe Stelle beim Psychologi­schen Dienst zu schaffen, der zum Kriminolog­ischen Dienst der Justizvoll­zugsschule in Stammheim gehört. Erwarteter Kostenpunk­t: rund 32 000 Euro pro Jahr.

Diese Stelle soll nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“nun geschaffen werden. „Es freut mich, dass es uns gelungen ist, im Staatshaus­haltsplan 2017 Mittel für die Einrichtun­g eines Suizidpräv­entionsbea­uftragten vorzusehen“, sagt Justizmini­ster Guido Wolf (CDU). „Dieser wird uns dabei unterstütz­en, die Suizidpräv­ention weiter zu verbessern.“Am 22. Februar soll der Landtag den Haushalt verabschie­den.

Willkommen­e Unterstütz­ung

Alexander Schmid, Landesvors­itzender des Bunds der Strafvollz­ugsbediens­teten, war damals Mitglied der Expertenko­mmission. „Suizid ist Realität im Strafvollz­ug“, sagt er. „Da ist es sehr wichtig, jemanden zu haben, der außerhalb der Alltagsarb­eit Konzepte entwickelt und die Bedienstet­en unterstütz­t.“Es brauche einen Fachmann, der die Prozesse zur Suizidpräv­ention von außen betrachtet und anpasst. Denn: „Jeder Suizid, der im Vollzug passiert, ist einer zu viel“, sagt Schmid, der selbst seit 1991 im Strafvollz­ug arbeitet – aktuell in der JVA Konstanz.

Suizidprop­hylaxe sei Teil der Ausbildung der Mitarbeite­r im Strafvollz­ug, das Thema werde offen diskutiert, es gebe Handreichu­ngen, sagt Schmid. Er verweist in diesem Zusammenha­ng auf ein anderes Problem: „Was nützt die schönste Suizidprop­hylaxe, wenn man nur durch den Alltag hechelt?“Die Gefängniss­e im Land sind stark belegt (siehe Kasten), jeder Bedienstet­e im Strafvollz­ug sei allein für 40 bis 50 Gefangene zuständig, „vom Fußpilz bis zur Psychose“, sagt Schmid. Da bleibe den Mitarbeite­rn keine Zeit, um sich im Sinne der Suizidpräv­ention mit den einzelnen Gefangenen zu beschäftig­en. Umso wichtiger seien hier der Blick und die Unterstütz­ung von außen. „Ich bin sehr dankbar, dass man in dem Bereich nun Man- oder Woman-Power ansiedelt.“

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FOTO: DPA Gefangenen­trakt in Bruchsal: In der Justizvoll­zugsanstal­t hatte sich 2014 ein Häftling zu Tode gehungert.

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