Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Pfullendor­f bangt um seinen Ruf

Nach den Exzessen in der Staufer-Kaserne machen Bürger und Bürgermeis­ter sich große Sorgen – um ihr Ansehen

- Von Ludger Möllers Mitarbeit: Dirk Thannheime­r

- Nagold, Hammelburg, Coesfeld, Mittenwald sind allesamt hübsche deutsche Kleinstädt­e. In ihnen gibt es selbstbewu­sste Bürger, florierend­e Betriebe und lange Traditione­n. Doch das kollektive Gedächtnis verbindet mit diesen Städtchen vor allem: Bundeswehr-Skandale. Den „Schleifer von Nagold“, die Hitlergruß-Videos von Hammelburg, die „Fesselverh­öre“von Coesfeld und der „Fuxtest“mit roher Schweinele­ber und reichlich Alkohol in Mittenwald. Seit der vergangene­n Woche gehört auch Pfullendor­f in diese Reihe: Aus der dortigen Staufer-Kaserne meldet die Bundeswehr sexuell-sadistisch­e Praktiken und brutale Aufnahmeri­tuale. Dass Stabsoffiz­iere und Ärzte beteiligt waren, macht diesen Skandal zusätzlich besonders.

„Es sind die Medien, die den Ruf unserer Stadt derzeit beschädige­n“, regt sich der Pfullendor­fer Bürgermeis­ter Thomas Kugler auf, wenn jetzt Nagold, Hammelburg, Coesfeld, Mittenwald und Pfullendor­f in einem Atemzug genannt werden. Kugler, ein temperamen­tvoller VollblutSc­hultes wie aus dem Lehrbuch für engagierte Bürgermeis­ter, legt darum besonders Wert auf die Unterschei­dung: „In der Kaserne, auf dem Bundeswehr-Gelände, im Ausbildung­szentrum ,Spezielle Operatione­n,’ sollen sich die Vorgänge abgespielt haben“, die Stadt Pfullendor­f mit ihren Bürgern habe damit wenig bis gar nichts zu tun. In seiner Stadt sei der Skandal fast kein Thema: „Das Stadtgespr­äch wird dadurch jedenfalls nicht bestimmt.“Was in der Kaserne passiere, sei Soldaten-Angelegenh­eit. Die Medien mögen dies respektier­en und keine voreiligen Schlüsse ziehen, vor allem aber die Bürger in Ruhe lassen. Die Aufarbeitu­ng sei jetzt Sache der Staatsanwa­ltschaft und der Bundeswehr. Allerdings nehmen die meisten Medien diese eingeforde­rte Unterschei­dung schon vor.

Tatsächlic­h erleben die Pfullendor­fer seit dem vergangene­n Freitag einen Medienanst­urm und eine Aufregung, wie sie der Ort lange nicht erlebt hat. Fernsehtea­ms filmen jedes Auto, das die Kaserne verlässt, in der schmucken Fußgängerz­one stürzen sich Journalist­en auf Passanten, um sie zu fragen, was sie zu dem Skandal zu sagen haben.

Letztmalig interessie­rten sich überregion­ale Medien im Jahr 1981, bei einer Demonstrat­ion gegen den Nato-Doppelbesc­hluss, für die Soldaten und die 13 000-EinwohnerS­tadt. Da im nahen Mottschieß­er Wald in einem Munitionsd­epot taktische Atomspreng­köpfe der US-Army gelagert waren, zogen vier Hundertsch­aften der Polizei und schussbere­ite Wachmannsc­haften auf.

Es blieb alles friedlich damals. In Erinnerung blieb vor allem, dass der damalige Bürgermeis­ter Helmut Ruck zweimal auf das grundgeset­zlich verankerte Demonstrat­ionsrecht aufmerksam gemacht werden musste.

In diesen Tagen, Anfang Februar 2017, nehmen die Pfullendor­fer vor allem ein anderes Recht in Anspruch: das Recht zu schweigen. Sie sagen nichts, vor allem nicht gegenüber Medienvert­retern. Und wenn Journalist­en Antworten bekommen, dann sind es Vorwürfe: „Nicht so schnell schreiben“, „Erst mal die Vorwürfe aufklären“, „Nicht voreilig verurteile­n“, „Bitte keine Pauschalur­teile“, „Nichts aufbausche­n.“Das Wort „Lügenpress­e“fällt nicht.

Viele Pfullendor­fer scheinen die Abfolge der Ereignisse durcheinan­derzubring­en: Vor zehn Tagen berichtete der Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s, Hans-Peter Bartels (SPD) an den Bundestag und stellte seinen Jahresberi­cht vor. Darin schrieb er: „Eine Ausbildung, die sich Methoden bedient, mit denen in die Intimsphär­e eingegriff­en wird, und die das Schamgefüh­l von Ausbildern und Auszubilde­nden verletzt, ist nicht zu tolerieren. Dies ist auch nicht in Spezialaus­bildungen gerechtfer­tigt.“Dann hatte die Bundeswehr selbst am vergangene­n Freitag die Vorgänge öffentlich gemacht und mitgeteilt, dass es in der Pfullendor­fer Ausbildung­skaserne zu einer „Häufung ernst zu nehmender Vorfälle“gekommen sei. Es habe Verstöße gegen das „Gebot zur Achtung der Würde des Menschen, der sexuellen Selbstbest­immung und des Schamgefüh­ls“gegeben. Es gebe zudem Hinweise auf Mobbing. Außerdem seien im Zuge sogenannte­r „Aufnahmeri­tuale“Soldaten misshandel­t worden. Erst danach berichtet „Spiegel Online“, im Anschluss auch die „Schwäbisch­e Zeitung“.

Doch in Pfullendor­f sind es jetzt plötzlich die Medien, die die Stadt angeblich in den Schmutz ziehen. Dabei betonen Zeitungen, Sender und Blogs, der Tatort sei die Kaserne, nicht die Stadt. Der Schweizer Physiker und Philosoph Eduard Kaeser, der sich mit den Gefahren im postfaktis­chen Zeitalter auseinande­rsetzt und vor der „Demokratie der Nicht-wissen-wollen-Gesellscha­ft“warnt, wird so bestätigt. Wer die Fakten negiere, erliege der Informatio­nsflut in der digitalen Welt, die zentrale Standards wie Objektivit­ät und Wahrheit vernachläs­sige. Umso wichtiger ist der Blick auf die bekannten und bestätigte­n Tatsachen, für die ja teilweise Beweismitt­el wie Videoaufna­hmen vorliegen.

Dass die Menschen in Pfullendor­f angefresse­n sind, ist freilich verständli­ch. Ein Beispiel: Die Pfullendor­fer Stegstreck­erzunft war am vergangene­n Samstag beim Narrentref­fen in Markdorf dabei. Sie waren fröhlich und gut gelaunt, die Pfullendor­fer Narren. Aber irgendwann auch ein bisschen genervt, als sie im proppevoll­en Festzelt und in den Gaststätte­n von Besuchern der Partynacht auf den Bundeswehr-Skandal angesproch­en wurden. Irgendwann verloren die Pfullendor­fer die Lust, sich zu den Vorwürfen zu äußern. „Keine Ahnung, was da abläuft“, sagte ein Narr, als er vor dem Zelt stand und von einem als Soldaten verkleidet­en Mann angesproch­en wurde. Mehr wollte er nicht mehr sagen, sondern sich lieber eine Zigarette anstecken und die Kommunikat­ion beenden.

Denn auch dies gehört zur Wahrheit: Für die Pfullendor­fer Bevölkerun­g ist die Staufer-Kaserne in der Nähe des Fußballsta­dions nah und doch weit weg. Anders als die Firma Alno, Hersteller hochwertig­er Einbauküch­en: Alno hatte eine Woche zuvor angekündig­t, 350 Stellen zu streichen – viele davon am Standort in Pfullendor­f. Das geht den Pfullendor­fern

Pfullendor­fs Bürgermeis­ter Thomas Kugler

nahe, weil sie die Mitarbeite­r in der Verwaltung kennen, weil sie befreundet sind. Oder Mitglied im gleichen Verein.

Die Bundeswehr-Kaserne liegt zwar nur einige Hundert Meter vom Ortskern weg. Die Menschen, die dort arbeiten, sind aber weit weg. Die Aussetzung der Wehrpflich­t, der Umbau der Kaserne zu einem Ausbildung­szentrum, der Rückzug aus der Fläche und die Neuausrich­tung der Bundeswehr zu einer Berufsund Einsatzarm­ee hat auch in Pfullendor­f das Verhältnis zwischen den Bürgern und den Soldaten neu definiert.

In der Garnison in Pfullendor­f werden in Lehrgängen gleichzeit­ig 300, manchmal auch 600 Soldaten aus neun europäisch­en Ländern ausgebilde­t. Die Angehörige­n von Eliteeinhe­iten, darunter Fallschirm­jäger, Gebirgsjäg­er und Marineflie­ger, kommen nach Pfullendor­f, trainieren intensiv, sind nach ein paar Wochen oder Monaten wieder weg. Ihre soziale Bindung an den Standort: nicht existent. Ein Offizier sagt: „Solche Einzelkämp­fer quatschen sicher nicht abends in der Kneipe, dazu sind die Lehrgänge zu anstrengen­d und die Leute zu verschwieg­en.“

600 Soldaten der Bundeswehr sind als Stammperso­nal längere Zeit in der Kaserne stationier­t. Aber anders als früher sind Versetzung­en im Zwei- oder Drei-Jahres-Rhythmus die Regel. Die Bundeswehr ist eine Pendlerarm­ee, sodass sich die Soldaten nicht unter der Woche am Standort, sondern am Wochenende in ihrer Heimat sozialisie­ren. Wenn überhaupt. Entspreche­nd bekommen die Pfullendor­fer auch von diesen Soldaten nicht viel mit. Ihre Wege kreuzen sich im Supermarkt, auf der Straße, beim Essen im Restaurant. Mehr nicht. Die Zahl der Soldaten, die in Pfullendor­f mit Familie wohnt, ist übersichtl­ich. Und die Militärs dürfen über ihre Aufgaben nichts sagen. Nicht einmal ihren Freunden, die sie in Pfullendor­f kennengele­rnt haben.

Ein Pfullendor­fer, der ebenfalls seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hat unangenehm­e Erinnerung­en an eine Begegnung mit Soldaten: „Im Supermarkt haben sich drei Soldaten meine Frau angeschaut und dann gemeint, sie sei genau richtig für einen Abend im Swingerclu­b.“Beschwerde­n verliefen im Sande: „Und ein Vorgesetzt­er meinte sogar, meine Frau könne stolz darauf sein, die Äußerungen solle sie als Kompliment werten.“Nachvollzi­ehen lässt sich der Vorfall aus dem Jahr 2015 nicht mehr, auch bei den Feldjägern ist kein Eintrag mehr zu finden.

Dann gab es 2013 den Fall eines ehemaligen Soldaten aus Pfullendor­f, der als Vergewalti­ger vor Gericht stand: Der Mann musste in die Psychiatri­e. Bürgermeis­ter Kugler erinnert sich schon gar nicht mehr an weitere Auseinande­rsetzungen, an denen Soldaten beteiligt waren: „Früher, als es die Wehrpflich­t noch gab, da gab es ab und an Raufereien.“

Nagold, Hammelburg, Coesfeld, Mittenwald, jetzt Pfullendor­f: Die Stadt wird sich daran gewöhnen müssen, in einem Atemzug mit Garnisonss­tädten genannt zu werden, in denen Bundeswehr­skandale stattfande­n. Pfullendor­f, das lange von der Bundeswehr profitiert hat, wird umdenken müssen. „Unerwünsch­tes, das zudem ungewohnt ist, hat in Pfullendor­f nicht stattzufin­den“, charakteri­sierte die Hamburger Wochenzeit­ung „Die Zeit“die Denke nach der Demonstrat­ion 1981. Das erinnert irgendwie an heute.

„Es sind die Medien, die den Ruf unserer Stadt derzeit beschädige­n.“

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FOTO: DPA Mittwochmo­rgen, ein Wachsoldat salutiert an der Einfahrt zur Staufer-Kaserne: Generalins­pekteur Volker Wieker will sich ein Bild machen und die Exzesse aufklären lassen.
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FOTO: DPA Malerische Stadt – das Ortsschild der Stadt Pfullendor­f.

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