Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Selbstbewu­sstsein zeigen!“

Der Psychiater und Psychother­apeut Manfred Lütz fordert mehr Mut in der Bundeswehr gegen Gruppendru­ck

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- Aufnahmefe­iern bei der Bundeswehr sind sinnvoll: aber nur als Gelöbnisse oder feierliche Vereidigun­g. Jedes weitere Ritual unter Soldaten, was jetzt in der Pfullendor­fer Kaserne zu sadistisch­en Gewaltexze­ssen führte, hält der Bestseller­autor, Psychiater und Psychother­apeut Manfred Lütz für unsinnig, wie er im Gespräch mit Ludger Möllers sagt.

Wenn Neuankömml­inge in eine bestehende Gruppe kommen, werden sie häufig feierlich aufgenomme­n. Erst dann gehören sie richtig dazu. Das ist in Klöstern, bei der Feuerwehr oder im Tennisvere­in so. Beim Bund auch. Warum ist dieser Aufnahmeri­tus wichtig?

Wenn ein Mann Mönch oder eine Frau Ordensschw­ester wird, dann ist ein solcher Ritus hilfreich und sinnvoll, um Abschied vom bisherigen Leben zu nehmen und Gottes Gnade für den neuen Lebensabsc­hnitt zu erbitten. Aber diese Feiern sind nicht zu vergleiche­n mit Aufnahmefe­iern im Tennisvere­in.

Wann sind Aufnahmefe­iern bei der Bundeswehr sinnvoll?

Feierliche Gelöbnisse bei der Bundeswehr sind durchaus sinnvoll, weil sich diese Männer und Frauen dazu verpflicht­en, unter Umständen für unsere Gemeinscha­ft ihr Leben aufs Spiel zu setzen. In der heutigen Zeit ist das ja nicht nur etwas Theoretisc­hes.

Was bringt nun aber immer wieder Soldaten dazu, dass sie bei erniedrige­nden Aufnahme-Spielen mitmachen?

Man muss da mal betonen, dass das ja nur kleine Gruppen sind unter insgesamt 180 000 Soldaten. Manches daran erinnert an Mannbarkei­tsriten primitiver Kulturen, aber in Wirklichke­it sind das dümmliche Spielchen primitiver Machos, die sich mehr über ihre Muskelmass­e als über ihre Gehirnfunk­tionen definieren.

Wieso widersetze­n sich selbstbewu­sste Männer nicht einfach?

Ich glaube ja, dass sich selbstbewu­sste Männer dem widersetze­n. Wir haben unseren Töchtern immer gesagt: Wenn alle einen Menschen mobben, ihr macht da nicht mit! Und wir sind immer besonders stolz darauf gewesen, wenn sie nicht jeden Unsinn mitmachten. Bei der Bundeswehr gibt es das Prinzip der Inneren Führung, der Soldat als Bürger in Uniform soll nicht blind Befehlen gehorchen, sondern immer auf sein Gewissen hören. Diese Widerständ­igkeit gilt aber nicht nur bei unmoralisc­hen Befehlen, sondern auch bei unmoralisc­hem Gruppendru­ck.

Zu welcher Maßnahme raten Sie, wenn Gruppenrit­uale ausarten?

Selbstbewu­sstsein zeigen und von vorneherei­n nicht mitmachen!

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FOTO: ARCHIV Manfred Lütz

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