Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Argwöhnische Blicke aus Berlin
Opposition im Bundestag verfolgt Angela Merkels Auftritt mit Erdogan genau – und kritisiert nur verhalten
- Die Opposition schaut genau hin. Schon im Vorfeld von Merkels Besuch forderten ihre Kritiker, dass sie klar Stellung beziehen soll. „Ich verlange nicht, dass sie sich in dem Kitsch-Palast von Erdogan irgendwo ankettet“, sagt Grünen-Chef Cem Özdemir am Morgen, aber er wünsche klare Worte. Er erwarte, dass die Kanzlerin die Werte nicht beim Check-in abgebe, sondern auch die Opposition treffe. Das stand auf Merkels Plan, am Abend wollte sie Gespräche mit der Mitte-Links-Partei CHP sowie der prokurdischen Oppositionspartei HDP führen.
Während Özdemir den kritischen Dialog mit der Türkei befürwortet, sind die Linken völlig gegen das Treffen. „Das anstehende Referendum ist eine Zäsur“, so die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen. Mit der Volksabstimmung über die Einführung eines neuen Präsidialsystems will Erdogan im Frühjahr seine Macht weiter ausbauen. Dagdelen hält deshalb den Besuch der Kanzlerin im Vorfeld des Referendums für falsch. Sie spricht von einem „politischen Armutszeugnis der Regierung Merkel, diese Reise überhaupt zu machen und Erdogan damit den Rücken zu stärken“.
Anders sieht dies der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP). Es sei richtig, dass die Kanzlerin in die Türkei reise, sagt er. Aber sie dürfe es nicht unterlassen, die fortwährenden Bürgerrechtsverletzungen mit klaren Worten zu verurteilen. In diesem Zusammenhang wäre es auch „unehrlich und kontraproduktiv“, weiter an dem eindeutig gescheiterten türkischen EU-Beitrittsprozess festzuhalten, so Lambsdorff. Martin Schulz (SPD), der frühere Präsident des EU-Parlaments und heutige Herausforderer von Angela Merkel, widerspricht: Gerade wenn man Kapitel wie Menschenrechte öffne, könne man mit der Türkei streiten.
Lob ist in Berlin oder Brüssel selten. Aber daran, dass es recht ruhig blieb, nachdem Merkel mit Erdogan gesprochen hatte, lässt sich ablesen, dass auch die Opposition im Bundestag nicht allzu große Probleme mit Merkels Auftreten in der Türkei hatte. Das schwäbische Motto „Nicht geschimpft ist genug gelobt“hat manchmal auch in Berlin Geltung.