Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Tausend Spuren im Sand
Zehn Jahre nach Madeleines Verschwinden verlieren die Eltern eine weitere Klage
- Die Ermittlungsakten umfassen mehr als 40 000 Seiten. Nahezu 9000 Spuren in aller Welt gingen die Fahnder von Scotland Yard nach. Es wurden mehr als 1300 Personen n vernommen. Gut 1000 Beweisstücke hat man sichergestellt: Kleidung, Fingerabdrücke, DNA-Reste. 650 mutmaßliche Sexualstraftäter wurden überprüft. Doch der prominenteste Vermisstenfall der internationalen Kriminalgeschichte bleibt ungelöst – vielleicht für immer.
Seit nahezu zehn Jahren ist Madeleine McCann wie vom Erdboden verschluckt. Die kleine Britin verschwand am 3. Mai 2007 im portugiesischen Urlaubsort Praia da Luz an der sandigen Algarveküste spurlos. Damals war Madeleine drei Jahre alt. Den Ermittlungen zufolge hatte die Kleine im Ferienapartment der Eltern Kate und Gerry McCann geschlafen, während diese in einem nahen Restaurant beim Abendessen saßen. Als Kate und Gerry zurückkamen, war Maddie nicht mehr da.
Der Vermisstenfall löste die größte Polizeioperation der legendären Londoner Polizeibehörde Scotland Yard aus. Und auch die teuerste: Mehr als 12 Millionen Pfund kostete sie die britischen Steuerzahler. Schon mehrmals wurde das Ende der Ermittlungen verkündet. Mehrmals wurde die Arbeit der Sonderkommission vom britischen Innenministerium, das für die Finanzierung sorgt, verlängert. Nun soll Ende April, ein Jahrzehnt nach dem Verschwinden Madeleines, endgültig Schluss sein – soweit nicht noch ein kriminalistisches Wunder geschieht und neue Spuren auftauchen.
Hoffen auf das Wunder
„Wir haben noch große Hoffnung und glauben an Wunder“, sollen Kate und Gerry McCann Anfang Januar per Facebook verkündet haben, berichtete die britische Boulevardpresse. In letzter Zeit war es ziemlich ruhig um die Familie McCann geworden, die vor zehn Jahren die größte private und öffentliche Suchaktion anleierte, die die Welt je gesehen hatte. Millionenspenden gingen ein, um Privatdetektive zu bezahlen. Papst Benedikt, Prinz Charles und die britische Regierung schalteten sich ein. Doch von Madeleine keine Spur.
Dieser Tage folgte ein weiterer Tiefschlag für Kate und Gery McCann, die in dem britischen Ort Rothley wohnen. Portugals Oberster Gerichtshof wies ihre Schadensersatzklage gegen jenen portugiesischen Chefermittler ab, der die Eltern damals beschuldigt hatte, mit dem Verschwinden Madeleines zu tun zu haben. Die McCanns hatten dies stets zurückgewiesen. Auch Scotland Yard geht von einem Kidnapping aus, hinter dem vielleicht Kinderschänder oder eine Adoptionsmafia stecken könnten.
Der frühere portugiesische Kripoinspektor Gonçalo Amaral, der wegen seiner umstrittenen Hypothesen von dem Fall abgezogen worden war, hatte später ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: „Die Wahrheit der Lüge.“Darin behauptete er, dass Madeleine tot sei, dass sie möglicherweise bei einem Unfall in der Ferienwohnung ums Leben gekommen sei. Und dass die Eltern den Leichnam heimlich beseitigt hätten. Beweise für diese Theorie gibt es nicht, deswegen musste sich Portugals Kripo kleinlaut entschuldigen.
Es gilt die Meinungsfreiheit
Trotzdem sind nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs Portugals die Anschuldigungen des ehemaligen Ermittlers Amaral durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Die Begründung des Urteils wurde zwar noch nicht veröffentlicht, doch nach Informationen des portugiesischen Magazins „Expresso“befanden die Richter, dass die fraglichen Behauptungen in einer „demokratischen und offenen Gesellschaft“hingenommen werden müssen.
Acht Jahre prozessierten die McCanns gegen Amaral. Sie gingen durch alle Instanzen, bekamen zu Beginn vor dem Zivilgericht zwar recht, kassierten aber in nachfolgenden Berufungsverfahren Niederlagen. Nun könnten hohe Prozesskosten auf sie zukommen.
Sie seien „zutiefst enttäuscht“über das Urteil erklärten Kate und Gerry McCann auf ihrer Webseite „Find Madeleine“und verweisen darauf, dass weder die portugiesische noch die britische Polizei „einen Beleg dafür haben, dass Madeleine körperlicher Schaden zugefügt wurde“.
Kate McCann engagiert sich heute als „Botschafterin“in der Organisation „Missing People“, die sich um Familien vermisster Personen kümmert. Um auf das Schicksal der Verschwundenen aufmerksam zu machen, gründete der Verein einen Chor, der nun bei Großbritanniens berühmter TV-Talentshow „Britain’s Got Talent“mit dem Song „I Miss You“(Ich vermisse Dich) antritt. Mit seinem rührenden Stück wird der Missing-People-Chor jetzt schon als Gewinner gehandelt.