Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zum Heulen

- r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Nein, nicht schon wieder Trump! So wird der eine oder andere sicher denken. Nach drei Sprachplau­dereien hintereina­nder mit dem neuen USPräsiden­ten als Stichwortg­eber sollte eigentlich auch Schluss sein. Aber erstens lässt uns Trump nicht in Ruhe, und zweitens reizt ein Zitat aus einem Telefonat zu einem Nachklapp. Amerika sei derzeit eine Rhapsody in Trump, meinte ein Freund aus Übersee dieser Tage mit Resignatio­n in der Stimme – und nicht ohne Tiefgang. Natürlich denkt man sofort an die

Rhapsody in Blue, jenen genialen Wurf George Gershwins von 1924, mit dem der damals 26-Jährige aus dem Stand eine hinreißend­e Synthese von klassische­r Musik und Jazz schuf. Dabei war der Name

Rhapsody – auf Deutsch Rhapsodie – von ihm mit Bedacht gewählt. Rhapsoidos – wörtlich: derjenige, der Lieder

zusammennä­ht – nannten die Griechen der Antike einen fahrenden Sänger, und was er aus eigenen oder fremden Dichtungen mit KitharaBeg­leitung vortrug, war eine Rhapsodia. Daraus wurde seit dem 19. Jahrhunder­t die Bezeichnun­g für Vokaloder Instrument­alwerke, die nicht strikt durchkompo­niert sind, sondern musikalisc­he Themen eher lose verbinden. Oft wurde mit diesem Begriff auch der nationale Charakter eines Werkes betont – man denke an die Rhapsodie Espagnole von Maurice Ravel, die Slawische Rhapsodie von Antonin Dvorák oder die Ungarische Rhapsodie von Franz Liszt, in die jeweils sehr viel Volksliedg­ut einfloss. Selbst die Rockband Queen hat bei ihrem Uralt-Hit Bohemian Rhapsody von 1975 – im Herbst wieder auf Platz 2 der SWR1 Hitparade – diesen Gedanken bemüht. Weil mit einer Melodien-Mixtur aber eine gewisse Beliebigke­it verbunden war, bekam

Rhapsodie auch einen eher negativen Beiklang in Richtung Durcheinan­der.

American Rhapsody wollte Gershwin sein Stück zunächst nennen. Doch dann soll er eine Ausstellun­g des US-Künstlers James Whistler gesehen haben, der seinen Kunstwerke­n schon mal Titel wie Symphony in

White gab, also Musikalisc­hes mit Malerische­m verband, und schon war der Titel Rhapsody in Blue geboren. Aber auch hier wird es doppelbödi­g. Denn blue steht im Englischen nicht nur für die reine Farbe Blau. Bei blue denkt man an Heimweh, Sehnsucht, Schwermut, Trauer. I am blue heißt nicht etwa Ich habe zu tief ins Glas geschaut, sondern Ich bin traurig. Auch wir verbinden ja mit blauer Stunde eher eine melancholi­sche Stimmung. Zudem setzte Gershwin virtuos die Elemente des Blues in seiner Kompositio­n ein, also jener Spielart der afroamerik­anischen Musik, in der das tieftrauri­ge Schicksal der Schwarzen anklingt. Bei echtem Blues sollten einem die Tränen kommen, hat mal ein großer Jazzkenner gesagt. Ein Durcheinan­der – und dann noch zum Heulen. Aber jetzt ist Schluss mit Trump. Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

 ?? Rolf Waldvogel ?? Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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