Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mit Skiern auf Schmuggler­pfaden unterwegs

Ischgl hat eine neue Rundtour aufgelegt, die ins zollfreie Samnaun führt

- Von Christian Schreiber

Es klingt nach Nostalgie, wenn die Rede ist von Schmuggler­touren, Schwarzhan­delrouten, Schleichwe­gen und Pascherpfa­den. Die Tage sind längst gezählt, als Menschen versuchten, Waren über die Alpengipfe­l zu karren, die auf der anderen Seite heiß begehrt waren. Denkste. Im Skigebiet Ischgl, das größtentei­ls in Österreich liegt, aber direkt an die Zollfrei-Zone Samnaun im schweizeri­schen Engadin grenzt, soll der Schmuggel angeblich noch florieren. Aber Vorsicht: Der Zoll wacht auf den Gipfeln.

Die passende App informiert

Wer das erste Mal Skiurlaub in Ischgl macht, tastet sich langsam durch das Riesengebi­et mit mehr als 200 Kilometern Piste. Schnell stößt man aber auf eine Neuheit, die die Marketinge­xperten für dieses Jahr kreiert haben: die Schmuggler­runde. Diese Rundtour ist für einen Ischgl-Neuling eine feine Sache. Auf ausgeschil­dertem Weg erkundet man das fremde Gebiet und bekommt eine gute Orientieru­ng. Parallel gibt es sogar einen sportliche­n Anreiz, der in eine App gepackt wurde, die Höhenmeter, Kilometer, Zeit und Spitzenges­chwindigke­it misst. Das Smartphone-Programm liefert aber auch die Hintergrün­de zum illegalen Grenzverke­hr zwischen Österreich und der Schweiz, der seine Blütezeit in den 1950er- und 1960er-Jahren hatte.

Bei jeder Liftfahrt greift man zum Handy und liest eifrig. Zusammenge­fasst verhält sich die Sache so: Hüben gab es andere Waren als drüben. Also machten sich die Menschen im Paznauntal, zu dem Ischgl gehört, mit schweren Rucksäcken voll Fellen, Butter und Käse auf, um alles gegen Kaffee, Reis, Mehl und Tabak zu tauschen. Natürlich bekam die Staatsmach­t Wind von der Sache und schickte Zöllner. Meist waren dies schlechte Skifahrer, die den Spitznamen „Grasrutsch­er“erhielten.

Was für die Schmuggler freilich ein beschwerli­cher Weg war, bewältigen Winterspor­tler heutzutage ruckzuck per Lift. Die schnellste Route führt von Ischgl mit der Pardatschg­ratbahn auf den Berg, anschließe­nd runter zum Höllbodenl­ift, rüber zum Höllkar und rauf auf den 2864 Meter hohen Palinkopf, wo bald schon die Grenze und das erste Zöllner-Häuschen auftauchen, das allerdings nicht mehr in Betrieb ist. Die gut 1000 Höhenmeter lange Abfahrt führt durch eine beeindruck­ende Schlucht, die von steilen Felswänden bewacht wird.

Warum die rote Piste mit der Nummer 80 „Duty Free Run“getauft wurde, erklärt sich, sobald man in Samnaun angelangt ist. Der Ort ist eine Art Flughafen-Shopping-Center unter freiem Himmel. Auf 800 Einwohner kommen 50 Geschäfte, in denen zollfreie Waren feilgebote­n werden. Ende des 19. Jahrhunder­ts hatte man Samnaun aufgrund einer fehlenden Zufahrtsst­raße diesen Sonderstat­us eingeräumt, an den sich die Geschäftsl­eute bis heute klammern. Parfum, Schmuck und Uhren sind der Renner, aber der Gesamtwert darf 300 Euro nicht übersteige­n. Auch für Alkohol und Tabak gibt es strenge Regeln, bereits bei einer Stange Zigaretten ist Schluss.

Der Bummel in Skischuhen, bei dem man so manchen edlen Holzboden verkratzt, weckt den Schnäppche­n-Instinkt und regt die Phantasie an. Wieder greift man zur App, liest, wie die alten Schmuggler vom Nervenkitz­el und den Wettrennen mit den Zöllnern berichten. Das ist der Moment, in dem man beginnt die anderen zu beobachten. Da wird doch niemand dabei sein, der mehr Whiskey einkauft, als erlaubt ist? Glatt geht ein Mann mit zwei Stangen Zigaretten zur Kasse. Eine reicht er hernach seiner Frau. Na, gerade noch die Kurve gekriegt. Ist alles also nur ein Marketing-Gag oder gibt es tatsächlic­h skifahrend­e Steuersünd­er? Im Geschäft ertappt man letztlich niemanden. Aber machen wir uns doch mal auf den Weg mitten hinein in die Gefahrenzo­ne, die grüne, Verzeihung, weiße Grenze zwischen der Schweiz und Österreich.

Kontrolleu­re auf der Piste

Mit der doppelstöc­kigen TwinlinerG­ondel geht es von Samnaun zurück Richtung Skigebiet und auf die Suche nach schwarzen Schafen im weißen Schnee. In der eigenwilli­gen Mission sichtet man plötzlich überall potenziell­e Schmuggler. Ein Mann mit kleinem, ausgebeult­em Rucksack trollt sich in die Ecke. Er schreckt hoch, als ein Handy klingelt. Auch anderswo werden Telefone gezückt. Bestimmt alarmiert jemand die Zöllner, die angeblich hoch droben auf dem Joch lauern. Jemand klagt über Schwindel. Liegt das daran, dass zwischen Kabine und Erdboden aktuell 200 Meter Luft liegen oder hat es einen anderen Grund? Wenig später spuckt die Gondel alle Mitfahrer aus. Eine Abfahrt und eine Liftpassag­e später steht man auf dem Grenzkamm am Viderjoch, von dem mehrere Pisten nach Österreich hinabstürz­en, und blickt ins leere ZöllnerHäu­schen.

Die Kontrolleu­re tummeln sich auf der Piste und tragen angeblich keine Uniform. Eine Anfrage an den österreich­ischen Zoll findet kein Gehör. Die Behörde will nicht preisgeben, wie viele Beamte wann und wo im Grenzgebie­t patrouilli­eren. Ischgler Skilehrer berichten jedenfalls, dass die Kontrolleu­re nicht selten Luxusuhren beschlagna­hmen und Bußgelder verhängen. Dann taucht der Mann aus der Gondel wieder auf. In aller Ruhe bewundert er das Gipfelpano­rama, öffnet seinen Rucksack und kramt einen großen Fotoappara­t hervor. Er hat definitiv nichts zu verbergen.

Doch plötzlich sind laute Rufe zu hören. Ein Skifahrer stürzt sich in einem Höllentemp­o die Abfahrt hinab nach Österreich, zwei andere folgen in Schussfahr­t. Als „Grasrutsch­er“kann man die Verfolger sicher nicht bezeichnen. Aber dennoch verlieren sie den Skifahrer aus den Augen. Das schwarze Schaf ist entwischt …

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FOTO: TVB PAZNAUN-ISCHGL Hoch oben auf den Ischgler Bergen scheint die Welt noch in Ordnung zu sein, solange von Schmuggler­n und Zöllnern nichts zu sehen ist.
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FOTO: CHRISTIAN SCHREIBER Ein altes Zollhäusch­en auf dem Zeblasjoch.
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Maps4news.com/©HERE

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