Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit Skiern auf Schmugglerpfaden unterwegs
Ischgl hat eine neue Rundtour aufgelegt, die ins zollfreie Samnaun führt
Es klingt nach Nostalgie, wenn die Rede ist von Schmugglertouren, Schwarzhandelrouten, Schleichwegen und Pascherpfaden. Die Tage sind längst gezählt, als Menschen versuchten, Waren über die Alpengipfel zu karren, die auf der anderen Seite heiß begehrt waren. Denkste. Im Skigebiet Ischgl, das größtenteils in Österreich liegt, aber direkt an die Zollfrei-Zone Samnaun im schweizerischen Engadin grenzt, soll der Schmuggel angeblich noch florieren. Aber Vorsicht: Der Zoll wacht auf den Gipfeln.
Die passende App informiert
Wer das erste Mal Skiurlaub in Ischgl macht, tastet sich langsam durch das Riesengebiet mit mehr als 200 Kilometern Piste. Schnell stößt man aber auf eine Neuheit, die die Marketingexperten für dieses Jahr kreiert haben: die Schmugglerrunde. Diese Rundtour ist für einen Ischgl-Neuling eine feine Sache. Auf ausgeschildertem Weg erkundet man das fremde Gebiet und bekommt eine gute Orientierung. Parallel gibt es sogar einen sportlichen Anreiz, der in eine App gepackt wurde, die Höhenmeter, Kilometer, Zeit und Spitzengeschwindigkeit misst. Das Smartphone-Programm liefert aber auch die Hintergründe zum illegalen Grenzverkehr zwischen Österreich und der Schweiz, der seine Blütezeit in den 1950er- und 1960er-Jahren hatte.
Bei jeder Liftfahrt greift man zum Handy und liest eifrig. Zusammengefasst verhält sich die Sache so: Hüben gab es andere Waren als drüben. Also machten sich die Menschen im Paznauntal, zu dem Ischgl gehört, mit schweren Rucksäcken voll Fellen, Butter und Käse auf, um alles gegen Kaffee, Reis, Mehl und Tabak zu tauschen. Natürlich bekam die Staatsmacht Wind von der Sache und schickte Zöllner. Meist waren dies schlechte Skifahrer, die den Spitznamen „Grasrutscher“erhielten.
Was für die Schmuggler freilich ein beschwerlicher Weg war, bewältigen Wintersportler heutzutage ruckzuck per Lift. Die schnellste Route führt von Ischgl mit der Pardatschgratbahn auf den Berg, anschließend runter zum Höllbodenlift, rüber zum Höllkar und rauf auf den 2864 Meter hohen Palinkopf, wo bald schon die Grenze und das erste Zöllner-Häuschen auftauchen, das allerdings nicht mehr in Betrieb ist. Die gut 1000 Höhenmeter lange Abfahrt führt durch eine beeindruckende Schlucht, die von steilen Felswänden bewacht wird.
Warum die rote Piste mit der Nummer 80 „Duty Free Run“getauft wurde, erklärt sich, sobald man in Samnaun angelangt ist. Der Ort ist eine Art Flughafen-Shopping-Center unter freiem Himmel. Auf 800 Einwohner kommen 50 Geschäfte, in denen zollfreie Waren feilgeboten werden. Ende des 19. Jahrhunderts hatte man Samnaun aufgrund einer fehlenden Zufahrtsstraße diesen Sonderstatus eingeräumt, an den sich die Geschäftsleute bis heute klammern. Parfum, Schmuck und Uhren sind der Renner, aber der Gesamtwert darf 300 Euro nicht übersteigen. Auch für Alkohol und Tabak gibt es strenge Regeln, bereits bei einer Stange Zigaretten ist Schluss.
Der Bummel in Skischuhen, bei dem man so manchen edlen Holzboden verkratzt, weckt den Schnäppchen-Instinkt und regt die Phantasie an. Wieder greift man zur App, liest, wie die alten Schmuggler vom Nervenkitzel und den Wettrennen mit den Zöllnern berichten. Das ist der Moment, in dem man beginnt die anderen zu beobachten. Da wird doch niemand dabei sein, der mehr Whiskey einkauft, als erlaubt ist? Glatt geht ein Mann mit zwei Stangen Zigaretten zur Kasse. Eine reicht er hernach seiner Frau. Na, gerade noch die Kurve gekriegt. Ist alles also nur ein Marketing-Gag oder gibt es tatsächlich skifahrende Steuersünder? Im Geschäft ertappt man letztlich niemanden. Aber machen wir uns doch mal auf den Weg mitten hinein in die Gefahrenzone, die grüne, Verzeihung, weiße Grenze zwischen der Schweiz und Österreich.
Kontrolleure auf der Piste
Mit der doppelstöckigen TwinlinerGondel geht es von Samnaun zurück Richtung Skigebiet und auf die Suche nach schwarzen Schafen im weißen Schnee. In der eigenwilligen Mission sichtet man plötzlich überall potenzielle Schmuggler. Ein Mann mit kleinem, ausgebeultem Rucksack trollt sich in die Ecke. Er schreckt hoch, als ein Handy klingelt. Auch anderswo werden Telefone gezückt. Bestimmt alarmiert jemand die Zöllner, die angeblich hoch droben auf dem Joch lauern. Jemand klagt über Schwindel. Liegt das daran, dass zwischen Kabine und Erdboden aktuell 200 Meter Luft liegen oder hat es einen anderen Grund? Wenig später spuckt die Gondel alle Mitfahrer aus. Eine Abfahrt und eine Liftpassage später steht man auf dem Grenzkamm am Viderjoch, von dem mehrere Pisten nach Österreich hinabstürzen, und blickt ins leere ZöllnerHäuschen.
Die Kontrolleure tummeln sich auf der Piste und tragen angeblich keine Uniform. Eine Anfrage an den österreichischen Zoll findet kein Gehör. Die Behörde will nicht preisgeben, wie viele Beamte wann und wo im Grenzgebiet patrouillieren. Ischgler Skilehrer berichten jedenfalls, dass die Kontrolleure nicht selten Luxusuhren beschlagnahmen und Bußgelder verhängen. Dann taucht der Mann aus der Gondel wieder auf. In aller Ruhe bewundert er das Gipfelpanorama, öffnet seinen Rucksack und kramt einen großen Fotoapparat hervor. Er hat definitiv nichts zu verbergen.
Doch plötzlich sind laute Rufe zu hören. Ein Skifahrer stürzt sich in einem Höllentempo die Abfahrt hinab nach Österreich, zwei andere folgen in Schussfahrt. Als „Grasrutscher“kann man die Verfolger sicher nicht bezeichnen. Aber dennoch verlieren sie den Skifahrer aus den Augen. Das schwarze Schaf ist entwischt …