Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Autonom fahren, leise fliegen und die Angst besiegen
Vor 50 Jahren wurde die Universität Ulm gegründet – Sie ist heute führend bei ungewöhnlichen Forschungsprojekten
- Als vor genau 50 Jahren die Universität Ulm gegründet wurde, hatte wohl keiner der Gründerväter eine Vision von weltweit nachgefragten Hightech-Lösungen vom Ulmer Eselsberg im Sinn. Damals, vor einem halben Jahrhundert, dachte niemand daran, dass die traditionell produzierenden Firmen aus dem Donautal überflüssig werden könnten. Im Donautal, beispielsweise bei Magirus, wurden schwere Lkw gebaut.
Auf dem Eselsberg sollte 1967 eine Reform-Universität nach amerikanischem Vorbild entstehen: Forschung, Lehre, Anwendung nah beieinander. Heute steht die Universität Ulm mit der Wissenschaftsstadt für weltweit anerkannte und nachgefragte Forschung und Lehre. Spitze sind die Ulmer Wissenschaftler beim autonomen Fahren, dem sauberen und leisen Fliegen, in der Batterieforschung und bei der Behandlung von Traumapatienten.
Der erste Hybridflieger
Ortstermin, Flughafen Stuttgart, Ende September 2016: Das Hybridflugzeug HY, das weltweit erste viersitzige Passagierflugzeug mit Brennstoffzellen-Technik, bestreitet seinen Erstflug erfolgreich. Nach einer knapp zehnminütigen Platzrunde über dem Landesflughafen von Baden-Württemberg kehrt das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Universität Ulm entwickelte Hybridflugzeug sicher zum Boden zurück. An Bord sind zwei Testpiloten sowie zwei simulierte Passagiere. Denkbar sei in einigen Jahren sein Einsatz als Lufttaxi zwischen Regionalflughäfen, sagte DLR-Projektleiter Professor Josef Kallo. „Elektrische Antriebe haben eine niedrige Lärm- und Emissionsbelastung und sind daher besonders für kürzere Strecken geeignet.“Die Forscher wollten in den nächsten 25 Jahren einen 40-sitzigen Flieger mit einer Reichweite von 1000 Kilometern entwickeln.
Professor Michael Weber, seit 2015 Präsident der Universität Ulm, weist gerne auf solche Erfolge wie die seines Kollegen Professor Josef Kallo hin, wenn er über die „Forschungsuniversität Ulm“im Jubiläumsjahr 2017 spricht. „Möglich werden diese Erfolge dadurch, dass diese Universität kurze Wege hat und die Forscher aus den betroffenen Bereichen quasi unter einem Dach arbeiten.“Die Traumaforschung bietet gute Beispiele für diese Zusammenarbeit: „Nach einem Unfall leidet der Patient unter physischen und womöglich auch psychischen Traumata“, berichtet Weber, „er benötigt Unfallchirurgen und vielleicht auch Psychiater und Psychologen.“So weit, so klassisch, so dramatisch beispielsweise für Soldaten, die verletzt aus einem Einsatz zurückkehren.
Neue Ansätze sind gefragt, wenn geflüchtete Patienten mit ihren Traumata nach Vertreibung, Flucht, Gewalt, vielleicht Tod und Verletzung behandelt werden: „In diesen Fällen sind Mediziner, Biologen, Biophysiker und Biomediziner gefragt“, weiß Weber, „die Kooperation erstreckt sich dann von der Universität über die Uniklinik und das Bundeswehrkrankenhaus zu den Universitätsund Rehabilitationskliniken Ulm.“100 Wissenschaftler seien in der Traumaforschung tätig.
Die „Forschungsuniversität Ulm“findet mit ihren Leistungen international Anerkennung: Mehr als 10 000 Studenten aus 104 Nationen sind auf dem Eselsberg eingeschrieben. Im Vergleich der Universitäten, die jünger als 50 Jahre sind, steht Ulm weltweit auf dem 13. Rang des angesehenen THE Rankings. Der 98. Platz unter Unis in Europa, viele davon mit jahrhundertelanger Tradition, ist ein herausragendes Ergebnis.
Derzeit bereiten sich Forscher aus drei Bereichen auf den Wettbewerb um das neue Programm der Exzellenzstrategie vor. Bund und Länder wollen die Forscher-Elite ab 2019 jährlich mit gut einer halben Milliarde Euro unterstützen. Eine Exzellenzkommission entscheidet dann darüber, wer tatsächlich gefördert wird. In dieser Kommission habe die Wissenschaft mehr Stimmen als die Politik. 200 Projekte für sogenannte Exzellenz-Cluster gehen ins Rennen, drei davon kommen aus Ulm. Universitätspräsident Weber sagt: „Wir werden uns mit drei Anträgen bewerben: der Batterieforschung, der Traumaforschung und – in der Geburtsstadt Albert Einsteins – der Quantenphysik.“45 bis 50 Projekte, so rechnet Weber, werden am Ende gefördert: „Wir sind zuversichtlich, ein oder mehrere Cluster zu erhalten“, ist Weber optimistisch. Die Universität Ulm weise Parallelen zur Region und zur Stadt Ulm auf: „Hier sind auch viele Firmen unterwegs, sogenannte ,Hidden Champions’, also versteckte Firmen, die in ihrer Nische Weltspitze sind – und so ist es auch mit der Uni!“
Weltweit erfolgreiche Unternehmen wie Magirus in der Feuerwehrtechnik seien nicht direkt vergleichbar mit den Wissenschaftlern in der Quantenphysik: „Aber die Mentalität der Menschen, Lösungen zu entwickeln, zu tüfteln und zu forschen, ist hier wie dort sehr ausgeprägt.“
Immer stärker angefragt werden die Batterieforscher. Derzeit kommen Elektro-Autos mit einer tatsächlich nutzbaren Reichweite von 350 Kilometern auf den Markt: Vor zwei, drei Jahren noch undenkbar, ist die Technologie bald im Opel Ampera serienreif.
In der Wissenschaftsstadt beschäftigen sich rund 300 Forscher mit dem Thema Batterie. Im Helmholtz-Institut für Elektrochemische Energiespeicherung, das vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Uni Ulm getragen wird, und mit dem Zentrum für Sonnenenergieund Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) baut die Donaustadt das Image der „BatterieHochburg“aus. Damit wird die gesamte Breite der Batterieforschung abgedeckt – von den Grundlagen an Uni und Helmholtz-Institut bis zur angewandten Forschung beim ZSW. Professor Weber erklärt: „Die heutige Batterie-Technologie mit der Lithium-Ionen-Lösung ist ausgereizt, sodass sich unsere Forscher mit anderen Materialien beschäftigen.“Eignen sich Natrium, Magnesium, Aluminium oder Chlor, um Strom zu speichern? Auch Apfelreste habe man ausprobiert, so ist zu hören.
Wie wird der Spagat zwischen Spitzenforschung und Lehre für fast 11 000 Studenten, die heute in Ulm eingeschrieben sind, bewältigt? 15 000 Bewerbungen um die jährlich zu vergebenden 3000 Studienplätze verzeichnet die Uni. Während der Numerus clausus für Mediziner immer noch ein Traumabitur mit einer glatten „Eins“fordert, bereiten die Anfänger beispielsweise im Fach Informatik Sorgen: Abi-Noten mit einem Schnitt von 3,2 seien nicht selten: „Und diese Studenten sind dann schnell überfordert“, weiß Weber. Zwar könne sich jeder vorstellen, was ein Mediziner tue, weil jeder mal beim Arzt gewesen sei. Was den Informatiker ausmache, sei hingegen weniger bekannt. In der Folge gebe es viele Studienabbrecher.
Ulm hat eigene Teststrecken
In den nächsten Jahren werden aber gerade Informatiker gebraucht – auch für neue Formen der Mobilität. Für das vom Land geförderte „Testfeld zum vernetzten und automatisierten Fahren“hatten sich drei Großräume beworben – neben Karlsruhe/Bruchsal/Heilbronn auch Stuttgart/Ludwigsburg und Ulm. Das Land will die Testregion mit 2,5 Millionen Euro fördern. Ulm bekam zwar nicht den Zuschlag, ließ sich dennoch nicht entmutigen: „Aber das ist eben der Ulmer Spirit, der Geist, der hier herrscht“, berichtet Weber.“Ulmer Forscher nutzen, vom Ehrgeiz getrieben auch ohne Geld vom Land ihre Teststrecken: zu erleben in Ulm und um Ulm herum.