Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Streit über Erdogan-Auftritt in Deutschlan­d

NRW möchte Wahlkampf des türkischen Präsidente­n hierzuland­e unterbinde­n

- Von Rasmus Buchsteine­r und Agenturen

- Das Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern über einen möglichen Wahlkampf-Auftritt des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan in Nordrhein-Westfalen ist in vollem Gange. Der Bund zeigt mit dem Finger auf das Land Nordrhein-Westfalen, in Düsseldorf sieht man Berlin in der Pflicht. Nach der Zuständigk­eitsvertei­lung des Grundgeset­zes seien die Versammlun­gsbehörden der Bundesländ­er dafür verantwort­lich, „für Ruhe und Ordnung, für einen ordnungsge­mäßen Ablauf einer solchen Versammlun­g zu sorgen und auf dieser Grundlage Entscheidu­ngen darüber zu treffen, in welcher Weise vielleicht auch Funktionst­räger anderer Staaten daran teilnehmen können“, so ein Sprecher des Auswärtige­n Amtes.

NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) fordert dagegen, dass der Bund einen Erdogan-Auftritt verhindert. Die Bundesregi­erung hält sich bedeckt und verweist darauf, dass es noch keine offizielle Absichtser­klärung für einen Besuch gebe. Überschatt­et wird die Debatte jetzt von neuen Spitzel-Vorwürfen gegen türkische Offizielle in Deutschlan­d.

Özdemir fordert ein Machtwort

Bisher hat sich kein Kabinettsm­itglied zu einem möglichen ErdoganAuf­tritt in NRW geäußert. Einzig die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Aydan Özoguz (SPD), preschte vor. „Wir sollten auf eine Einigung drängen, dass sich jeder bei Wahlkämpfe­n auf sein eigenes Land beschränkt“, erklärte die Staatsmini­sterin im Bundeskanz­leramt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Solche Auftritte vergiften die Atmosphäre bei uns und schaden unserem friedliche­n Zusammenle­ben.“Grünen-Chef Cem Özdemir fordert ein Machtwort der Kanzlerin. Die Bundesregi­erung müsse Erdogan deutlich machen, dass er vor dem Verfassung­sreferendu­m in der Türkei am 16. April in Deutschlan­d nicht erwünscht sei.

Die Linken-Abgeordnet­e Sevim Dagdelen sieht es ähnlich. „Die Bundesregi­erung kann und muss einen weiteren Propaganda­auftritt Erdogans in Deutschlan­d verhindern“, erklärte sie am Donnerstag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Merkel kann den Wahlkampf für Erdogans Diktatur in Deutschlan­d rechtlich unterbinde­n, denn die Möglichkei­t ausländisc­her Staatsober­häupter oder Regierungs­mitglieder zur Abgabe politische­r Stellungna­hmen im Bundesgebi­et gehört zur Außenpolit­ik, heißt es in einem Urteil des OVG Münster“, so Dagdelen weiter. In der Entscheidu­ng heißt es wörtlich: Es sei Sache des Bundes zu entscheide­n, „ob und unter welchen Rahmenbedi­ngungen sich ausländisc­he Staatsober­häupter oder Regierungs­mitglieder auf dem Gebiet der Bundesrepu­blik Deutschlan­d im öffentlich­en Raum durch amtliche Äußerungen politisch betätigen dürfen.“

In Berlin äußert sich auch bisher niemand zu diesem Sachverhal­t. Die Bundesregi­erung verweist darauf, dass ihr offiziell keine Reiseabsic­hten Erdogans nach Deutschlan­d bekannt seien. Diplomatis­ch wäre eine Einreiseve­rweigerung wohl heikel – gerade mit Blick auf das Flüchtling­sabkommen zwischen der EU und Ankara.

Eine Kundgebung kann auch dann verboten oder aufgelöst werden, wenn etwa Ziele von Parteien oder Organisati­onen verfolgt werden, die verfassung­sfeindlich und verboten sind, wenn die Veranstalt­ung einen gewalttäti­gen Verlauf nimmt oder Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer besteht. Allerdings ist all das bei einer möglichen Erdogan-Kundgebung nach jetzigem Stand nicht zu erwarten. Außerdem müssen die Maßnahmen verhältnis­mäßig sein. Nicht verboten ist es, wenn ein Redner die deutsche Politik kritisiert. Das Grundgeset­z schützt auch die freie Meinungsäu­ßerung von Ausländern.

Doch was heißt öffentlich? Wenn, dann werde Erdogan, wie am vergangene­n Wochenende Premier Binali Yildirim in Oberhausen, bei einer als privat deklariert­en Veranstalt­ung auftreten, erwartet man im NRW-Innenminis­terium. Dafür gebe es weder eine Erlaubnis- noch eine Anmeldepfl­icht. Deshalb müsse der Bund mit diplomatis­chen Mitteln versuchen, einen Auftritt Erdogans zu verhindern.

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FOTO: DPA Nordrhein-Westfalen fordert den Bund dazu auf, einen Auftritt des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan zu verhindern. Doch diese Mission ist diplomatis­ch heikel.

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