Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Im Land, wo die Anthurien blühen
Die Blumeninsel Madeira weit draußen im Atlantik punktet noch immer vor allem mit ihrer üppigen Flora
Touristiker scheinen unter dem oft nicht nachvollziehbaren Druck zu stehen, gut eingeführte Destinationen immer wieder neu definieren zu müssen. Doch warum ist es nötig, einem Reiseziel, das seit vielen Jahren beliebt ist, unbedingt einen neuen Stempel aufzudrücken? Warum spricht Dietmar Malcherek, bei DER-Touristik als Bereichsleiter zuständig für das Mittelmeer, davon, dass Madeira viel mehr ist als nur eine Blumeninsel? Er erklärt, dass das Eiland weit draußen im Atlantik vor der afrikanischen Küste künftig für Aktivurlaub stehen soll, sich dort neben Wandern, Canyoning, Mountainbiken und Tauchen auch Coasteering (Abseilen, Klettern und Sprünge ins Meer), Whalewatching und Drachenfliegen etabliert haben. Anscheinend reicht es heute nicht mehr aus, nur schön zu sein. Denn das ist Madeira zweifelsohne. Zudem hat das Archipel, das zu Portugal gehört, das viel beschworene Unique Selling Proposition (USP), sprich Alleinstellungsmerkmal, um das es andere Urlaubsziele beneiden: eben diese reiche Flora.
Optimales Pflanzenklima
Allein schon der Blick aus dem Hotelzimmer (dabei ist es ziemlich egal, in welcher Herberge der Gast nächtigt) lässt an das Paradies denken: Dunkle Palmblätter wiegen sich im Wind, darunter wachsen hellgrüne Farne sowie rote, weiße und rosafarbene Anthurien, in der Ferne schimmert das blaue Meer. In der Hauptstadt Funchal, in der die meisten Hotels der Insel stehen, leben rund 100 000 Einheimische. Und jeder, der ein Eigenheim besitzt (und das sind die meisten), pflegt nicht nur einen Garten, sondern schmückt Haus, Hof, Terrasse, Außentreppe, Loggia oder Balkon mit unzähligen Kübeln, Trögen und Töpfen, in denen alle erdenklichen Blumen wachsen. „Ein Haus ohne Blumen ist ein Kuhstall“, sagen die Madeirer.
Es ist also nicht einmal nötig, einen der vielen botanischen Gärten und Parks aufzusuchen, um die enorme Blühkraft dieser Insel zu erleben. Ein Spaziergang durch die Straßen der Hauptstadt reicht schon aus. Das milde Klima mit Tiefstwerten um 15 und Höchstwerten um 25 Grad macht die Insel nicht nur zum Ganzjahresziel, es sorgt auch dafür, dass auf Madeira alles bestens gedeiht, sogar exotische Pflanzen wie Jacarandaund afrikanische Tulpenbäume lilafarbene beziehungsweise orangene Blüten austreiben. Seefahrer auf ihrem Weg nach Hause Richtung Portugal oder England haben diese exotischen Pflanzen bei ihrem Zwischenstopp in Madeira auf das Eiland gebracht.
Einen Überblick über die reiche Ernte, die die Insel hervorbringt, kann sich der Besucher täglich außer sonntags auf dem Mercado dos Lavradores (Bauernmarkt) verschaffen. Wobei Überblick eigentlich der falsche Ausdruck ist. Denn an vielen Ständen in den schmalen Gängen des Marktgebäudes, errichtet im Artdéco-Stil, ist das Angebot riesig, fast schon unüberschaubar: Avocados, Baumtomaten, Passionsfrüchte, Physalis, Guaven, Zuckeräpfel und Papayas türmen sich neben Fenchel, Pflückkohl, Karotten und Paprika. Alles Insel-Eigengewächse, genauso wie die Bananen, die in Plantagen auf der ganzen Insel angebaut werden. „Die madeirischen Bananen sind eher klein. Sie müssen aber mindestens zwölf Zentimeter lang sein, damit wir sie in andere Länder der EU exportieren dürfen“, erklärt Reiseleiterin Isabel und zuckt die Achseln ob dieser Vorschrift. Denn sie weiß, dass die kleineren Bananen, die nur im Land selbst verkauft werden dürfen, viel besser schmecken. Der Marktbesucher kann sich im Mercado dos Lavradores selbst davon überzeugen. Genauso wie vom angsteinflößenden Aussehen des schwarzen Degenfisches, der ebenfalls nicht zum Export bestimmt ist, sondern fast ausschließlich in den Restaurants der Insel kredenzt wird und köstlich mundet.
Ein Augenschmaus sind die Stände der Blumenverkäuferinnen, die im und vor dem Marktgebäude in ihren Trachten bunte Sträuße binden. Im Winter haben sie vor allem Strelitzien, Kallas und Proteas im Angebot. Aber auch mit Mimosen, Azaleen und Kamelien setzen sie Farbakzente. Nicht zu vergessen die Orchideen, die das ganze Jahr über auf der Insel gezüchtet und verkauft werden.
Das Beste an Madeira aber ist, dass diese Blumen und Früchte nicht nur in den Gärten und auf dem Markt zu bewundern sind. Auf einer Fahrt quer über die Insel von Funchal an die Nordküste nach Santana mit seinen strohgedeckten Bauernhäusern kommt der Reisende nicht nur durch den einzigartigen dunklen Lorbeerwald, der zum Unesco-Weltnaturerbe zählt, sondern auch vorbei an wilden Strelitzienbüschen, Kamelienund Akazienbäumen in allen Farben sowie knallgelben Mimosensträuchern. Und das Ende Januar! Mitten in der Wildnis sprießen Kalla, Fuchsien, Weihnachtssterne, Bougainvilleen und Passionsblumen aus dem Boden. Eine derart üppige Vegetation kennt man eigentlich nur aus den Tropen. Und so kommt der Gast aus dem Staunen kaum mehr heraus.
Mühselige Arbeit
Mit großer Verwunderung blickt er auch auf die steilen Hänge Madeiras, die, sofern sie nicht schroff und fast senkrecht zum Meer abfallen, wie Flickenteppiche aussehen. Auf den Terrassenfeldern wird hier jeder verfügbare Millimeter bewirtschaftet – mit Hacke und Sense und hartem körperlichen Einsatz. Meist sind es die Alten, die diese Mühsal auf sich nehmen, um Wein, Mais oder Zuckerrohr ernten zu können.
„Die Jungen suchen lieber Arbeit in der Hauptstadt oder gehen gleich ans Festland oder nach Übersee“, erzählt Angelo, der in seinem Landrover den Touristen die geheimnisvollen Ecken Madeiras zeigt. Die beginnen gleich im Hinterland Funchals und reichen bis in die hohen Berge. Nebel wabert zwischen den weißstämmigen Eukalyptusbäumen und lässt Wege und Wildnis nur schemenhaft erkennen. „Jurassic Park“, sagt Angelo knapp und beschreibt damit sehr genau die Szenerie. Doch statt eines Tyrannosaurus Rex taucht hinter der nächsten Kurve ein kleines Dorf auf. Und weil Angelo ein Engel ist und die Wünsche seiner Gäste sehr genau kennt, stoppt er seinen Jeep an der Bar und legt eine Poncha-Pause ein. Dieser Cocktail wird aus Zuckerrohrschnaps, Honig sowie Orangen- und Zitronensaft hergestellt. Am besten frisch. Und ja, natürlich kommen alle Zutaten für dieses Nationalgetränk von der Insel. Weitere Informationen über Madeira gibt es beim Madeira Promotion Bureau, E-Mail: Internet: Die Recherche wurde unterstützt von DER-Touristik. Der Reiseveranstalter hat unterschiedliche Pauschalangebote für Madeira in seinem Programm. Weitere Informationen: