Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Erfolg mit Blondy
Banshebi Tejiwe hat in Ulm das Brauen gelernt – Heute verkauft er Bier nach deutschem Reinheitsgebot in Äthiopien
- Dunkles Holz verströmt eine urige Kneipenatmosphäre, Dirndl tragende Kellnerinnen wuchten Halblitergläser auf massive Holztische, dazu servieren sie Schweinebraten oder Würstchen mit Sauerkraut und Kartoffelbrei. Eine Wand zieren bemalte Kacheln mit dem verschnörkelten Schriftzug „Hopfen und Malz, Gott erhalt’s“, in der gegenüberliegenden Ecke zeigen zwei hochglanzpolierte Kessel an: Hier wird das Bier frisch gebraut. Entsprechend stolz ist der Braumeister auf seine Schänke: „Wir haben nicht gespart.“
Der Braumeister heißt Banshebi Tejiwe, und seine Brauereigaststätte steht in Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien. Der 64-jährige Äthiopier bringt im „The Beer Garden Inn“seinen Landsleuten die deutsche Braukunst nahe. So wie er sie kennen und lieben gelernt hat, vor mehr als 40 Jahren an der Braumeisterschule in Ulm. Als einziger Brauer in Äthiopien hält Tejiwe sich streng ans deutsche Reinheitsgebot von 1516. Entdeckt hat er es in Ulm und im oberbayerischen Weihenstephan, wo er auf den deutschen Meistertitel noch ein Diplom-Studium im Brauwesen draufsattelte. „In Weihenstephan habe ich das deutsche Reinheitsgebot gelesen. Das hat mich wirklich bewegt“, sagt Tejiwe. Wie er es sagt, klingt es fast wie ein religiöses Bekenntnis.
Süffig und mild
Das „Beer Garden Inn“ist eine äthiopisch-deutsche Erfolgsgeschichte, ein Unikat in der Millionenmetropole Addis Abeba. Das Garden Bräu hebt sich deutlich ab von den hellen Leichtbieren, wie sie sonst im Land serviert werden. Es ist dunkler und trüber, schmeckt süffig und mild. Ein Drittel wird unter dem Namen Ebony als Dunkles serviert – gerade am Anfang war das eine Sensation für die Kunden, Dunkelbier war zuvor in Äthiopien völlig unbekannt. Der Rest geht als helles Blondy über den Tresen, die Halbe für umgerechnet knapp zwei Euro. Nicht wenig in einem der ärmsten Länder der Welt, aber in Addis Abeba gibt es eben auch eine städtische Mittelschicht. Und die löscht ihren Durst bei Banshebi Tejiwe Seite an Seite mit südafrikanischen Geschäftsleuten und Delegationsreisenden aus Deutschland.
Eröffnet wurde das „Beer Garden Inn“, zu dem auch ein Hotel gehört, 2006. Doch eigentlich beginnt seine Geschichte viel früher, im Jahr 1971, als in Äthiopien noch Kaiser Haile Selassie herrschte. Es waren unruhige Zeiten, Streiks legten das Land lahm, Studenten gingen gegen die autoritäre Herrschaft auf die Straße und forderten politische Freiheiten. Es sollte nur noch wenige Jahre dauern, bis kommunistische Militärs gegen den Kaiser putschen würden. Der junge Banshebi Tejiwe wollte Elektroingenieur werden, fand aber keinen Studienplatz. Also heuerte er bei der Großbrauerei Saint George an, die in Addis Abeba noch heute den Markt beherrscht. Dort fiel er dem Manager auf, der ihn nach Westdeutschland schickte. Genauer: nach Ulm, zur Meisterschule.
Dabei ist es nicht so, dass die Kunst des Bierbrauens unbekannt gewesen wäre in Addis Abeba. Im Gegenteil. „Eigentlich ist Bier eine Erfindung aus Babylonien, Mesopotamien – und Äthiopien“, berichtet Tejiwe mit einem gewissen Stolz. Als Tella wird es seit eh und je im äthiopischen Hochland aus den Hirsesorten Teff und Sorghum gebraut, als Zusatz zur Gärung verwendet man die getrockneten, gemahlenen Blätter des Afrikanischen Faulbaums. „Heute ist das Tella aber von industriellen Bieren zurückgedrängt worden“, berichtet Tejiwe. Und in den modernen Brauereien werden, wie auch in anderen Industriezweigen, Arbeiter in der Regel angelernt. Eine strukturierte Ausbildung gibt es nicht. Als Tejiwe nach Ulm aufbrach, gab es in ganz Äthiopien genau zwei gelernte Braumeister.
Deutschland bestand für den Neuankömmling Tejiwe zunächst einmal aus einem Zimmer in UlmSöflingen – und aus der Sprachschule. „Die Sprache war am Anfang anstrengend“, erinnert er sich. Er büffelte erst Deutsch und dann Braukunst und jobbte nebenbei bei der damals noch existierenden Ulmer Münsterbrauerei sowie bei Gold Ochsen. Und in einer Ulmer Straßenbahn lernte er seine spätere Frau kennen. Mit einem Nachbarn, einem Mann aus Burundi, sei er auf dem Weg zu einem Volksfest in der Innenstadt gewesen, erinnert sich Tejiwe. Als eine junge Frau zustieg, stand er auf, um ihr Platz zu machen. Aber es war die Zeit der Frauenbewegung, und die Deutsche reagierte irritiert auf die Höflichkeitsgeste: „Ich bin doch keine alte Frau.“Der Äthiopier insistierte: „Eine Frau steht, während Männer sitzen, das ist nicht richtig.“So entwickelte sich erst ein Gespräch und später eine Beziehung. Noch später kam die Tochter Ariane Addisitu Tejiwe auf die Welt. Deutschland wurde für Banshebi Tejiwe zur zweiten Heimat. Als er nach einer kurzen Unterbrechung zum zweiten Mal hierherkam, zum Studium nach Weihenstephan, herrschten in Äthiopien bereits die Kommunisten. Der neue Diktator Mengistu ließ die Leiche von Kaiser Haile Selassie, der kurz nach dem Putsch 1974 unter ungeklärten Umständen im Gefängnis ums Leben gekommen war, unter einer Toilette einmauern und verordnete seinem Volk eine Planwirtschaft.
Unter Mengistus Herrschaft kam es zu Hungersnöten, sie prägten das Äthiopien-Bild in der westlichen Welt. Es waren keine guten Zeiten, um eine Brauerei zu gründen. Das war aber der Traum, den Banshebi Tejiwe lange Jahre mit sich herumtrug. Bis sich 2006 – Äthiopien war mittlerweile zu einer strammen Entwicklungsdiktatur geworden und Addis Abeba auf dem Weg zu einer der am schnellsten wachsenden Metropolen Afrikas – eine Gelegenheit ergab.
Zweite Heimat
Mehrere deutsche und äthiopische Geldgeber signalisierten Bereitschaft, Geld zu investieren. Banshebi Tejiwe, der mit seiner Frau schon seit einiger Zeit wieder in Äthiopien lebte, importierte Braukessel aus Bamberg und alles andere, was für den Aufbau einer Brauerei nötig ist. Das Management im zugehörigen Hotel, ohne das sich der Biergarten nicht rechnen würde, übernahm seine Tochter. Ariane Addisitu Tejiwe, damals Ende zwanzig und ausgebildete Hotelfachfrau, wechselte vom traditionsreichen Hotel Mövenpick am Neu-Ulmer Donauufer in das Land ihres Vaters, in dem sie bis dahin nur einen kleinen Teil ihres Lebens verbracht hatte. Eine enorme Umstellung für die Deutsche: „Man spricht die Sprache und man spricht die Sprache doch nicht“, sagt sie und erklärt: weiter, „in Deutschland herrscht in der Gastronomie ein anderer Ton. Wenn man dem Kellner sagt, er soll jetzt den Gast bedienen, dann heißt das jetzt und nicht irgendwann.“Auch ihr Vater war nicht unbedingt nur begeistert vom Umzug seiner Tochter: „In Äthiopien muss man mit vielem Geduld haben, da wollte ich sie nicht reinziehen.“Fragt man den Braumeister, was er am meisten vermisst von Deutschland, fällt ihm als Erstes die ergebnisorientierte Arbeit der Behörden ein. „Das Organisierte, Strukturierte, das ist es, was ich vermisse von Deutschland“, sagt er. Wenn er dort aufs Amt gegangen sei, dann habe man ihm gesagt, diese und jene Unterlagen seien nötig, und wenn die da waren, gab es das benötigte Dokument. „Hier ist es ein langes Hin und Her, eine Zeitverschwendung.“Zu Hause wird bei den Tejiwes Deutsch gesprochen, erzählt die Tochter.
Während der Führung durch die blitzblanke Brauerei fällt Tejiwes Blick auf ein paar Röhren aus Kunststoff, an denen Zapfhähne angebracht sind. In den „Partytürmen“wird das Bier in Drei-Liter-Portionen verkauft, die Kunden können es dann selbst zapfen – ein Hauch von Event-Gastronomie hat auch zwischen dem dunklen Holz und den bemalten Kacheln des „Beer Garden Inn“Einzug gehalten. Banshebi Tejiwe ist von den Bierröhren nicht so begeistert: „Das ist keine deutsche Kultur, eigentlich.“
„In Weihenstephan habe ich das deutsche Reinheitsgebot gelesen. Das hat mich wirklich bewegt.“Banshebi Tejiwe