Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wilhelmsdorf bekommt ein neues Gesicht
Viele Gebäude der Zieglerschen müssen abgerissen werden – Neue Standorte in der ganzen Region
- Wilhelmsdorf wird nicht mehr so aussehen, wie es heute aussieht. Grund dafür ist die Dezentralisierung der Behindertenhilfe des diakonischen Unternehmens „Die Zieglerschen“. Verkürzt heißt das: Viele Gebäude des Unternehmens am Standort Wilhelmsdorf werden abgerissen, Arbeitsplätze werden an neue Standorte in Aulendorf, Bad Saulgau, Engen im Landkreis Konstanz, Friedrichshafen und Ravensburg verlagert. Innerhalb von zehn Jahren investiert das Unternehmen mehr als 50 Millionen Euro in die Behindertenhilfe. Es ist das größte Projekt in der Firmengeschichte.
„Wir werden uns auf keinen Fall vom Standort Wilhelmsdorf verabschieden“, sagt Rolf Baumann, der kaufmännische Vorstand des Unternehmens. Das ist ihm wichtig, denn immer wieder gebe es Gerüchte, die Zieglerschen würden Wilhelmsdorf verlassen. Die Riedgemeinde bleibt Sitz des Unternehmens und auch größter Arbeitgeber. Doch die Zieglerschen mit ihrer langen Tradition, die bis in die Gründerzeit Wilhelmsdorfs zurückreicht, muss sich verändern. Und das nicht ganz freiwillig.
Grund für die sogenannte Dezentralisierung sind gleichermaßen die UN-Behindertenrechtskonvention von 2009, die neue Landesheimbauverordnung (2009), das Bundesteilhabegesetz, das bereits seit 1. Januar dieses Jahres gilt, wie auch Brandschutzbestimmungen. Das Stichwort, das über allem steht, heißt Inklusion. Wilhelmsdorf lebt diesen Begriff schon seit Jahren vorbildhaft und gilt als mustergültige Inklusionsgemeinde. Doch Inklusion soll sich nicht nur an einzelnen Orten zeigen, sie soll in die Gesellschaft hineinwirken. Deshalb soll sich die Behindertenhilfe künftig nicht nur auf Wilhelmsdorf und die Gemeinde Horgenzell, wo sich die Heimsonderschule Haslachmühle der Zieglerschen befindet, konzentrieren. Deswegen begeben sich die Zieglerschen an die bereits oben genannten Standorte.
Pro Heimplatz ein Arbeitsplatz
109 Plätze für Menschen mit Behinderung verlagern sich von Wilhelmsdorf und der Haslachmühle weg. 69 sind bereits weg. Insgesamt hat das Unternehmen 524 Plätze in der Behindertenhilfe in den Gemeinden Wilhelmsdorf und Horgenzell. Die Zieglerschen rechnen damit, dass pro Platz auch ein Arbeitsplatz verlagert wird. Vor einem Jahr eröffneten die Zieglerschen einen Standort in Aulendorf. Laut kaufmännischem Vorstand haben sich dafür genug freiwillige Mitarbeiter gefunden, die nach Aulendorf mitgegangen sind.
Für das Unternehmen ist die Dezentralisierung eine Mammutaufgabe. Christoph Arnegger, als Geschäftsführer zuständig für das Gebäudemanagement, berichtet von einem Riesenverwaltungsaufwand. Durch die neue Landesheimbauverordnung sind neue Standards für die Heime festgelegt worden. Fast überall gelten neue Regelungen oder Maße. Ein Beispiel: Bisher gab es auch Doppelzimmer, jetzt gilt Einzelzimmerstandard. Ein Zimmer mit Pflegebett braucht jetzt mindestens eine Breite von 3,20 Meter. Die Zieglerschen haben aber teilweise einen alten Gebäudebestand, bei dem die neuen Regelungen nicht erfüllt werden können. Teilweise geht es um wenige Zentimeter. Dann kann es schnell passieren, dass ein ganzes Gebäude nicht mehr genutzt werden kann. Die Folge: Abriss. Aber auch Brandschutzreglungen, die schon zur Schließung des Mehlsacks in Ravensburg und der Waldburg geführt haben, erfordern an dem ein oder anderen Gebäude Handlungsbedarf oder machen eine Sanierung so teuer, dass sie sich nicht mehr rechnet und neu gebaut werden muss. Momentan wird der ganze Gebäudebestand analysiert (Baumann: „Pro Gebäude ein Leitz-Ordner.“).
Vöhringer-Schule wird abgerissen
So wird unter anderem die GotthilfVöhringer-Schule abgerissen, wie Rolf Baumann auf Nachfrage sagt. Wie die Schwäbische Zeitung berichtete, war die Schule zuerst als Flüchtlingsunterkunft angedacht. Die Gemeinde Wilhelmsdorf hatte noch unter Altbürgermeister Hans Gerstlauer einen Vorvertrag zum Kauf der Schule geschlossen. Doch der Sanierungsaufwand wäre für die Gemeinde zu teuer geworden, weswegen sie vom Vertrag zurücktrat, zumal sich auch die Wohnraumsituation für Flüchtlinge gegenüber 2015 entspannt hat.
Zurück zu den Zimmern: Sollten manche den neuen Maßen nicht entsprechen, können die Zieglerschen auch Ausnahmegenehmigungen beantragen. Dann wird jedes Zimmer noch einmal untersucht. „Dies betrifft rund 250 Zimmer, das sind fast alle Zimmer“, sagt Sarah Benkißer, Pressesprecherin der Zieglerschen.
Doch was bedeutet die Dezentralisierung für die Gemeinde Wilhelmsdorf ? An erster Stelle ein Wegfall von Arbeitsplätzen, weniger Einwohner, was sich auf die Schlüsselzuweisungen des Landes auswirkt, aber auch große Chancen, wie Bürgermeisterin Sandra Flucht sagt. „Für Wilhelmsdorf ergeben sich Möglichkeiten in der Wohnbebauung, zum Beispiel barrierefreier Wohnraum“, so Flucht. Auch im Geschosswohnungsbau habe die Gemeinde noch Bedarf. Sie könne sich aber auch „an der ein oder anderen Stelle“Mischflächen vorstellen, wo sich ruhiges Gewerbe ansiedeln könne, wie es in der Riedhauser Straße der Fall ist.
Grundsätzlich muss die Landesheimbauverordnung bis 2019 umgesetzt sein. Die Zieglerschen fordern daher auch eine Art Konversionsprogramm für soziale Einrichtungen, ähnlich wie bei den Bundeswehrstandorten. Dazu befinde man sich im Gespräch mit der Landespolitik, denn gerade für den ländlichen Raum gelten besondere Anforderungen, sagt Rolf Baumann.