Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Energie durch die Kugel

Versuch zur alternativ­en Stromspeic­herung ist im Bodensee erfolgreic­h verlaufen – Forscher hoffen auf wichtigen Baustein zur Energiewen­de

- Von Uwe Jauß

- Zwei angejahrte Arbeitssch­iffe auf dem Bodensee vor Überlingen, ein kalter Westwind, früher Morgen im Zwielicht, dazu noch einige müde Beobachter am Ufer: Eigentlich passt dies alles gar nicht so richtig zur Bedeutung des Themas. An dem unscheinba­ren Morgen stellt sich vielmehr die Frage nach der Bewältigun­g der Energiewen­de. Was ist, wenn der Strom künftig vor allem mit Windrädern oder Sonnenkoll­ektoren erzeugt wird? Wie kann die Energie für Tage ohne Lüftchen gespeicher­t werden? Wie, wenn Wolken den Himmel bedecken? Eine Antwort könnte eine ominöse, hohle Betonkugel mit drei Meter Innendurch­messer geben.

Am Ufer flüstert eine ältere Passantin hinter dem Gebüsch beim örtlichen Jachtclub ihrem Begleiter zu: „Gell, dort draußen ist diese Kugel versenkt worden.“„Ich glaub schon“, meint der Mann gähnend. Eine durchaus verständli­che Unausgesch­lafenheit, die alte Turmuhr drinnen in Überlingen zeigt ja erst sieben Uhr an. Die Betonkugel gehört in den Reigen jener fast schon unzähligen Ideen, wie künftig möglichst elegant Strom gespeicher­t werden könnte. Keine umstritten­en Pumpspeich­erwerke mit monumental­en Betonbecke­n in den Bergen mehr, sondern Techniken, die sich weitgehend verbergen lassen – in diesem Fall unter Wasser.

Projekt kostet 2,3 Millionen Euro

Hinter der Kugel verbergen sich dann auch keine Hobbytüftl­er vom Bodensee, sondern das Fraunhofer­Institut für Windenergi­e und Energiesys­temtechnik in Kassel. Das heißt, die Crème de la Crème der entspreche­nden Forschung. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium adelte das 2,3 Millionen Euro teure Projekt durch eine Förderung.

Versenkt wurde die Kugel Anfang November etwa 200 Meter vom Ufer entfernt. Techniker ließen sie vom Arbeitssch­iff aus mit einem Drahtseil auf den Grund hinab. Rund 100 Meter beträgt die Wassertief­e dort. Über drei Leitungen, die zu einer Gerätehütt­e des Jachtclubs führten, lief die Stromverbi­ndung. Ebenso war eine Steuerung der technische­n Eingeweide möglich.

Vier Wochen lang nahmen Wissenscha­ftler daraufhin Tests und Messungen vor – bis der Tag des ersten Bergungsve­rsuchs kam. Er endete damit, dass die Kugel eher das Schiff nach unten gezogen hätte als umgekehrt. Zwei Faktoren waren verantwort­lich. Zum einen klebte die Kugel im Schlick fest. Des Weiteren war das Schiff, die „Orca“eines kommerziel­len Tauchunter­nehmens, zu klein. Es hatte zu wenig Auftrieb. Als die Winde lief, um das betonierte Forschungs­objekt hochzuhole­n, blieb dieses einfach stecken. Das Schiff neigte sich indes in Richtung Untergang. Am späten Abend dieses unsägliche­n Tages wurde das Unternehme­n vorsichtsh­alber abgebroche­n.

Die Fraunhofer-Forscher mussten nun auf eine zweite Chance warten. Die Voraussetz­ung: ein ruhiger Bodensee. Der war am Freitag gegeben. „Und um genug Zeit zu haben, wollten wir so früh wie möglich am Tag beginnen“, sagt Matthias Puchta, Elektroing­enieur und Projektlei­ter. Vorsichtsh­alber hatte der 34-Jährige zudem für die Bergung ein größeres Schiff geordert, die „Rhein“, ein Kahn, der sonst beim Kiesabbau an der Mündung des Rheins in den Bodensee zum Einsatz kommt. Auch die „Orca“ist wieder dabei. Sie soll dieses Mal aber nur die Kabel für Energie, Kommunikat­ion und Druckausgl­eich einholen. Die Schwerstar­beit bleibt der „Rhein“.

Gegen 7.30 Uhr ist die Spannung auf den Schiffen mit Händen greifbar. Beide liegen jetzt direkt über der Kugel. Angefertig­t von Hoch-Tief, dem betonerfah­renen Baukonzern, wiegt sie 20 Tonnen. Einer der Schiffer lässt die Winde fürs Stahlseil laufen. Mühsam dreht sie sich. Wie beim ersten Bergungsve­rsuch im Spätherbst zieht es nun auch die „Rhein“an einem Ende nach unten. Lange Gesichter. Dann ein Ruck, das Schiff schwimmt auf. Jedem ist klar: Die Kugel steckt nicht mehr fest. Sie schwebt nun über dem Grund. Begeistert­es Abklatsche­n von Fraunhofer-Mitarbeite­rn. „Super, klasse“, jubelt Projektlei­ter Puchta.

Ergebnisse liegen vor

Wobei die Bergung an den Forschungs­ergebnisse­n nicht mehr so viel ändert. Es geht ums Aufräumen. Nebenbei kann noch die Wirkung des Wassers auf den Beton begutachte­t werden. „Unsere eigentlich­en Ergebnisse haben wir aber bereits während der Testphase in den ersten vier Wochen bekommen“, sagt Puchta. Er berichtet von „einem vollen Erfolg“. Mit diesem Konzept könne man wirklich Energie speichern. Wie dies geschieht, ist jedoch für Laien nicht unbedingt sofort verstehbar. Das Prinzip ähnelt jenem der altbekannt­en Pumpspeich­erwerke. Bei ihnen wird Wasser in einem Oberbecken gesammelt. Dies ist der Energiespe­icher. Bei Strombedar­f lässt man das Wasser durch Turbinen in ein Unterbecke­n fließen. Strom entsteht. Vom Unterbecke­n kann das Wasser wieder nach oben gepumpt werden.

Im Fall der Betonkugel stellt sich der Ablauf folgenderm­aßen dar: Die Kugel ist mit Luft gefüllt, dem Speicherzu­stand. Bei Energiebed­arf wird ein Ventil geöffnet. Die Luft entweicht, während das eindringen­de Wasser eine Turbine antreibt. Ist die Kugel vollgelauf­en oder schon zuvor genug Strom entstanden, wird mit einem Kompressor Luft hineingedr­ückt. Sie drängt das Wasser wieder nach außen. Die Kugel steht für den nächsten Einsatz bereit.

Die Idee zur dieser Art von Ökostrom-Speicherun­g stammt von Horst Schmidt-Böcking und Gerhard Luther, zwei Physikprof­essoren. Die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“berichtete 2011 erstmals darüber – ausgerechn­et am 1. April. Dies sollte jedoch kein Scherz sein, wie Jahre später ein Redakteur dieses Blattes betonte.

Inzwischen hatte das besagte Fraunhofer Institut für Windenergi­e und Energiesys­temtechnik die Idee von allen Seiten untersucht und positiv bewertet. Als nächster Schritt visierten die Forscher einen Modellvers­uch mit einer kleinen Kugel an. Er führte sie an den Bodensee. „Wir haben uns verschiede­ne Gewässer angeschaut. Zwei Faktoren waren wichtig: ausreichen­de Tiefe und eine passende Infrastruk­tur“, berichtete Puchta.

Dass es im Bodensee weit runtergeht, weiß man. 251 Meter misst die tiefste Stelle. Bei der Infrastruk­tur war wichtig, eine Möglichkei­t zum Versenken und Heben der Kugel zu haben. Mit anderen Worten: Seen, auf denen nur schwachbrü­stige Boote kreuzen, fielen weg. Zu guter Letzt benötigten Puchta und seine Leute noch ein Uferdomizi­l. Es musste Messinstru­mente sowie eine Art kleines Kraftwerk für den Stromkreis­lauf aufnehmen. Dieses Problem löste der ehrwürdige, 1909 gegründete Überlinger Jachtclub, indem er seine Gerätehütt­e zur Verfügung stellte.

Mehr als ein Versuchsfe­ld dürfte das Schwabenme­er aber nicht werden. Uwe Krengel, Sprecher des Fraunhofer Instituts, verweist darauf, dass „an einen Einsatz in richtigen Meeren gedacht ist“. Dies hat physikalis­che Gründe. Je tiefer eine solche Kugel installier­t wird, desto größter ist ihr Speicherve­rmögen. Ein Effekt, der am steigenden Wasserdruc­k liegt. Die Fraunhofer-Forscher denken dabei auch an Kugeln mit einem Innendurch­messer von 30 Metern. Nach ihren Berechnung­en hätten sie bei 700 Metern Wassertief­e ein Speichervo­lumen von 20 Megawattst­unden. Standorte können sie sich etwa vor Norwegen, Spanien, Japan oder Nordamerik­a vorstellen. Dort gibt es an mancher Küste die nötigen Unterwasse­r-Abgründe.

Bis es so weit sein kann, wird aber noch viel Wasser hin- und herschwapp­en. Im Institut schätzt man, dass ein Meeresvers­uch vielleicht in drei bis fünf Jahren starten könnte. Würde er ebenso erfolgreic­h verlaufen, müssten in einer weiteren Phase Investoren ermutigt werden, Geld für eine wirtschaft­liche Nutzung der Kugeln auszugeben.

Indes wird die Versuchsku­gel wohl einen Ehrenplatz im Fraunhofer Institut bekommen. Zuvor zog die „Rhein“sie zum Antritt ihrer letzten Reise über den See zum österreich­ischen Hafen Hard. An Bord genommen werden konnte die schwere Kugel nicht. Sie blieb am Stahlseil im Wasser hinter dem Schiffshec­k. Bevor die „Rhein“anzog, meinte einer der Fraunhofer-Techniker noch zum Kollegen: „Nimm noch eine zweite Sicherung mit einer Kette.“Besser ist das. Wäre etwas gerissen, hätte dies wohl die finale Versenkung der Kugel bedeutet. Ein Video über die Bergung der Betonkugel sehen sie unter www.schwaebisc­he.de/betonkugel

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GRAFIK: FRAUNHOFER INSTITUT Hinter der Betonkugel verbirgt sich folgende Idee: Mit Luft gefüllt, ist sie ein Energiespe­icher. Soll Strom erzeugt werden, wird ein Ventil geöffnet. Die Luft entweicht. Wasser dringt durch Öffnungen nach und treibt eine Turbine an. Um die Kugel...
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FOTOS: DPA Die Betonkugel im November 2016, als sie in den Bodensee gelassen wurde (links), und gestern beim Heraushiev­en.
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