Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Homo heidelbergensis aß Dachs und Wildbeerendessert
Wissenschaftlerin hat 600 000 Jahre Ess- und Trinkkultur in Baden-Württemberg erforscht und in einem Buch zusammengefasst
(epd) - Verglichen mit den Leckerbissen, die unsere Vorfahren auftischten, kann die heutige Küche fast etwas fantasielos erscheinen: Nirgends gibt es gerösteten Biberschwanz mit Pfeffermus, wie ihn sich die Maulbronner Zisterzienser im 12. Jahrhundert gönnten. Die gebratene Dachskeule der Steinzeitmenschen erscheint nicht auf den Speisekarten, und eigenhändig in Ziegenmilch gemästete Weinbergschnecken mit trockenem Weißwein, eine Spezialität der Römer, werden auch nicht serviert.
Wieder auf den Tisch der Öffentlichkeit gebracht werden die Speisen von der Kulturmanagerin Susanne Hilz-Wagner. Mehr als zehn Jahre lang hat die Karlsruherin in Bibliotheken und Archiven recherchiert, mit Museumsleitern und Forschern gesprochen sowie alte Mühlen und Klöster durchforstet, um ein wahres Mammutwerk über die Ess- und Trinkkultur zu schaffen: das 480 Seiten dicke Buch „Am Anfang war der Feuerstein – Kulturführer durch 600 000 Jahre Ess- und Trinkgeschichte(n) aus der Region BadenWürttemberg“.
In dem 1100 Abbildungen umfassenden Wälzer schlägt Hilz-Wagner einen riesigen Bogen. Sie beginnt bei der Feuerstelle des Homo heidelbergensis – des bis heute ersten nachgewiesenen Menschen in Baden-Württemberg – und endet bei den Konfitüren der Neuzeit. Die ersten BadenWürttemberger verspeisten wohl Höhlenbärenschinken an Kräutersoße und Wildbeerendessert. Für den kleinen Hunger zwischendurch gab es geröstete Haselnüsse oder Bucheckern.
Ungenießbare Suppen
Weiter geht es über die Kelten, Römer und Merowinger bis in das Mittelalter und seine vielfältigen Küchen. Als da wären die Fahrküchen auf dem Konstanzer Konzil 1414, die mit Fleisch, Fisch und Vögeln gefüllte Brote verkauften – ähnlich dem heutigen Döner. Es folgen die herrschaftlichen Küchen der badischen Markgrafen und der Herzoginnen von Württemberg mit ihren erlesenen Schokoladentorten. Aber auch die Küchen der Maulbronner Klosterschule sind ein Thema, wo sich die Köche den Klagen der Klosterschüler wegen der ungenießbaren Suppen ausgesetzt sahen.
Zudem setzt die gelernte Verwaltungswirtin noch einige Schwerpunkte, zum Beispiel zur Entwicklung des Weins, des Bieres, aber auch von Teig- und Backwaren. „Die Kulturund Sozialgeschichte BadenWürttembergs ist so riesig“, sagt Hilz-Wagner, „dass ich aus jeder Region und Epoche nur exemplarisch Themen vorstellen kann.“
Diese Themen kombiniert sie im Buch mit Fotos, Abbildungen und Hintergrundinformationen zu Museen, Ausgrabungen und Kunsthallen in Baden-Württemberg, in denen die vergangenen Epochen erlebt werden können. „Mit dem Buch möchte ich einen weiteren Zugang zu Kulturstätten schaffen“, sagt HilzWagner, die in Karlsruhe auch historische Kostümführungen anbietet. Hilz-Wagner betont, dass ihre Rezepte weder zum Nachahmen gedacht noch zu empfehlen sind. Und dann freut man sich auch wieder über die heutige Küche. Denn wer möchte denn der besseren Verdauung wegen in Öl eingelegte Regenwürmer verspeisen, wie es ein Rezept des baden-durlachischen Hofes empfiehlt? Selbst wenn die Würmer in Wein abgekocht sind.
Susanne Hilz-Wagner: „Am Anfang war der Feuerstein. Kulturführer durch 600 000 Jahre Essund Trinkgeschichte(n) aus der Region Baden-Württemberg – Ich sammle, also bin ich“, 480 Seiten, Preis: 36 Euro bis 21. März, danach 44 Euro. Direkt bei der Autorin erhältlich unter der EmailAdresse: feuerstein@email.de