Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Deutschland vereinbart enge Kooperation mit Tunesien
Abgelehnter Asylbewerber sollen einfacher abgeschoben werden – Zusammenarbeit im Kampf gegen Terror
- Deutschland und Tunesien haben sich auf eine engere Zusammenarbeit bei der Identifizierung und Rückführung abgelehnter Asylbewerber geeinigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Freitag bei einem Besuch in Tunis, sie habe sich mit dem tunesischen Präsidenten Béji Caïd Essebsi auf ein Abkommen verständigt, das unter anderem ein Verfahren für schnellere Rückführungen in das nordafrikanische Land vorsieht.
Beim gemeinsamen Auftritt mit Essebsi fordert der Gast aus Deutschland die Menschen in Tunesien auf, sich für Stabilität und den Erhalt der jungen Demokratie einzusetzen. Die junge Demokratie in Tunesien sei ein „Leuchtturm der Hoffnung“für die arabische Welt, sagt Merkel und verspricht, Deutschland werde das Land am Mittelmeer „nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten auf diesem Weg unterstützen“. Präsident Essebsi nennt den Besuch einen „qualitativen Sprung in den bilateralen Beziehungen“.
Ermutigung im Parlament
„Tunesien geht seinen Weg“, lobt Merkel im Parlament in Tunis die Entwicklung des Landes nach dem Arabischen Frühling 2011. Anders als in den nordafrikanischen Nachbarstaaten scheint hier der Aufbruch in Richtung Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu gelingen. „Parlamente sind das politische Herzstück unserer freiheitlichen Demokratien“, erklärt die Kanzlerin und ruft den Parlamentariern zu: „Wir bauen auf Sie.“Merkel sichert die „volle Unterstützung und Zusammenarbeit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“zu.
Merkel will Tunesiens weiteren Weg von der Diktatur in Richtung einer stabilen Demokratie unterstützen. Schließlich erinnert die Kanzlerin ebenso an die Opfer des Attentats auf dem naheliegenden Bardo-Palast, des Anschlags auf Touristen am Strand in Sousse und nicht zuletzt an den Terrorakt des tunesischen Islamisten Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. „So wie wir in der Verabscheuung der Verbrechen geeint sind, so müssen wir auch unsere Kräfte einen im Kampf gegen Terrorismus“, fordert Merkel. Deutschland wolle „ein guter Partner“sein. 250 Millionen Euro für Entwicklungshilfe leistet Deutschland in diesem Jahr. 15 Millionen Euro sind Starthilfe für freiwillige Rückkehrer.
Die Kanzlerin macht Druck. Die 1500 ausreisepflichtigen Tunesier aus Deutschland sollen schneller abgeschoben werden. „Wer keine Aufenthaltsberechtigung hat, muss unser Land wieder verlassen – notfalls zwangsweise, aber möglichst auf freiwilliger Basis“, sagt Merkel. Pünktlich zum Besuch haben sich beide Seiten auf ein fünfseitiges Abkommen verständigt, dass Rückführungen künftig auch per Charter-und nicht wie bisher nur mit Linienmaschinen durchgeführt werden können. Deutschland will Tunesien beim Grenzschutz unterstützen und Hilfe beim Aufbau eines Asylsystems leisten.
Um solche Fehler wie im Fall Anis Amri in Zukunft zu vermeiden, wollen die Innenministerien und Sicherheitsbehörden in Berlin und Tunis sich künftig besser austauschen. Der Schwindel mit falschen Identitäten soll erschwert, Ersatzpapiere für tunesische Flüchtlinge in nur fünf Tagen bereitgestellt werden, ein direkter Draht zwischen Spitzenbeamten der Innenbehörden künftig bei Gefahr in Verzug helfen.
Der Plan, in den Staaten Nordafrikas Auffanglager für Flüchtlinge einzurichten, ist vom Tisch. Der tunesische Ministerpräsident Youssef Chahed hatte vor zwei Wochen bei seinem Besuch in Berlin im Fall des islamistischen Terroristen Fehler bestritten und die von der EU und der Bundesregierung geforderten Auffanglager in Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten abgelehnt.
Stattdessen will Berlin bei der Sicherung der Grenzen und der Küsten und im Kampf gegen Schleuser helfen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit verstärken. So sollen sich Tunesien und Ägypten an der „Sofia“-Mission im Mittelmeer beteiligen und Schiffe stellen. Merkel will Tunesien und Ägypten dafür gewinnen, ihr Engagement für eine Stabilisierung Libyens zu verstärken. Die Sorge über mehr Chaos und neue Flüchtlingsströme aus dem Krisenland ist groß.
Am Nachmittag stellt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ein deutsch-tunesisches Zentrum für Beschäftigung, Migration und Reintegration vor, das Rückkehrern den Start erleichtern soll. 250 deutsche Unternehmen sind in Tunesien aktiv, investieren und bieten 55 000 Arbeitsplätze an. Merkels Appell: „Ich kann Sie nur ermuntern, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.“