Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Gauner auf offener Bühne entlarvt
Prävention auf der Theaterbühne – Das Stück „Hallo Oma, ich brauch Geld“zeigt, wie der Enkeltrick funktioniert
Es geht zu wie beim Volkstheater: Das Publikum murmelt und murrt, nickt und applaudiert. Ab und an wird einer der rund 150 Senioren im Saal auf die improvisierte Bühne gebeten und darf ein paar Minuten mitspielen. Was sich nach Ohnsorg- oder Millowitsch-Theater anhört, ist in Wirklichkeit: polizeilich geförderte Vorbeugung.
Mit einem Zwei-Mann-MitmachTheater wollen der Stuttgarter Autor Allan Mathiasch und sein Mitspieler Felix Beck an diesem Tag im Stuttgarter Polizeipräsidium alte Menschen über Tricks aufklären, mit denen gut organisierte Ganovenbanden Senioren zu betrügen versuchen. Es geht um den sogenannten Enkeltrick und seine Abwandlungen. Das Theaterstück „Hallo Oma, ich brauch Geld!“zeigt praktisch, wie psychologisch geschickt die vermeintliche finanzielle Notlage des angeblichen Enkels präsentiert wird.
Neu ist die Masche, bei der sich die Gauner als Polizisten ausgeben und über angebliche Einbruchsserien in der Umgebung des Angerufenen berichten: Der Betroffene sei stark gefährdet, und wie er denn seine Wertsachen schütze. Gerne wollen die vermeintlichen Freunde und Helfer mal selbst nach dem Rechten sehen, weil sich das ja alles gar nicht so sicher anhöre – der Enkel ist jetzt also Polizist.
Nach Erkenntnissen des Stuttgarter Polizeipräsidenten Franz Lutz gehört auch die getürkte Telefonschaltung mit einem angeblichen Staatsanwalt und einem vermeintlichen Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) zum Repertoire. Das macht auf manchen Eindruck. Lutz spricht mit Blick auf die alternde Gesellschaft von einer „Zielgruppe, die immer größer wird“.
Zahlen belegen das. Allein zwischen 2012 und 2015 stieg die Zahl der beim baden-württembergischen Landeskriminalamt (LKA) registrierten Enkeltrick-Delikte um mehr als 150 Prozent auf 1482. Auf Deutschland hochgerechnet – das Bundeskriminalamt hat keine Zahlen, weil nicht alle Länder den Enkeltrick einzeln statistisch erfassen – sind es demnach sicher mehr als 10 000 angezeigte Fälle im Jahr. Gering Allan Mathiasch, der auf der Bühne den Ganoven spielt, rät den Senioren zur gesunden Skepsis sind indes sowohl die aus Tätersicht erfolgreichen Versuche wie auch die Aufklärungsquote. Aber wenn der Betrug funktioniert, geht die Schadenssumme bis ins Sechsstellige, in einem Stuttgarter Fall ging es fast um eine halbe Million.
Lutz glaubt, dass die Zahlen nicht die ganze Realität widerspiegeln. Viele Opfer schämten sich, dass sie sich so übers Ohr hauen ließen und zeigen den Betrug nicht einmal an. Selbst das familiäre oder soziale Umfeld wird im Nachhinein oft nicht informiert, die Vereinsamung des Ausgenommenen nimmt zu. „Die Menschen werden so ein zweites Mal zu Opfern“, sagt Lutz.
„Hallo Oma, ich brauch Geld!“wurde in den vergangenen fünf Jahren bundesweit rund 120-mal aufgeführt. Derzeit gibt es Kooperationen mit Theaterpädagogen in München und Köln, weitere Auftritte sind angedacht. Im Vorjahr wurde das Stück mit dem zweiten Preis beim „European Crime Prevention Award“ausgezeichnet. Die Zielrichtung ist klar: Die Vorführung will helfen, nicht auf Trickbetrüger reinzufallen. Das kann man lernen.
Bei der Vorführung in Stuttgart kommt eine rüstige Rentnerin aufs Podium. Burschikos weist sie Anrufer Mathiasch in seine Grenzen, gibt keine Informationen über sich preis und beendet nach kurzer Zeit das Gespräch. Abtritt und Applaus. Dann folgt unter Einbeziehung des Publikums die kurze Analyse: Was war richtig, was falsch? Das Publikum tuschelt und flüstert sich gegenseitig die unterschiedlichen Einschätzungen zu.
„Hören Sie auf ihr Bauchgefühl. Sobald Sie es den Gaunern schwer machen, werden Sie vom Opfer zum Gegner“, rät Mathiasch den Senioren. Ihm ist wichtig, dass das modular aufgebaute Stück situationsgemäß von Vorstellung zu Vorstellung angepasst werden kann. Die Reaktionen zeigen, dass das funktioniert. Alle blicken gebannt auf die Bühne und schauen der nächsten Vorführung zu. Denn der Enkeltrick ist nicht die einzige Masche, mit der bevorzugt Senioren reingelegt werden sollen. Da wäre beispielsweise auch der Trick am Bankautomaten.
Da folgt ein netter Mann dem Rentner, klingelt an seiner Wohnung und entschuldigt sich, das gerade gezogene Geld sei wegen eines Versehens der Bank leider falsch. Und weil ja keiner wolle, dass der Senior wegen der Verbreitung von Falschgeld Ärger bekomme und im Gefängnis lande, könne er ihm, dem Bankbeamten, gerne die falschen Scheine aushändigen – natürlich gegen Quittung. Er bekomme später neue.
Oder der überraschende Gewinn bei einem Preisausschreiben. Da hat doch tatsächlich ein Bekannter ein Kreuzworträtsel gelöst und die Karte mit der Adresse des Angerufenen ausgefüllt. Und, man glaubt es kaum, er ist der Sieger und hat einen funkelnagelneuen Peugeot gewonnen, Wert 20 000 Euro. Der Wagen stehe in Marseille und müsse nur noch nach Deutschland gebracht werden. Das Geld für die Überführung gehöre aber leider nicht zum Gewinn und müsse vorgestreckt werden.
Was sich schräg anhören mag – bei manchem gutgläubigen Opfer funktioniert es. Wer „Hallo Oma, ich brauch Geld!“gesehen hat, dürfte sowohl gewarnt, als auch besser vor den teils infamen Tricks der Telefonanruferbanden gefeit sein. Ihre Opfer suchen sich die Verbrecher meist aus Telefonbüchern aus. Wer beispielsweise Wilhelm, Hubert, Erna oder Marianne heißt, ist viel stärker gefährdet als Kevin, Jessica und Abdullah. Denn allein der Vorname gibt einen zuverlässigen Hinweis darauf, aus welcher Generation ein Mensch stammt – und damit auch, ob er ein potenzielles Opfer solcher Gauner ist.
Für den Theatermann Allan Mathiasch steht fest: „Das Problem entsteht, wenn sich der Einzelne überhaupt auf ein solches Gespräch einlässt. Die Täter sind Profis.“Und dann ist es schnell mehr als nur Komödienstadl.