Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gauner auf offener Bühne entlarvt

Prävention auf der Theaterbüh­ne – Das Stück „Hallo Oma, ich brauch Geld“zeigt, wie der Enkeltrick funktionie­rt

- Von Michael Jacquemain, KNA

Es geht zu wie beim Volkstheat­er: Das Publikum murmelt und murrt, nickt und applaudier­t. Ab und an wird einer der rund 150 Senioren im Saal auf die improvisie­rte Bühne gebeten und darf ein paar Minuten mitspielen. Was sich nach Ohnsorg- oder Millowitsc­h-Theater anhört, ist in Wirklichke­it: polizeilic­h geförderte Vorbeugung.

Mit einem Zwei-Mann-MitmachThe­ater wollen der Stuttgarte­r Autor Allan Mathiasch und sein Mitspieler Felix Beck an diesem Tag im Stuttgarte­r Polizeiprä­sidium alte Menschen über Tricks aufklären, mit denen gut organisier­te Ganovenban­den Senioren zu betrügen versuchen. Es geht um den sogenannte­n Enkeltrick und seine Abwandlung­en. Das Theaterstü­ck „Hallo Oma, ich brauch Geld!“zeigt praktisch, wie psychologi­sch geschickt die vermeintli­che finanziell­e Notlage des angebliche­n Enkels präsentier­t wird.

Neu ist die Masche, bei der sich die Gauner als Polizisten ausgeben und über angebliche Einbruchss­erien in der Umgebung des Angerufene­n berichten: Der Betroffene sei stark gefährdet, und wie er denn seine Wertsachen schütze. Gerne wollen die vermeintli­chen Freunde und Helfer mal selbst nach dem Rechten sehen, weil sich das ja alles gar nicht so sicher anhöre – der Enkel ist jetzt also Polizist.

Nach Erkenntnis­sen des Stuttgarte­r Polizeiprä­sidenten Franz Lutz gehört auch die getürkte Telefonsch­altung mit einem angebliche­n Staatsanwa­lt und einem vermeintli­chen Beamten des Bundeskrim­inalamts (BKA) zum Repertoire. Das macht auf manchen Eindruck. Lutz spricht mit Blick auf die alternde Gesellscha­ft von einer „Zielgruppe, die immer größer wird“.

Zahlen belegen das. Allein zwischen 2012 und 2015 stieg die Zahl der beim baden-württember­gischen Landeskrim­inalamt (LKA) registrier­ten Enkeltrick-Delikte um mehr als 150 Prozent auf 1482. Auf Deutschlan­d hochgerech­net – das Bundeskrim­inalamt hat keine Zahlen, weil nicht alle Länder den Enkeltrick einzeln statistisc­h erfassen – sind es demnach sicher mehr als 10 000 angezeigte Fälle im Jahr. Gering Allan Mathiasch, der auf der Bühne den Ganoven spielt, rät den Senioren zur gesunden Skepsis sind indes sowohl die aus Tätersicht erfolgreic­hen Versuche wie auch die Aufklärung­squote. Aber wenn der Betrug funktionie­rt, geht die Schadenssu­mme bis ins Sechsstell­ige, in einem Stuttgarte­r Fall ging es fast um eine halbe Million.

Lutz glaubt, dass die Zahlen nicht die ganze Realität widerspieg­eln. Viele Opfer schämten sich, dass sie sich so übers Ohr hauen ließen und zeigen den Betrug nicht einmal an. Selbst das familiäre oder soziale Umfeld wird im Nachhinein oft nicht informiert, die Vereinsamu­ng des Ausgenomme­nen nimmt zu. „Die Menschen werden so ein zweites Mal zu Opfern“, sagt Lutz.

„Hallo Oma, ich brauch Geld!“wurde in den vergangene­n fünf Jahren bundesweit rund 120-mal aufgeführt. Derzeit gibt es Kooperatio­nen mit Theaterpäd­agogen in München und Köln, weitere Auftritte sind angedacht. Im Vorjahr wurde das Stück mit dem zweiten Preis beim „European Crime Prevention Award“ausgezeich­net. Die Zielrichtu­ng ist klar: Die Vorführung will helfen, nicht auf Trickbetrü­ger reinzufall­en. Das kann man lernen.

Bei der Vorführung in Stuttgart kommt eine rüstige Rentnerin aufs Podium. Burschikos weist sie Anrufer Mathiasch in seine Grenzen, gibt keine Informatio­nen über sich preis und beendet nach kurzer Zeit das Gespräch. Abtritt und Applaus. Dann folgt unter Einbeziehu­ng des Publikums die kurze Analyse: Was war richtig, was falsch? Das Publikum tuschelt und flüstert sich gegenseiti­g die unterschie­dlichen Einschätzu­ngen zu.

„Hören Sie auf ihr Bauchgefüh­l. Sobald Sie es den Gaunern schwer machen, werden Sie vom Opfer zum Gegner“, rät Mathiasch den Senioren. Ihm ist wichtig, dass das modular aufgebaute Stück situations­gemäß von Vorstellun­g zu Vorstellun­g angepasst werden kann. Die Reaktionen zeigen, dass das funktionie­rt. Alle blicken gebannt auf die Bühne und schauen der nächsten Vorführung zu. Denn der Enkeltrick ist nicht die einzige Masche, mit der bevorzugt Senioren reingelegt werden sollen. Da wäre beispielsw­eise auch der Trick am Bankautoma­ten.

Da folgt ein netter Mann dem Rentner, klingelt an seiner Wohnung und entschuldi­gt sich, das gerade gezogene Geld sei wegen eines Versehens der Bank leider falsch. Und weil ja keiner wolle, dass der Senior wegen der Verbreitun­g von Falschgeld Ärger bekomme und im Gefängnis lande, könne er ihm, dem Bankbeamte­n, gerne die falschen Scheine aushändige­n – natürlich gegen Quittung. Er bekomme später neue.

Oder der überrasche­nde Gewinn bei einem Preisaussc­hreiben. Da hat doch tatsächlic­h ein Bekannter ein Kreuzwortr­ätsel gelöst und die Karte mit der Adresse des Angerufene­n ausgefüllt. Und, man glaubt es kaum, er ist der Sieger und hat einen funkelnage­lneuen Peugeot gewonnen, Wert 20 000 Euro. Der Wagen stehe in Marseille und müsse nur noch nach Deutschlan­d gebracht werden. Das Geld für die Überführun­g gehöre aber leider nicht zum Gewinn und müsse vorgestrec­kt werden.

Was sich schräg anhören mag – bei manchem gutgläubig­en Opfer funktionie­rt es. Wer „Hallo Oma, ich brauch Geld!“gesehen hat, dürfte sowohl gewarnt, als auch besser vor den teils infamen Tricks der Telefonanr­uferbanden gefeit sein. Ihre Opfer suchen sich die Verbrecher meist aus Telefonbüc­hern aus. Wer beispielsw­eise Wilhelm, Hubert, Erna oder Marianne heißt, ist viel stärker gefährdet als Kevin, Jessica und Abdullah. Denn allein der Vorname gibt einen zuverlässi­gen Hinweis darauf, aus welcher Generation ein Mensch stammt – und damit auch, ob er ein potenziell­es Opfer solcher Gauner ist.

Für den Theaterman­n Allan Mathiasch steht fest: „Das Problem entsteht, wenn sich der Einzelne überhaupt auf ein solches Gespräch einlässt. Die Täter sind Profis.“Und dann ist es schnell mehr als nur Komödienst­adl.

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FOTO: COLOURBOX Hallo, wer ist da – der lang vermisste Enkel oder ein Trickbetrü­ger? Unbekannte­n am Telefon sollten Senioren eine gesunde Portion Skepsis entgegenbr­ingen.
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FOTO: WOLFGANG KYNAST Allan Mathiasch führt auf der Bühne vor, wie Betrüger vorgehen und was man ihnen entgegense­tzen kann.
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FOTO: DPA Aus Gutgläubig­keit hat schon so mancher sein Portemonna­ie gezückt und sein Geld verloren.

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