Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mehr Kombi geht nicht
Das neue Mercedes E 200 T-Modell rollt am Rande der Perfektion
Was müssen wir von einem Automobil erwarten, das – ausgerüstet mit allem erdenklichen technischen Schnickschnack – satte 87 096 Euro und zehn Cent kostet? Perfektion? Genau, das ist es! Man wird ja noch träumen dürfen angesichts einer Investition in der Größenordnung einer kleinen Eigentumswohnung. Die Latte liegt also hoch für das neue Mercedes E 200 T-Modell, den schwäbischen First-Class-Kombi, den die Passanten zwei Wochen lang neugierig und mit Fragezeichen in den Augen umkurven. Wir stellen deshalb zwei Dinge unmissverständlich klar: Nein, wir haben nicht im Lotto gewonnen, bei der luxuriösen Karosse handelt es sich (leider) nur um einen Testwagen. Und ja, die Sache mit der Perfektion haben die Tüftler und Schrauber der Marke mit dem glänzenden Stern ganz gut drauf. Sehr gut sogar, um genau zu sein.
Bevor jetzt die Designer der Stuttgarter Edelschmiede beleidigt aufheulen, sei noch ergänzt: Auch sie verstehen ihr Handwerk vorzüglich. Haben sie doch einen Lademeister auf die Straße gezaubert, der glücklicherweise nichts mehr gemein hat mit den klobigen Kombivehikeln vergangener Zeiten. Im Gegenteil. Mehr sportliche Eleganz war selten in dieser Klasse. Die extrem weit vorgezogene Kühlerhaube, der rassige, mächtige Grill mit dem Stern in der Mitte und die lang gestreckte Silhouette mit der leicht abfallenden Dachlinie verleihen dem T-Modell ein eigenes, ein überaus feines Gesicht. Nicht nur betuchte Ästheten dürften das zu schätzen wissen.
Natürlich haben Berufsnörgler recht, die an dieser Stelle beherzt einwenden, dass ein Kombi nicht schön, sondern zuallererst praktisch sein muss. Gemach, wir wollten gerade auf den Laderaum zu sprechen kommen! Und finden auch hier – trotz akribischer Mängelsuche – nur lobende Worte. Dass die Heckklappe elektrisch nach einem angedeuteten Fußtritt unter den Stoßfänger aufschwingt und Erwachsene darunter aufrecht stehen können – geschenkt, das schaffen auch wesentlich günstigere Karossen. Gleiches gilt übrigens auch für das ausgeklügelte Laderaummanagement mit Schienen, Bändern und Streben. Wesentlich bemerkenswerter erscheint uns da doch das Fassungsvermögen: Zwischen 640 und 1820 Liter schluckt das T-Modell, etwas weniger als der Vorgänger, was der schnittigeren Form geschuldet ist. Zu einem Spitzenplatz im Feld der Konkurrenten – beispielsweise Audi A6 oder BMW Fünfer – reicht das dennoch. Nur zur Veranschaulichung: 19 Getränkekisten mit 1,0-Liter-Flaschen, verspricht Mercedes, können bei voller Besetzung mit fünf Personen transportiert werden. Und die angetraute Beifahrerin schwört Stein und Bein, dass der Kofferraum bei umgeklappter Rückbank problemlos das Ehebett ersetzen könne – zumindest vom Platzangebot her.
Zugegeben, beides haben wir nicht ausprobiert – und sind dennoch überzeugt von den Qualitäten des Kombis. Nicht zuletzt wegen diverser Kleinigkeiten, die nicht sofort ins Auge fallen. Als da wären: die niedrige Ladekante (58 Zentimeter), die das Packen auch ohne vorherigen Besuch in der Muckibude ermöglicht, der doppelte Laderaumboden, der das Verstauen von Kleinigkeiten erleichtert, die bei aufschwingender Heckklappe automatisch zurückfahrende Abdeckung, die Rücksitze, die auf Knopfdruck ganz von allein umfallen und eine ebene Fläche freigeben, die optionale dritte Sitzbank. All das ist praktisch und durchdacht. Mehr Kombi geht wahrscheinlich nicht.
Sprachen wir eigentlich schon vom Innenraum? Nein? Macht nichts, denn wirklich Überraschendes gibt es auch von dort nicht zu berichten. Vorn wie hinten Bein- und Kopffreiheit in Hülle und Fülle, perfekt einzustellende Sitze mit Massagefunktion, die ohne Weiteres auch als gemütliche Fernsehsessel durchgehen würden, edle, gut verarbeitete Materialien, einfache Bedienung im übersichtlichen Cockpit, genügend Ablagemöglichkeiten. Verzichten würden wir hingegen ohne größere Schmerzen auf die zahlreichen Bedienmöglichkeiten: Berührungsempfindliche Touch Control Buttons in Knopfgröße am Lenkrad, mit deren Hilfe der Fahrer wie bei einem Smartphone durchs Infotainmentsystem wischen kann (Achtung, Fingerfertigkeit gefragt!), Touchpad auf der Mittelkonsole, Dreh-Drück-Steller und Sprachsteuerung – weniger kann durchaus mehr sein.
Eine Erfahrung, die wir übrigens auch mit dem Motor im E 200 gemacht haben. Der kleinste Benziner im Portfolio mit seinen 184 Pferden bewegt die gut 1,7 Tonnen – allen Skeptikern zum Trotz – angemessen schnell und durchzugsstark. Schade nur, dass er sich dabei mit 8,3 Litern Durchschnittsverbrauch unangemessen weit von dem vom Hersteller angegebenen Trinkverhalten entfernt. Ein Wermutstropfen in einem Meer von Perfektion.
Was sonst noch unbedingt gesagt werden muss? Etwa, dass die (aufpreispflichtige) Luftfederung an beiden Achsen das Gefühl vermittelt, in einer Sänfte auf Straßen ohne Bodenwellen und Schlaglöcher unterwegs zu sein? Oder dass die zusätzliche Dämmung Motor- und Windgeräuschen den Garaus macht? Oder dass der E 200 schon ganz nah am autonomen Fahren ist, dem Vordermann allein auch durch Kurven folgen und selbsttätig zum Überholen ausscheren kann? Ach was, das haben Sie doch bereits vermutet bei einem Preis von 87 096 Euro und zehn Cent.
Überzeugendes Design, komfortables Fahrverhalten, üppiges Platzangebot, sehr gute Dämmung des Innenraums Große Abweichung zwischen Test- und Normverbrauch