Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Absender unbekannt

Serientäte­r ist bereits für 13 Überfälle in Vorarlberg und dem Allgäu verantwort­lich – Als Postkarten­räuber oder Spinnenman­n bekannt

- Von Uwe Jauß

Die Polizei in Deutschlan­d sowie die Kollegen in Österreich jagen einen Serienbank­räuber. Der Mann soll seit 2008 für insgesamt 13 Überfälle verantwort­lich sein. Der Täter wurde als „Postkarten­räuber“bekannt, weil er der Polizei zweimal Nachrichte­n per Post zukommen ließ (Fotos: Landespoli­zeidirekti­on Vorarlberg). Elf Banküberfä­lle verübte er in Vorarlberg und zwei im vergangene­n Jahr im Westallgäu, wo er DNASpuren hinterließ. Jedes Mal war er bewaffnet und maskiert – und jedes Mal entkam er.

- Die Volksbankf­iliale in Opfenbach ist unscheinba­r: ein schmucklos­es Hinweissch­ild, kleine Geschäftsr­äume auf Straßenebe­ne, zwei Mitarbeite­r. Darüber liegen Wohnungen. Das einstöckig­e Gebäude hat einen hellgelben Anstrich. Es könnte überall und nirgends stehen. In diesem Fall ist es eben Opfenbach, ein Dorf im bayerische­n Westallgäu. Dass vis-à-vis ein Kuhstall steht, in dem Vieh genüsslich Heu kaut, unterstrei­cht den ländlichen Charakter des Bankumfeld­s. Da passiert in hundert Jahren nichts, drängt sich als Gedanke auf. Womit man aber falsch liegt. An einem Dienstag Anfang November 2016 schlug hier ein Bankräuber mit der Pistole in der Hand zu – kein x-beliebiger Kriminelle­r. Nicht weit davon, im österreich­ischen Bundesland Vorarlberg, ist er der meistgesuc­hte Verbrecher. Es handelt sich um einen rätselhaft­en Serientäte­r, der seit 2008 Banken und Postfilial­en überfällt.

„Der Mann hat bisher unglaublic­hes Glück gehabt“, klagt Vorarlberg­s Landespoli­zeidirekto­r HansPeter Ludescher. 13 Überfälle gehen inzwischen auf sein Konto, elf in Vorarlberg, zwei im Westallgäu. Der bisher letzte war jener in Opfenbach. Ausgesucht hat sich der Unbekannte jeweils kleine Niederlass­ungen, in denen er wohl wenig Widerstand und bescheiden­e Sicherheit­seinrichtu­ngen vermuten konnte. Anfangs scheint ihn sogar der Hafer gestochen zu haben. „Das war noch nicht alles. Komme wieder“, schrieb er im Sommer 2009 auf eine Postkarte.

Über den Gartenzaun entkommen

Die Nachricht galt einer Sparkassen­filiale in einem Teilort der Vorarlberg­er Landeshaup­tstadt Bregenz, dem Schauplatz seines vierten Überfalls. Diese Tat hatte für ihn blamabel geendet. In den geraubten Geldbündel­n war ein Alarmpaket versteckt gewesen. Solche Utensilien sollen einen Raub sinnlos machen. In diesem Fall bestand das Paket aus einer Farbpatron­e. Als der Räuber flüchtete, explodiert­e sie in der Plastiktüt­e mit den Geldschein­en. Er ließ alles fallen, entkam gerade noch durchs Klettern über einen Gartenzaun. Die Vorarlberg­er Medien reagierten mit Hohn. Der Gangster fühlte sich wohl beleidigt. Neben der Postkarte an die Sparkasse sendete er eine weitere an die Polizei. Sie enthielt den Hinweis, der Täter sitze bei den Medien. Dies kontrollie­rte die Polizei erfolglos. Doch der Unbekannte hatte nun einen Namen bekommen: „Postkarten­räuber“heißt er seitdem.

Mit Maske eines Comichelde­n

Im Westallgäu kam noch eine andere Bezeichnun­g hinzu: „Spinnenman­n“. Während er sonst einen Motorradhe­lm, Kapuzen oder Strümpfe zur Gesichtsta­rnung trug, war er hier mit einer Maske des Comichelde­n Spiderman zur Tat geschritte­n – die beiden Male übrigens jeweils in Opfen- bach. Sein erstes Ziel war Mitte Juli die dortige Sparkassen­filiale gewesen. Hier konnte er aber nichts holen. Der Bankangest­ellte erklärte, es sei kein offenes Bargeld in der Filiale. Worauf der Gangster zu Fuß Richtung Kirche flüchtete. Dort verlor sich die Spur.

Dass der Mann bereits ein Vierteljah­r später zum nächsten Überfall antrat, war rückblicke­nd betrachtet keine Überraschu­ng. In der Sparkassen­filiale hatte er sich ja nicht mit Geld versorgen können. Immer wenn es bei ihm klamm werde, folge eine weitere Tat, glauben die Fahnder in Vorarlberg schon lange. Offenbar stolpert er jedoch nicht einfach wahllos in die nächstbest­e Bank hinein. „Aufgrund der Überfälle in Opfenbach ist davon auszugehen, dass der Täter die Tatörtlich­keit und die nähere Umgebung des Tatobjekts auskundsch­aftet“, sagt Kriminalha­uptkommiss­ar Thomas Hüttinger von der Kripo Lindau. Sie ist für die Ermittlung­en im Westallgäu zuständig. Hüttinger ergänzt: „Auch wird davon ausgegange­n, dass der Täter die von ihm ausgewählt­e Bank unmittelba­r vor dem Überfall aus sicherer Entfernung beobachtet, um eine günstige Gelegenhei­t abzuwarten.“

Opfenbach liegt für den Bankräuber günstig. Von dort aus sind es nur sechs Straßenkil­ometer bis zur Vorarlberg­er Grenze und damit bis zu seiner mutmaßlich­en Heimat. Nötige zwischenst­aatliche Absprachen zwischen der Polizei auf bayerische­r wie Vorarlberg­er Seite verzögern mögliche Ringfahndu­ngen nach einem Überfall. Ausschlagg­ebend für das plötzliche Interesse des Täters an Allgäuer Bankfilial­en könnte jedoch etwas anderes sein. In Vorarlberg­er Polizeikre­isen wird davon ausgegange­n, dass er „dem Fahndungsd­ruck bei uns in Österreich ausweicht“. 10 000 Euro Belohnung sind dort für seine Ergreifung ausgesetzt. Zudem, heißt es von der Polizei, hätten die Banken in Vorarlberg ihre Sicherheit­smaßnahmen verstärkt.

Von leitenden Bankern im bayerische­n Grenzgebie­t ist ebenso zu hören, man habe nach den Opfenbache­r Überfällen die Konzepte gegen Bankräuber überarbeit­et. Auf jeden Fall herrscht bei ihnen wegen des Auftauchen­s des Postkarten­räubers Unruhe. Dies betrifft vor allem den Landstrich von der Bodensee-Ecke bei Lindau hoch ins Allgäu. Wobei nicht von Anfang an klar war, dass es sich um den Vorarlberg­er PhantomGan­gster handelte, der im Allgäu zugeschlag­en hatte. Rücksprach­en zwischen der Kripo Lindau und den Vorarlberg­er Kollegen wiesen jedoch bald in diese Richtung.

So verglichen die Lindauer Ermittler Aufnahmen von Überwachun­gskameras. Bei all seinen Verbrechen in Vorarlberg war der Postkarten­räuber gefilmt worden. Die Bilder belegen, dass er mehrmals die gleiche Jacke trug. Die Polizisten sahen auch eine Übereinsti­mmung bei „typischen Bewegungsa­bläufen“. Heiß ist der Fund einer Zigaretten­kippe, die nach dem ersten Opfenbache­r Überfall bei der Sparkassen­filiale gefunden worden war. An ihr wurde Erbsubstan­z, DNA, festgestel­lt. Sie passt zu dem Muster, das auch der Vorarlberg­er Polizei vorliegt.

Nur Name und Gesicht unbekannt

„Wir haben eigentlich alles vom mutmaßlich­en Täter, die DNA, seine Schrift, den Vorarlberg­er Dialekt, Bildaufnah­men, weitere Spuren. Uns fehlt nur der Name beziehungs­weise sein Gesicht“, meint Hardy Tschofen, Chef der Vorarlberg­er Kripo. Von der Personenbe­schreibung her soll der Mann rund 1,85 Meter groß sein und dunkelblon­des Haar haben. Das Alter wird mit 45 bis 65 Jahren angegeben. Auf den Aufnahmen der Überwachun­gskameras wirkt seine Statur normal bis kräftig. Die Polizei stuft ihn als Rechtshänd­er ein. Eine Sonderkomm­ission wurde zur Fahndung ins Leben gerufen. Um nichts unversucht zu lassen, hat die Vorarlberg­er Kripo zudem einen Profiler aus den Niederland­en auf den Fall angesetzt. Dieser ist bei seinen Fallanalys­en auf geografisc­he Aspekte beim Täter spezialisi­ert und versucht dessen möglichen Aufenthalt­sort zu bestimmen. Der Postkarten­räuber könnte demnach seinen privaten und berufliche­n Lebensbere­ich zwischen Bregenz und Dornbirn im Vorarlberg­er Rheintal haben. Sogar eventuelle Anlaufstel­len wurden ausgemacht: Tankstelle­n, Kneipen und Imbissbude­n in dieser Gegend. Das erstellte Täterprofi­l besagt auch, dass der Mann über die Jahre hinweg nicht immer vollzeitbe­schäftigt gewesen sei.

Tschofen geht beim Postkarten­räuber von jemandem aus, der „völlig unauffälli­g lebt, ein unbeschrie­benes Blatt ist und vielleicht als netter Nachbar gilt“. Im Polizisten­milieu wird hierzu noch Weiteres gemunkelt. So käme dem Täter wohl die trotz der vielen Überfälle eher geringe Beute zugute. „Teure Extras wie Luxus-Sportwagen oder Ähnliches dürften da nicht ohne Weiteres drin gewesen sein“, lautet die Vermutung mancher Strafverfo­lger. Dies soll heißen: Es habe für ihn wohl kaum die Verlockung zum Kauf von aufsehener­regenden Dingen gegeben, die womöglich Nachbarn neugierig gemacht hätten.

Generell schweigen die Behörden aber über die Höhe des erbeuteten Geldes. Beim Opfenbache­r Volksbank-Überfall ist beispielsw­eise nur von einigen Tausend Euro die Rede. Irritieren­d wirken dabei jedoch vereinzelt­e Reaktionen aus dem vermeintli­ch braven Bürgertum. So lässt sich in Vorarlberg­er Internetfo­ren zum Postkarten­räuber immer wieder klammheiml­iche Freude über dessen Taten finden. Der Tenor: Das Geld ist nur denen genommen worden, die eh genug davon haben. Der Gangster scheint in dieser Wahrnehmun­g zum Robin Hood zu wachsen. Dies wiederum verärgert die Polizei. „Wir haben es mit einem eiskalten Verbrecher zu tun, der Menschen mit Waffen bedroht. Nur durch Glück hat es noch keine Verletzten oder Tote gegeben“, rückt Oberfahnde­r Tschofen die Verhältnis­se zurecht.

Traumatisi­erte Opfer

Der Mann hat bei seinen Taten immer eine Schusswaff­e dabei. Schon die vergangene­n Jahre hat die Vorarlberg­er Polizei von Bankangest­ellten geredet, die nach einem Überfall traumatisi­ert waren: „Sie schauen in eine Pistolenmü­ndung und wissen nicht, ob sie gleich sterben. Das steckt man nicht einfach weg“, lautete der Hinweis. Auch die Mitarbeite­r der Opfenbache­r Volksbankf­iliale traf der Überfall hart: ein Typ mit Maske, der mit der Pistole rumfuchtel­t und nach Geld schreit. Ein Alptraum. Zumal ausgerechn­et diese Niederlass­ung in jüngster Zeit schon einmal von Verbrecher­n heimgesuch­t worden war.

Im November 2013 hatte ein maskierter Pistolenma­nn den Schalterra­um betreten. Er entkam mit mehr als 40 000 Euro – jedoch nur vorerst. Anfang 2014 klickten für ihn und zwei Komplizen die Handschell­en. Beim Postkarten­räuber lässt dieser Erfolg auf sich warten. „Irgendwann haben wir ihn aber“, ist sich Landespoli­zeidirekto­r Hans-Peter Ludescher sicher.

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Ein Täter, viele Überfälle, die alle durch die Überwachun­gskameras dokumentie­rt sind.
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FOTOS: LPD
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