Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gabriel zeigt der Türkei Grenzen auf

Außenminis­ter verbittet sich Nazi-Vergleiche – Landtag debattiert das schwierige Verhältnis

- Von Katja Korf und unseren Agenturen

- Die Krise im Verhältnis zwischen Deutschlan­d und der Türkei hält auch nach dem Treffen der Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) und Mevlüt Cavusoglu am Mittwoch an. Nach der Begegnung in Berlin traten die Politiker getrennt vor die Presse. Gabriel sagte, er hoffe auf eine schrittwei­se Normalisie­rung der Beziehunge­n: „Wir waren uns einig, dass keine Seite ein Interesse daran hat, die Beziehunge­n nachhaltig zu beschädige­n.“Gabriel bezeichnet­e das Gespräch als „hart und kontrovers“, aber freundlich. Weitere Nazi-Vergleiche seitens der türkischen Regierung dürfe es aber nicht mehr geben: „Es gibt Grenzen, die man nicht überschrei­ten darf.“

Cavusoglu schlug dagegen scharfe Töne an. Deutsche Medien begegneten der Türkei zunehmend feindselig, kritisiert­e er auf der Reisemesse ITB. Zugleich warb er dort um deutsche Touristen: „Die Türkei ist so sicher wie Deutschlan­d.“Am Vortag hatte er das heutige Deutschlan­d mit der Nazidiktat­ur verglichen.

Ankara hatte sich zuvor über die Absage von Wahlkampfa­uftritten türkischer Minister in Deutschlan­d beschwert, einem davon in Gaggenau (Ortenaukre­is). Der dortige Bürgermeis­ter hatte als Erster eine Veranstalt­ung wegen Sicherheit­sbedenken abgesagt. Hierfür erhielt er am Mittwoch im Stuttgarte­r Landtag viel Lob von Rednern aller Fraktionen. Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) betonte, die meisten der 260 000 Menschen türkischer Herkunft im Südwesten hätten über Jahrzehnte ihren Beitrag zur Erfolgsges­chichte des Landes geleistet. „Wir lassen uns nicht spalten – von Ankara nicht und von euch im Übrigen auch nicht“, sagte Strobl mit Blick auf AfD-Fraktionsc­hef Jörg Meuthen. Dieser sprach von „zu vielen Türken“, die Deutschlan­d verachtete­n. Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) sorgte derweil mit einem satirische­n Brief an den türkischen Regierungs­chef Recep Tayyip Erdogan für Aufsehen. So schrieb Palmer bei Facebook unter anderem ironisch: „Ich möchte mich für die ‚Nazi-Methoden‘ entschuldi­gen, die mein nichtswürd­iger Kollege in Gaggenau gegen ihren ehrenwerte­n Justizmini­ster eingesetzt hat.“

Palmers Brief lesen Sie auf schwaebisc­he.de/palmer-brief

- Keine gemeinsame Pressekonf­erenz, kein deutsch-türkischer Händedruck vor laufenden Kameras – Sigmar Gabriel kommt am Mittwochfr­üh um 7.30 Uhr durch den Hintereing­ang. Der deutsche Außenminis­ter wird von Mevlüt Cavusoglu, seinem Amtskolleg­en aus Ankara, im Berliner Nobelhotel „Adlon“zum Frühstück empfangen.

So etwas sieht das Protokoll eigentlich nicht vor. Es gehört zu den Gepflogenh­eiten in Berlin, dass der Bundesauße­nminister offizielle Gäste im Auswärtige­n Amt begrüßt. Doch was ist schon normal in diesen Zeiten in den Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und der Türkei. Gut, offen und ehrlich sei es gewesen, zieht Gabriel nach anderthalb Stunden Gespräch Bilanz: „Freundlich im Umgang, aber durchaus hart und kontrovers in der Sache.“Beide Seiten hätten das Interesse, die deutschtür­kischen Beziehunge­n nicht nachhaltig zu beschädige­n. Das klang erst einmal versöhnlic­h.

Thema Auftrittso­rte

Die Begegnung war der Versuch einer Schadensbe­grenzung – nach Tagen und Wochen der Zuspitzung, mit Äußerungen des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und anderer führender AKP-Politiker, die Deutschlan­d Nazi-Methoden vorgeworfe­n hatten. Die beispiello­se Eskalation im Streit um WahlkampfA­uftritte türkischer Politiker und der Fall des inhaftiert­en „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel bestimmten das Treffen. Wie steht es um mögliche weitere Wahlkampf-Auftritte? Was wird aus dem geplanten Deutschlan­d-Termin von Präsident Erdogan? Im Auswärtige­n Amt hüllt man sich in Schweigen. Es gebe keine offizielle Ankündigun­g eines Erdogan-Besuchs, heißt es. Lediglich der Sportminis­ter habe sich angesagt. Doch soll zumindest darüber gesprochen worden sein, was geeignete Orte für einen Auftritt des Präsidente­n sein könnten.

„Es gibt Grenzen, die man nicht überschrei­ten darf“, spricht Gabriel Klartext, fordert ein Ende der NaziVergle­iche. Dialog ja, aber nicht mit solchen Attacken, so die Botschaft. „Es ist klar, dass, wer bei uns reden will, immer auf ein Land trifft, das für die freie Meinungsäu­ßerung eintritt, aber man muss sich in Deutschlan­d an die Spielregel­n halten“, sagt der Vizekanzle­r und setzt nach: „Regeln des Rechts, aber auch Regeln des Anstands.“Dass die Bundesregi­erung genau diese Regeln verletzt sieht, ist klar.

Kein gemeinsame­r Auftritt

Gut möglich, dass die beiden den Konflikt vor laufenden Kameras offen ausgetrage­n hätten. Gabriels Mitarbeite­r im Auswärtige­n Amt erinnern sich noch genau an eine Pressekonf­erenz mit Cavusoglu und dem damaligen deutschen Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier im November in Ankara, die völlig aus dem Ruder gelaufen war. Deshalb verzichtet man lieber auf einen gemeinsame­n Auftritt vor Journalist­en.

Kaum ist das Treffen vorüber, macht sich Mevlüt Cavusoglu auch schon auf den Weg zur Tourismusm­esse ITB – eigentlich um die Werbetromm­el für die Türkei als Urlaubslan­d zu rühren, das unter massiven Einbußen leidet. „Die Türkei ist so sicher wie Deutschlan­d“, sagt er dort. Doch der Außenminis­ter bleibt auch auf der ITB bei seiner scharfen Rhetorik. „Wir bitten Deutschlan­d, sich zu entscheide­n, ob es die Türkei als Freund oder als Feind sehen will“, erklärte der Minister. Es gebe in Deutschlan­d eine massive „Verunglimp­fungskampa­gne“gegen Präsident Erdogan und die Türkei. Die Gegner eines Präsidials­ystems würden bei ihren Aktivitäte­n in Deutschlan­d nicht eingeschrä­nkt, die Befürworte­r jedoch schon.

Tourismusm­inister sagt ab

Mag Cavusoglu seinen Kollegen Gabriel auch als „Freund“bezeichnen: Das Klima zwischen den Regierunge­n in Berlin und Ankara bleibt auch nach dem Treffen angespannt. Am Mittwochab­end sagt der türkische Tourismusm­inister Nabi Avci ohne Angabe von Gründen einen geplanten Auftritt in einem Hochzeitss­aal in Berlin-Kreuzberg ab. Stattdesse­n nimmt Avci am Abend einen Termin in der türkischen Botschaft wahr. Der Minister hatte in dem Festsaal vor den in Deutschlan­d lebenden Türken sprechen und dabei auch für das umstritten­e Verfassung­sreferendu­m in seinem Land werben wollen.

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FOTO: DPA Eiszeit: Die diplomatis­chen Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und der Türkei bleiben unterkühlt. Auf der Reisemesse ITB in Berlin warb der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu für sein Land.

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