Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Handynutze­r am Steuer sind im Blindflug unterwegs

Polizei vergleicht solche Smartphone-User mit Betrunkene­n – 3636 Verkehrste­ilnehmer erwischt – Hohe Dunkelziff­er

- Von Ludger Möllers

- Wenn er von Autofahrer­n berichtet, die während der Fahrt mailen, chatten, SMS schreiben oder telefonier­en, wird der sonst ruhig agierende Ulmer Polizeiprä­sident Christian Nill sauer. Die Unfallzahl­en haben sich 2016 nicht sonderlich aufregend entwickelt, Schwerpunk­te sind nicht erkennbar, berichtet Nill am Dienstag in Laupheim. Wer aber gleichzeit­ig am Steuer und bei Facebook unterwegs ist, darf nicht auf Nills Gnade hoffen: „Nur eine Sekunde bei Tempo 50 auf das Telefon zu schauen, bedeuten 14 Meter Blindflug. Da fahren Sie an zwei parkenden Autos vorbei oder auch über eine Kreuzung. Oder über ein Kind, das Sie nicht gesehen haben, weil Sie sich bewusst haben ablenken lassen“, mahnt der oberste Ordnungshü­ter zwischen Biberach und Heidenheim.

Zwar haben die Beamten im vergangene­n Jahr im Bereich des Polizeiprä­sidiums Ulm 3636 Betroffene ertappt, die während der Fahrt am Smartphone waren. Das bedeutet Faktor 15 im Vergleich zu 2012. „Und gefühlt ist das nur die Spitze des Eisbergs, wer sich aufmerksam auf der Straße bewegt, sieht immer mehr Menschen, die neben dem Fahren telefonier­en, chatten, mailen oder gar in den sozialen Medien unterwegs sind“, sagt Nill und kündigt an, die Kontrollen weiter zu verstärken. Welche Unfälle 2016 auf die Handynutzu­ng zurückzufü­hren waren, lasse sich nicht feststelle­n. 60 Euro und ein Punkt in Flensburg seien deutlich zu milde, fordert Nill: „Es hilft nur die Keule.“

Mitschuld bei einem Unfall

Vielen Autofahrer­n sei nicht bewusst, dass die Ablenkung durchs Handy mit den Folgen erhebliche­n Alkoholkon­sums zu vergleiche­n sei: „Wer mit dem Handy spielt, hat ähnliche Reaktionsz­eiten wie jemand, der sich mit 0,8 bis 1,1 Promille im Blut ans Steuer setzt“, weiß Erster Polizeihau­ptkommissa­r Joachim Eggensberg­er: „So, wie Alkohol am Steuer heute weitgehend geächtet ist, müssen wir auch die Handynutzu­ng ächten.“

Ebenfalls fällt den Polizisten auf, dass vielen Autofahrer­n die Gesetzesla­ge nicht bekannt ist: „Dass sie fürs Telefonier­en eine Freisprech­einrichtun­g nutzen müssen, sollte sich herumgespr­ochen haben“, sagt Nill. Aber es sei während der Fahrt ebenfalls nicht gestattet, beispielsw­eise eine SMS zu lesen, den Klingelton leiser zu stellen oder die Uhrzeit abzulesen. Mails oder WhatsApp-Nachrichte­n zu schreiben, sei absolut tabu. Kommt es während der Handynutzu­ng zu einem Unfall, kann dem Autofahrer sogar ein Mitverschu­lden zugeschrie­ben werden. Mögliche Schäden werden eventuell nicht oder nur teilweise erstattet. „Prinzipiel­l ist alles untersagt, bei dem man das Handy zur Benutzung in die Hand nimmt“, sagt Sina Schmitt, Expertin der R+V-Versicheru­ng. Steckt das Handy hingegen in einer Halterung, kann es bedient werden – etwa um einen Anruf über die Freisprech­einrichtun­g anzunehmen oder die Navigation­sfunktion zu nutzen. Doch der Ulmer Polizei sind diese Verbote zu wenig, sie setzt auf Einsicht. Schon allein die Bedienung lenke ab, mahnt Pressespre­cher Wolfgang Jürgens: „Denn nicht nur das eigene Auto muss beherrscht werden. Andere Fahrzeuge, Fußgänger, der Zustand der Straße, das Wetter, die Tageszeit: Alle diese Dinge wirken sich auf den Fahrer aus. Wer sich dann noch von Mitfahrern oder Technik wie etwa Radio oder Telefon ablenken lässt, begibt sich schnell in Gefahr und gefährdet damit auch andere.“

„Nur eine Sekunde bei Tempo 50 auf das Telefon zu schauen, bedeuten 14 Meter Blindflug.“Polizeiprä­sident Christian Nill

Anhalten, dann chatten

Die Polizei rät: „Lassen Sie sich nicht ablenken. Suchen Sie dazu lieber eine Haltemögli­chkeit.“Steht das Fahrzeug und der Motor ist ausgeschal­tet, ist die Handynutzu­ngerlaubt. Und unterwegs? Jürgens rät: „Lassen Sie den Beifahrer die Technik bedienen. Telefon, Radio oder Navi können notfalls auch ein paar Minuten warten.“

 ?? FOTO: DPA ?? Eine Hand am Smartphone, die andere am Lenkrad: Fast jeder Autofahrer greift nach Beobachtun­gen der Beamten des Polizeiprä­sidiums Ulms trotz großer Unfallgefa­hr zum Handy. Mit verstärkte­n Kontrollen und Aufklärung­sarbeit will die Polizei diesem Trend...
FOTO: DPA Eine Hand am Smartphone, die andere am Lenkrad: Fast jeder Autofahrer greift nach Beobachtun­gen der Beamten des Polizeiprä­sidiums Ulms trotz großer Unfallgefa­hr zum Handy. Mit verstärkte­n Kontrollen und Aufklärung­sarbeit will die Polizei diesem Trend...

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