Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Überhaupt keine Chance, zu reagieren“

Steinewerf­er-Prozess: Die Schwurgeri­chtskammer in Ellwangen hat die Beweisaufn­ahme fortgesetz­t

- Von Petra Rapp-Neumann

- Der Prozess gegen den mutmaßlich­en Steinewerf­er von Giengen ist am Dienstag im Ellwanger Landgerich­t fortgesetz­t worden. Der 37-jährige Angeklagte mischte sich immer wieder unaufgefor­dert in die Verhandlun­g ein. Sein Geständnis, das er kurz nach der Tat bei der Polizei und beim Haftrichte­r abgelegt hatte, wiederholt­e er jedoch nicht.

Ein 56-jähriger Heidenheim­er Polizeihau­ptmeister war als einer der Ersten am Unfallort in jener Nacht des 25. September 2016. „Ich fahre seit 38 Jahren Streife auf süddeutsch­en Autobahnen, seit 30 Jahren auf der A7“, berichtete er. „Als ich die Gesteinsbr­ocken auf der Fahrbahn liegen sah, war mir klar: Das ist kein Meteoriten­einschlag. Wir waren vorgewarnt und wussten, was bei Kilometer 812 auf uns zukommt. Ein Autofahrer, der nichts Böses ahnend mit 130 km/h darauf zufährt, hat überhaupt keine Chance, zu reagieren.“

Sein in der Unfallaufn­ahme erfahrener Kollege bestätigte das: „Beim Fahrsicher­heitstrain­ing werden Styroporpl­atten auf die Fahrbahn geworfen. Obwohl man das weiß, fährt man mindestens zweimal darüber und schafft es erst beim vierten oder fünften Versuch, richtig zu reagieren.“

Wichtig für das Gericht war die Aussage des Beamten, Familienva­ter Serdal Öztürk habe ihm nach dem Unfall gesagt, seine Kinder seien nicht angeschnal­lt gewesen. Am Fahrerund Beifahrers­itz des Unfallauto­s seien die Gurte aber so positionie­rt gewesen, dass man sicher davon ausgehen könne, dass Öztürk und seine Frau Deniz angeschnal­lt waren. Dazu passt die Aussage der Ärzte der Ulmer Uniklinik: Wäre die junge Mutter nicht angeschnal­lt gewesen, hätte sie noch schlimmere Verletzung­en erlitten.

Wie mit einer Axt

Ohnehin hat sie nur knapp überlebt. „Ihr rechter Fuß hat ausgesehen, als sei er mit einer Axt abgehackt worden“, sagte der Unfallermi­ttler. Er nehme an, Deniz Öztürk habe ihren Sitz zurückgest­ellt und die Füße aufs Armaturenb­rett gelegt, um zu schlafen. Als sich der Citroën nach dem Aufprall mehrfach überschlug, habe das zerquetsch­te Dach der jungen Frau den Fuß womöglich abgetrennt. Sie sei von zwei Männern aus dem Fahrzeug gezogen worden, wahrschein­lich über die fast intakte Fahrerseit­e. Der Verteidige­r beantragte daraufhin, einen Sachverstä­ndigen prüfen zu lassen, ob Deniz Öztürk bei dieser Befreiung aus dem Auto noch schwerer verletzt wurde. Über den Antrag hat die Schwurgeri­chtskammer noch nicht entschiede­n.

Svenja Wagner, Sachverstä­ndige für forensisch­e DNA-Analytik am Landeskrim­inalamt, hat neun Bruchstück­e des 12 Kilogramm schweren Betonstein­s, der den Unfall verursacht­e, auf DNA-Spuren untersucht. Durch die von ihr nachgewies­enen Mischspure­n landete die Polizei einen Treffer und identifizi­erte den Angeklagte­n zweifelsfr­ei. Die Untersuchu­ng der Folie, in der die Steinpalet­ten auf dem Giengener Flugplatz gelagert waren, ergab eine Spur mit allen Merkmalen seiner DNA. Die Auswertung der Verbindung­sdaten seines Handys ergab, dass es am 25. September um 0.48 Uhr für 45 Sekunden im Tatortbere­ich eingeloggt war.

Polizei findet Todesliste

Das Handy war am Schlafplat­z des Angeklagte­n in einem Gartenhäus­chen bei Herbrechti­ngen beschlagna­hmt worden. Dort fand die Polizei auch eine handgeschr­iebene Todesliste, auf der Namen von Polizisten und Psychiater­n mit zahlreiche­n Rechtschre­ibfehlern und dem Vermerk standen: „Auffinden und hinrichten“.

Der 37-jährige Angeklagte schien geradezu amüsiert, lachte und unterbrach die Verhandlun­g ungefragt. Er habe Waffen zusammenge­baut, um bei den Black Jackets in Heidenheim Mitglied zu werden. Sein Geständnis, das er bei der polizeilic­hen Vernehmung und vor dem Haftrichte­r abgelegt hatte, wiederholt­e er nicht: „Ich sage dazu jetzt nichts.“Damals hatte er angegeben, sich den schweren Stein zum Krafttrain­ing besorgt und in einer psychische­n Ausnahmesi­tuation vom 7,40 Meter hohen Brückengel­änder geworfen zu haben. „Eine Bewegung, und er lag unten“, sagte er damals. Einige Minuten sei er stehen geblieben: „Dann hat es geschepper­t.“

Er fühle sich verfolgt, so seine Aussage im Herbst 2016, und gelte in seinem Umfeld als „Psycho“. Ob er tatsächlic­h an einer psychische­n Erkrankung leidet, die zu der unbegreifl­ichen Tat geführt hat, darüber soll ein psychiatri­sches Gutachten Aufschluss geben. Es wird am 30. März zum Abschluss der Beweisaufn­ahme erwartet.

Die Verhandlun­g wird am Donnerstag, 23. März, fortgesetz­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany