Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Das „finstere Mittelalter“ist ein Mythos
Simon Paintner-Frei ist der neue Museumsleiter der Bachritterburg Kanzach
Simon Paintner-Frei ist neuer Leiter der Bachritterburg in Kanzach.
- Die Kanzacher Bachritter haben einen neuen Burgherrn: Simon Paintner-Frei hat die Nachfolge von Rudolf Obert als Museumsleiter angetreten. Warum für den Mittelalterhistoriker damit ein Traum in Erfüllung geht, darüber hat der 32-Jährige mit SZ-Redakteurin Annette Grüninger gesprochen.
SZ: Herr Paintner-Frei, was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe als Museumsleiter?
Paintner-Frei: Natürlich die Bachritterburg. Das ist eine faszinierende Anlage, die die Lebensumstände des 13. Jahrhunderts anschaulich werden lässt. Ganz besonders, weil es eine Holzburg ist. Wenn wir heute „Burg“hören, denken wir immer an riesige Gebäude aus Stein, mit Türmen, Toren und diversen Gebäuden. In Kanzach sieht man dagegen die mittelalterliche Regel. Die Forschung geht heute von zirka 30 000 Burgen in Deutschland während des Mittelalters aus. Von denen gerade mal zehn Prozent aus Stein gebaut waren. Wenn also der mittelalterliche Mensch das Wort „Burg“gehört hat, hat er wohl eher an einen Holzburg wie in Kanzach gedacht. Und so eine Burg darf ich verwalten und weiterentwickeln, da wird für den Mittelalterhistoriker schon ein Traum war.
Wo wollen Sie in Ihrer Arbeit Schwerpunkte setzen?
Mir geht es in erster Linie darum, unseren Gästen anschaulich die Lebensumstände des Mittelalters in Oberschwaben zu vermitteln. Wir sind ein Museum zum Anfassen und das soll auch so bleiben. Vielleicht gelingt es uns ja dann, mit dem ein oder anderen Mythos über das „finstere Mittelalter“aufzuräumen.
Da ich Sie gerade in Ichenhausen im Landkreis Günzburg antreffe: Wie werden Sie Ihre Aufgabe organisatorisch wahrnehmen?
Ich bin an zwei bis drei Tagen in der Woche in Kanzach vor Ort und arbeite aber dank PC und Internet auch viel von zuhause aus. Das geht natürlich nur, wenn man ein starkes Team hat, das an einem Strang zieht. Hier ist die Unterstützung, die ich in Kanzach bisher erfahren habe, überwältigend.
Was erwartet die Besucher in der neuen Saison?
Besonderes Highlight ist in dieser Saison die Jonglier-Convention im Juni, da verwandelt sich die Burg ein Wochenende lang in eine große Bühne für Jongleure und Artisten. Darüber hinaus setzen wir mit Veranstaltungen wie „gut behutet“oder unseren Märkten Akzente, abgerundet wird das Ganze durch Burgbelebungen verschiedener Gruppen, die das Mittelalter lebendig werden lassen. So dürfte für jeden genau das Richtige dabei sein. Auch an der Burg hat sich was getan, im Stall stehen jetzt Tiere, auch wenn es leider keine echten sind, und den Kornspeicher werden wir in den nächsten Wochen auch noch füllen, damit der in Zukunft nicht ganz so leer daherkommt. Und wer weiß, wenn alles glatt läuft starten wir im Lauf der Saison vielleicht noch eine Baumaßnahme…
Auf der Bachritterburg sind Sie kein Unbekannter und waren schon vorher als Mitglied einer Living-History-Gruppe regelmäßig zu Gast. Erzählen Sie doch bitte mehr darüber!
Gerne! Mein Verein sind die Reisecen aus Großbettlingen. Wir versuchen einen schwäbischen Lehen aus dem 13. Jahrhundert darzustellen. Das heißt, bei uns gibt es einen Ritter und sein Gefolge, das schließt natürlich die Bewaffneten mit ein, die es auf einer Burg gegeben hätte, aber auch Handwerker, Bäuerinnen, Bauern, Mägde und Knechte. Wir sind eine ganz bunte Mischung von verschiedenen Charakteren aus verschiedensten Branchen, die sich alle dem 13. Jahrhundert verschrieben haben. Wer uns kennen lernen möchte, darf gerne an Ostern auf die Bachritterburg kommen…
Sie sind Historiker und arbeiten derzeit an Ihrer Promotion. Mit welchem Thema setzen Sie sich auseinander?
Vorsicht, jetzt wird’s interessant. Der Titel heißt „Das literarische Leben in der Markgrafschaft Burgau“und verbindet meine Studienfächer Geschichte und Germanistik. Die Markgrafschaft Burgau lag zwischen Donau, Iller und Lech und bildete bis 1805 die östliche Grenze Schwabens. Der Markgrafentitel war schon ab 1301 verwaist und die Herrschaft wurde von den Habsburgern aus Wien und Innsbruck verwaltet. Das führte dazu, dass sich die unterschiedlichen Grundbesitzer vor Ort völlig heterogen entwickelten, was die Region zu einer interessanten Kulturlandschaft werden ließ. Und in einer Kulturlandschaft wird natürlich auch geschrieben, da finden sich dann im Mittelalter illustre Namen wie Ulrich von Thürheim oder Burkhard von Biberach, die interessanterweise beide Verbindungen in die Region rund um Kanzach haben. Ulrich lebte lange in Winterstettenstadt und Burkhard begann seine berühmte Weltchronik als Prämonstratenser in Schussenried. Später leben und wirken in der Markgrafschaft dann Autoren wie Therese Huber, Sebastian Schertlin und Christoph von Schmid.
Was macht für Sie die Faszination des Mittelalters aus?
Das Mittelalter ist meiner Meinung nach die am meisten unterschätzte Epoche der Geschichte. Heute assoziieren die meisten Menschen das Mittelalter mit Dreck, Chaos und katastrophalen Lebensumständen. Dass das nicht so war, möchte ich gerne vermitteln und das macht in meinen Augen auch die Faszination aus.
Wenn Sie in die Zeit der Bachritter zurückreisen könnten: Würden Sie diese Möglichkeit wahrnehmen? Und mit welcher Fragestellung würden Sie aufbrechen?
Wär’ es eine Reise mit Rückfahrschein? Ansonsten würde ich eher verzichten, schon allein wegen des fehlenden Zahnarztes. Im Ernst: Anschauen würd’ ich mir das 13. Jahrhundert gerne, bleiben möchte ich aber nicht. Eine konkrete Fragestellung hätte ich jetzt nicht unbedingt, mich würden die Lebensumstände der kleinen Leute interessieren. Über deren Alltag wissen wir wenig und diese Lücke würde ich gerne schließen. Und wenn ich dann schon mal da wäre, würde ich gerne noch Friedrich II. treffen, auch wenn mein Mittelhochdeutsch mittlerweile etwas eingerostet ist.