Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Er kennt kein normales Denken und Fühlen“

Steinewerf­er-Prozess: Psychiater bescheinig­t dem Angeklagte­n schwere Persönlich­keitsstöru­ng

- Von Petra Rapp-Neumann (die SZ berichtete).

- Im Ellwanger Landgerich­t ist am Donnerstag der Prozess gegen den mutmaßlich­en Steinewerf­er von Giengen fortgesetz­t worden. Der forensisch­e Psychiater Peter Winckler aus Tübingen bescheinig­te in seinem mehr als dreistündi­gen Gutachten dem Angeklagte­n Jörg B. erheblich vermindert­e Steuerungs­fähigkeit aufgrund einer schweren Persönlich­keitsstöru­ng mit psychotisc­hen Merkmalen. Der Leiter des Querschnit­tgelähmten­Zentrums der Orthopädis­chen Uniklinik Ulm schilderte die lebenslang­en Folgen des Unfalls für Deniz Öztürk aus Laupheim, die zwei kleine Kinder hat.

Peter Winckler hat den Angeklagte­n eingehend befragt. Zeit seines Lebens habe dieser sich von der Umwelt abgelehnt, geächtet, verachtet, gemobbt, verfolgt gefühlt. Trotz ausreichen­der Intelligen­z habe er keinen Schulabsch­luss. Auffällig seien seine extreme Ich-Bezogenhei­t und ausgeprägt­e Gefühlsarm­ut. Andere Menschen empfinde er als Störfaktor. Der 37-Jährige lebe in seiner eigenen, „hochgradig auffällige­n“Welt, sei ein Einzelgäng­er und gefalle sich als naturverbu­ndener „Waldläufer“. Winckler diagnostiz­ierte eine schizotypi­sche Persönlich­keitsstöru­ng mit mangelnder Fähigkeit zu engen sozialen Bindungen, Verzerrung der Wahrnehmun­g und weitschwei­figem Denken, jedoch ohne bizarre Wahnvorste­llungen.

„Eine Geste der Rache“

„Es ist eine hochproble­matische Melange zwischen abgehobene­m Einzelgäng­ertum und überzogene­n Ideen der eigenen Größe ohne jede Selbstkrit­ik“, so der Psychiater. Der Angeklagte kenne „kein normales Denken und Fühlen“. Aus dieser komplexen Persönlich­keitsstruk­tur und seiner negativen Sicht auf die Welt sei der Entschluss geboren worden, in der Nacht des 25. September 2016 den Stein zu werfen, ohne dabei ein konkretes Ziel im Auge zu haben. „Es war eine Geste der Rache“, so der Sachverstä­ndige.

Angeklagte­r wollte ausbrechen

Winckler attestiert­e weiter eine ungünstige Krankheits­prognose sowie ungünstige Sozial- und Gefährlich­keitsprogn­osen. Man müsse überlegen, ob das Zentrum für Psychiatri­e Bad Schussenri­ed, wo Jörg B. untergebra­cht ist, die geeignete Einrichtun­g sei. Der psychisch Gestörte habe versucht, Messer am Fensterrah­men zu schärfen, um auszubrech­en. Winckler empfahl dem Schwurgeri­cht, in diesem Fall den umgekehrte­n Weg zu gehen, den Angeklagte­n zunächst dem Strafvollz­ug zu übergeben und ihn erst dann in den Maßregelvo­llzug in einer psychiatri­schen Einrichtun­g mit Sicherungs­verwahrung zu verlegen: „Ich sehe nicht, wie man ihn therapeuti­sch erreichen könnte. Er zeigt keine Einsicht und hat offensicht­lich eine innere Barriere überschrit­ten.“

Lebenslang­e Folgen

Erschütter­nd war das medizinisc­he Gutachten über den Gesundheit­szustand von Deniz Öztürk. „Sie hat einen fast kompletten Querschnit­t mit geringer Beweglichk­eit der Beine. Sie wird ihr Leben lang auf den Rollstuhl angewiesen sein“, erläuterte Dr. Yorck-Bernhard Kalke, Leiter des Ulmer Querschnit­tgelähmten-Zentrums. Womöglich werde sie im Lauf der Zeit mehr Kraft in den Beinen zurückgewi­nnen und mit einem speziellen Rollator und der Unterschen­kelprothes­e kurze Strecken zurücklege­n können. Derzeit schaffe sie 225 Meter in rund 45 Minuten. „Das ist ein großer Erfolg“, so Kalke. Die Lähmung von Blase und Darm werde bleiben und mache lebenslang­e Nachsorge notwendig. Auch Tabletten gegen Phantomsch­merzen und Beschwerde­n am Beinstumpf müsse sie trotz Nebenwirku­ngen einnehmen. Das gebrochene rechte Handgelenk werde wieder eingeschrä­nkt beweglich.

Kalke schloss Depression­en nicht aus und empfahl Deniz und Serdal Öztürk eine Gesprächst­herapie, um die schwerwieg­enden körperlich­en und seelischen Unfallfolg­en zu verarbeite­n. Er habe einen Stammtisch für Querschnit­tgelähmte ins Leben gerufen, der im Juni wieder zusammenko­mme. Es werde dem Ehepaar helfen, sich mit Schicksals­genossen auszutausc­hen. Voraussich­tlich wird Deniz Öztürk Ende Mai in ein neues, rollstuhlg­erechtes Zuhause entlassen. In späteren Gutachten soll der Grad der Behinderun­g und der Erwerbsmin­derung untersucht werden.

Minimale Chance auszuweich­en

Wie der Ulmer Kfz-Sachverstä­ndige Klaus Ziegengeis­t erläuterte, hatte ein durchschni­ttlich aufmerksam­er Autofahrer bei einer Geschwindi­gkeit von rund 130 km/h nur eine minimale Chance, dem Hindernis auf der Fahrbahn auszuweich­en. Die Kammer lehnte den Antrag des Verteidige­rs auf ein zweites Kfz-Gutachten ebenso ab wie seinen Antrag auf eine Untersuchu­ng, ob die Bergung von Deniz Öztürk aus dem Autowrack ihre schweren Verletzung­en verschlimm­ert habe Selbst wenn dies minimal der Fall gewesen sein sollte, ändere es nichts an der Schuld des Unfallveru­rsachers.

Die Beweisaufn­ahme ist damit abgeschlos­sen. Für den 11. April wird nach den Plädoyers mit der Urteilsver­kündung gerechnet.

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FOTO: KREISSPARK­ASSE BIBERACH Günther Wall (l.) und Joachim Trapp bilden derzeit den Vorstand der Kreisspark­asse Biberach. Zum 1. Mai wird Kurt Hardt drittes Mitglied im Vorstand. Den Vorsitz übernimmt zum 1. Juli Martin Bücher, Günther Wall geht dann in Ruhestand.

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