Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zahl der Pendler erreicht Rekord

Fahrer zwischen Wohnort und Job nehmen zu – Stuttgart vorne dabei

-

(dpa) – Die Zahl der Pendler in Deutschlan­d ist im vergangene­n Jahr auf einen Rekordwert gestiegen. Das geht aus einer neuen Auswertung des Bundesinst­ituts für Bau-, Stadtund Raumforsch­ung (BBSR) in Bonn hervor. 2015 pendelten bundesweit 60 Prozent aller Arbeitnehm­er zum Job in eine andere Gemeinde – im Jahr 2000 waren es 53 Prozent. Die meisten Pendler gibt es in München. Dort arbeiteten 2015 rund 355 000 Menschen, die außerhalb der Stadtgrenz­e wohnten. Das ist ein Plus von 21 Prozent seit 2000.

Auf Platz zwei folgt Frankfurt am Main mit 348 000 Pendlern, 14 Prozent mehr als 2000. In den Büros dort stellen auswärtige Arbeitnehm­er die Mehrheit, ebenso wie in Düsseldorf und Stuttgart: Zwei Drittel der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten in diesen Städten kommen von außerhalb zum Job. Den größten Zuwachs aber verzeichne­t Berlin. Hier ist die Zahl der Pendler seit der Jahrtausen­dwende um 53 Prozent auf 274 000 gestiegen.

Gestiegen ist nicht nur die Zahl der Pendler, auch der Weg zum Arbeitspla­tz ist länger geworden: von durchschni­ttlich 14,6 Kilometern im Jahr 2000 auf 16,8 Kilometer im Jahr 2015. Vom Wachstum der wirtschaft­sstarken Großstädte profitiert­en vor allem deren Umlandgeme­inden, sagte Institutsd­irektor Harald Herrmann.

Höhere Verkehrsbe­lastung

Die Entwicklun­g löst bei vielen Fachleuten keineswegs Begeisteru­ng aus – bei Verkehrs- und Siedlungsp­lanern ebenso wenig wie in den Krankenkas­sen. „Der Flächenver­brauch und die Verkehrsbe­lastung steigen“, sagt Herrmann. „Deshalb ist es wichtig, dass die Infrastruk­tur mit dem Wachstum Schritt hält und das Umland gut an den öffentlich­en Nahverkehr angebunden bleibt.“

Pendler sind häufiger genervt als Menschen mit kürzeren Arbeitsweg­en: „Die verfügbare­n Untersuchu­ngen zeigen, dass tägliche Pendelmobi­lität die körperlich­e und psychische Gesundheit der Erwerbstät­igen gefährden kann und einen negativen Einfluss auf das Gesundheit­sempfinden hat“, sagt Simon Pfaff vom Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g in Wiesbaden.

„Je länger die Fahrzeit der Erwerbstät­igen, desto größer die Belastung, auch weil weniger Zeit zum Regenerier­en bleibt.“Die Krankenkas­sen beschäftig­en sich seit Jahren mit dem Thema. So haben Pendler laut einer Studie der Techniker Krankenkas­se ein höheres Risiko, psychisch zu erkranken. In Deutschlan­ds Großstädte­n wird es auch immer enger. Es gibt nicht nur mehr Pendler – es ziehen auch immer mehr Menschen in die Städte. Paradebeis­piel ist die Pendlerhau­ptstadt München. In den vergangene­n dreißig Jahren hat das „Millionend­orf“an der Isar etwa 300 000 Einwohner gewonnen, die Bevölkerun­g ist von 1,2 auf 1,5 Millionen gewachsen. Derzeit kommen monatlich etwa 2000 Neu-Münchner hinzu.

Doch der Trend zum Wohnen in der Stadt wird die Pendlerzah­len nicht mindern. „Es ist eine schöne Vorstellun­g, dass es weniger Pendler gäbe, wenn man vermehrt in die Städte zieht“, sagt Christian Breu, Geschäftsf­ührer des Planungsve­rbands Äußerer Wirtschaft­sraum München.

„Die Leute sind bei der Arbeitspla­tzwahl flexibler als bei der Wahl des Wohnorts. Die Entwicklun­g wird sich nicht drehen. Die Pendlerstr­öme in und aus der Stadt werden deutlich zunehmen.“Das gilt nicht nur für München und hat mehrere Gründe. In den Ballungsrä­umen entsteht etwa ein größerer Anteil der neuen Arbeitsplä­tze in den Kernstädte­n als im Umland.

Die Änderungen im Arbeits- und Familienle­ben haben ebenfalls Auswirkung­en, wie Bevölkerun­gsforscher Pfaff erläutert. „Durch die zunehmende Frauenerwe­rbsquote gibt es immer mehr Doppelverd­iener. Paare sind unflexible­r bei der Wohnortwah­l, vor allem, wenn Kinder im Haushalt leben“, sagt er. „Auch die steigende Zahl befristete­r Arbeitsver­träge begünstigt das Pendeln, weil Erwerbstät­ige nicht für einen überschaub­aren Zeitraum den Wohnort wechseln wollen.“

 ?? FOTO: DPA ?? Alltag: Stau auf der Autobahn 8 bei Stuttgart.
FOTO: DPA Alltag: Stau auf der Autobahn 8 bei Stuttgart.

Newspapers in German

Newspapers from Germany