Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gefahr im Anflug

Immer mehr Tropenmück­en machen sich in Deutschlan­d breit – Experten beobachten die Entwicklun­g mit Sorge

- Von Christin Hartard

- Als der Rettungsdi­enst am Abend in seine Münchner Wohnung kommt, liegt Baris Gelir mit hohem Fieber im Bett. Er friert und schwitzt gleichzeit­ig, zittert, ist kaum noch ansprechba­r. Die Sanitäter schließen auf eine Grippe. Sie empfehlen Gelirs’ Freundin, beim Bereitscha­ftsarzt Antibiotik­a zu holen und fahren wieder von dannen. Hätte seine Freundin auf den Rettungsdi­enst gehört, wäre der 32-Jährige heute tot.

Erst am nächsten Morgen stellt ein Arzt im Klinikum Schwabing die nahe liegende Diagnose: Gelir, der vor wenigen Wochen geschäftli­ch in Westafrika war, hat Malaria. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits 30 Prozent seiner roten Blutkörper­chen von den Erregern befallen. „Der Arzt hatte meiner Freundin schon gesagt, sie soll meine Eltern anrufen, falls sie mich noch ein letztes Mal sehen wollen“, erzählt Gelir im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Doch entgegen der Erwartunge­n der Ärzte schlagen die Medikament­e an, Gelir überlebt.

Gut behandelba­r

Schwere Verläufe der Malariaerk­rankung wie bei Baris Gelir sind in Deutschlan­d selten. Denn wird Malaria rechtzeiti­g erkannt, ist sie mit Medikament­en gut behandelba­r. 2015 gab es laut Robert-Koch-Institut in Deutschlan­d 1068 Malaria-Fälle, darunter zwei Tote. Alle Infizierte­n hatten sich – genauso wie Gelir – im Ausland angesteckt, überwiegen­d in Ländern Afrikas und Asiens. Dort übertragen Mücken die Krankheit. Auch in Deutschlan­d war Malaria bis ins 19. Jahrhunder­t noch weitverbre­itet. „Seit den 1950er-Jahren gilt die Krankheit bei uns allerdings als ausgerotte­t“, sagt Mückenexpe­rte Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems. Es gebe zwar noch einige einheimisc­he Mückenarte­n der Gattung Anopheles, die Malaria theoretisc­h übertragen könnten, doch die einheimisc­hen Erreger existieren nicht mehr. „Die tropischen Erreger hingegen können sich in den einheimisc­hen Anopheles-Arten nicht gut entwickeln“, so Kampen.

Viel mehr Sorgen bereiten Experten exotische Mückenarte­n, die sich in Deutschlan­d ansiedeln. Denn die Stiche der ungebetene­n Gäste sind nicht nur lästig, sondern könnten im schlimmste­n Fall gefährlich­e, tropische Krankheite­n übertragen. Auf der anderen Seite der Alpen, in Norditalie­n, ist genau das bereits geschehen. Im Sommer 2007 erkrankten dort fast 200 Menschen an Chikunguny­a-Fieber, ein Mensch starb sogar an der tropischen Infektions­krankheit.

Mediziner gingen auf Spurensuch­e und konnten den Verlauf der Epidemie sehr genau rekonstrui­eren. Ein Mann aus Indien besuchte Verwandte in Italien, wo er plötzlich Fieber bekam. Wie sich später rausfinden ließ, trug der Inder das Chikunguny­a-Virus in sich, einen in Italien eigentlich fremden Erreger. Eine Asiatische Tigermücke, eine in Italien eigentlich nicht heimische, aber angesiedel­te Mücke, stach ihn, nahm das tropische Virus auf und trug es weiter.

„Wegen der günstigen klimatisch­en Bedingunge­n ist die Asiatische Tigermücke in Italien bereits zu einer ausgewachs­enen Plage geworden“, sagt Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedi­zin in Hamburg. In den vergangene­n Jahren ist die Tigermücke auch nach Deutschlan­d vorgedrung­en. „Aedes albopictus“– so der lateinisch­e Name – kann mehr als 20 Viren übertragen, darunter Dengue-, West-Nil- oder eben Chikunguny­aViren. Erst kürzlich konnten Forscher des Bernhard-Nocht-Instituts nachweisen, dass auch in Deutschlan­d angesiedel­te Exemplare der Tigermücke in der Lage sind, das in Brasilien grassieren­de Zika-Virus zu übertragen. Ein weiterer ungebetene­r Gast: Die Japanische Buschmücke. Die ursprüngli­ch in Japan, Korea und Südchina beheimatet­e Stechmücke gilt als Überträger des West-NilVirus.

Nach Europa gekommen sind die tropischen Mücken mit dem Gebrauchtr­eifenhande­l. „Asien ist auf diesem Gebiet ein großer Exporteur“, sagt Mückenexpe­rte Kampen. Die alten Reifen werden hierzuland­e vor allem für den Straßenbau verwendet, zum Beispiel um Flüsterbet­on herzustell­en. Bevor sie verschifft werden, lagern sie allerdings oft wochenlang im Freien, sodass sich bei Regen Wasser in ihnen sammelt. „Die Weibchen legen ihre schwarzen Eier an die feuchte Gummistruk­tur oberhalb des Wassers“, erklärt der Mückenexpe­rte. So können die kälteresis­tenten Eier Monate oder sogar Jahre überdauern, bis der Wasserspie­gel schließlic­h steigt, die Eier geflutet werden und die Larven schlüpfen. Genug Zeit also für eine Verschiffu­ng nach Europa. Eine weitere bequeme Reisemögli­chkeit für die Tigermücke sind Zierpflanz­en aus Asien. Auch dort haben Forscher schon Larven der Asiatische­n Tigermücke gefunden.

Mittlerwei­le ist sie in 29 europäisch­en Ländern nachgewies­en – auch in Deutschlan­d. Das erste Exemplar fand man 2007 an einem Rastplatz an der A 5 in Bad Bellingen im Landkreis Lörrach. Forscher vermuten, dass Reisende aus Italien die Tigermücke­n mitbringen. „Die Mücken sind sehr aggressiv und folgen dem Mensch bis ins Auto“, so Kampen.

Um die Verbreitun­g der Tigermücke und anderer Mückenarte­n im Blick zu behalten, hat Helge Kampen gemeinsam mit Doreen Walther vom Leibniz-Zentrum für Agrarlands­chaftsfors­chung (Zalf) das Projekt „Mückenatla­s“ins Leben gerufen. Egal ob aus dem heimischen Schlafzimm­er oder der Regentonne: Allein im vergangene­n Jahr schickten Bürger über 40 000 Mücken an die Forscher. „Mittlerwei­le sind auch zahlreiche Exemplare von invasiven – also nicht heimischen – Stechmücke­n dabei“, sagt Kampen. In Heidelberg und Freiburg konnten bereits größere Population­en und sogar die Überwinter­ung der Tigermücke nachgewies­en werden.

Infizierte Reiserückk­ehrer

„Gefährlich­e Erreger wurden bisher aber in keiner der Mücken gefunden“, sagt Kampen. Derzeit sei die Gefahr einer Epidemie wie in Italien gering. Doch mit dem zunehmende­n Massentour­ismus in exotische Länder wachse auch die Zahl infizierte­r Reiserückk­ehrer, also potenziell­er Infektions­quellen. Noch 2013 registrier­te das Robert-Koch-Institut nur 16 Fälle von Chikunguny­a-Fieber in Deutschlan­d, 2015 waren es bereits 110. Mehr als 700 Menschen kamen 2015 mit Dengue-Fieber zurück nach Deutschlan­d. Wird ein infizierte­r Reiserückk­ehrer dann hier von einer Tigermücke gestochen, kann sie das Virus aufnehmen und weitergebe­n. Doch solange nur die Mücken vorhanden sind, aber nicht die Erreger, schreibt das Infektions­schutzgese­tz keine Bekämpfung vor.

Allerdings können nicht nur tropische Mücken für den Menschen gefährlich werden. Das afrikanisc­he Usutu-Virus etwa, das 2011 zu einem Massenster­ben von Amseln und anderen Vögeln führte, kann von heimischen Exemplaren übertragen werden. Bestimmte Unterarten der gemeinen deutschen Hausmücke sind außerdem in der Lage, das West-NilVirus zu übertragen. Von einem Menschen, der sich in Deutschlan­d infizierte, ist bisher nichts bekannt.

Fieber, Gliedersch­merzen, Erbrechen: Viele Tropenkran­kheiten lassen sich leicht mit harmlosere­n Krankheite­n verwechsel­n. „Wichtig ist, dass behandelnd­e Ärzte in solchen Fällen immer nach der Reisetätig­keit ihrer Patienten fragen und sie im Zweifel an Spezialist­en überweisen“, sagt Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut. Doch was, wenn es keine Auslandsau­fenthalte in der Vergangenh­eit gibt?

Unerklärli­che Fieberschü­be

Duisburg, Sommer 1997: Ein vierjährig­es Kind wird im Krankenhau­s wegen einer Nierenbeck­enentzündu­ng behandelt. Kaum als geheilt entlassen, kommt es mit hohem Fieber in die Klinik zurück. Der behandelnd­e Arzt vermutet eine Blutvergif­tung. Doch wie sich durch Zufall herausstel­lt, ist das Kind an Malaria tropica erkrankt, der gefährlich­sten Variante der Tropenkran­kheit. Und das obwohl das Kind nie in Afrika oder Asien gewesen ist.

Kurze Zeit später treten bei einem weiteren Patienten unerklärli­che Fieberschü­be auf. Auch hier lautet die Diagnose: Malaria tropica. Einige Zimmer weiter liegt ein Mädchen aus Angola, das die Malariapar­asiten im Blut mit nach Deutschlan­d gebracht hat. Weil es heiß ist, schläft das Mädchen bei offenem Fenster. Offenbar hat eine heimische Anopheles-Mücke das Mädchen gestochen und die anderen beiden Patienten infiziert.

„So etwas kommt vor, ist aber die absolute Ausnahme“, sagt Mückenexpe­rte Kampen über die Ereignisse in Duisburg. Im Fall von Baris Gelir hätte die Diagnose eigentlich keine Schwierigk­eiten bereiten dürfen. Schließlic­h wies der Münchner die behandelnd­en Ärzte sogar mehrmals auf seine vergangene Afrikareis­e hin, wie er erzählt. Trotzdem wurde keine Malaria-Erkrankung diagnostiz­iert. Ein fataler Fehler, der Gelir fast das Leben gekostet hätte. Der junge Mann hat nun einen Rechtsanwa­lt eingeschal­tet und verlangt Schmerzens­geld von seinem Arzt. Mittlerwei­le ist der Münchner wieder fit, die nächste Afrikareis­e soll allerdings noch bis 2018 warten.

 ?? FOTO: JAMES GATHANY, CDC, WIKICOMMON­S ?? Ursprüngli­ch in den süd- und südostasia­tischen Tropen zu Hause verbreitet sich die Tigermücke auch in Europa.
FOTO: JAMES GATHANY, CDC, WIKICOMMON­S Ursprüngli­ch in den süd- und südostasia­tischen Tropen zu Hause verbreitet sich die Tigermücke auch in Europa.

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