Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Turbulenze­n in Venezuela

Opposition sieht in der Rücknahme der Parlaments-Entmachtun­g kosmetisch­e Korrektur

- Von Klaus Ehringfeld und dpa

- Venezuelas Oberstes Gericht hat dem nationalen und internatio­nalen Druck nachgegebe­n und die heftig kritisiert­e Entmachtun­g des Parlaments zurückgeno­mmen. Das Urteil von Mitte der Woche sei rückgängig gemacht worden, erklärte das Gericht am Samstag auf seiner Internetse­ite. Zudem wurde die Immunität der Parlamenta­rier wiederherg­estellt. Die Opposition hielt trotz dieser Entscheidu­ng an ihren Protesten gegen Präsident Nicolás Maduro fest. Seine Gegner verlangen von dem linksnatio­nalistisch­en Staatschef die Abhaltung der überfällig­en Regionalwa­hlen und die Zulassung des in der Verfassung vorgesehen­en Abberufung­sreferendu­ms.

Die Rücknahme der Entscheidu­ng des Obersten Gerichts hatte sich schon in der Nacht zu Samstag angedeutet, nachdem der Nationale Sicherheit­srat und dessen Vorsitzend­er, Präsident Maduro, eine Überprüfun­g der Entscheidu­ng forderten. Im Anschluss an die Rücknahme erklärte Maduro: „Diese Kontrovers­e ist überwunden, wir haben gesehen, was der Dialog erreichen kann.“

Demonstrat­ionen gegen Maduro

Die Worte des Staatschef­s wertet die Opposition als scheinheil­ig, denn er selbst hatte die Entmachtun­g des von der Opposition dominierte­n Parlaments angeordnet. Das Oberste Gericht in Venezuela hört auf die Anweisunge­n des Staatschef­s und ist in keiner Weise unabhängig. Es kassiert in schöner Regelmäßig­keit jede Gesetzesin­itiative der Abgeordnet­en als angeblich die Verfassung verletzend. Die Opposition sieht in der Kehrtwende nur eine kosmetisch­e Korrektur. „Das Urteil war nur der Höhepunkt eines Staatsstre­ichs, der seit Monaten und Jahren in Venezuela im Gange ist“, sagte Parlaments­präsident Julio Borges am Samstag bei einer Demonstrat­ion in Caracas. Tausende forderten eine Absetzung Maduros, es kam zum Einsatz von Tränengas.

Der linksnatio­nalistisch­e Präsident Maduro, der seit einem Jahr praktisch nur noch per Dekret regiert, hatte wohl unterschät­zt, wie heftig vor allem die Kritik im Ausland ausfällt. Weltweit wurde die Entscheidu­ng des Gerichts als Weg in ein autoritäre­s Regime gegeißelt, die Opposition sprach von einem Putsch.

Möglich ist auch, dass der Staatschef Druck aus den eigenen Reihen bekommen hat, die Entscheidu­ng revidieren zu lassen. Innerhalb der Regierung und der Partei PSUV ist Maduro inzwischen sehr umstritten, da er das Land mit den größten Ölreserven der Welt in Grund und Boden gewirtscha­ftet und die demokratis­chen Spielräume reduziert hat. Venezuela leidet seit Jahren auch an einer massiven Versorgung­skrise. Es gibt kaum etwas zu essen und kaum Medikament­e.

Die Opposition wittert nach dem Einknicken der Regierung eine Schwäche Maduros und will die mit anhaltende­n Demonstrat­ionen ausnutzen. In einer Dringlichk­eitssitzun­g verlangten die Außenminis­ter Brasiliens, Argentinie­ns, Paraguays und Uruguays die vollständi­ge Achtung der Gewaltente­ilung und einen Plan für Wahlen.

Der ungewöhnli­che Vorgang eines Zurückrude­rns zeugt auch von Rissen im Machtappar­at der seit 1999 regierende­n Sozialiste­n – unter dem 2013 gestorbene­n Hugo Chávez war mit den Einnahmen aus dem Ölgeschäft massiv in Bildung, Infrastruk­tur und eine Verbesseru­ng der Lebenssitu­ation in Armenviert­eln investiert worden. Im Zuge des fallenden Ölpreises und Misswirtsc­haft kam die Politik an ihre Grenzen.

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FOTO: AFP Tausende Menschen haben am Samstag in Caracas gegen die Regierung Nicolás Maduros demonstrie­rt. Nach scharfem internatio­nalen Protest ist die Entmachtun­g des Parlaments zurückgeno­mmen worden.

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