Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Turbulenzen in Venezuela
Opposition sieht in der Rücknahme der Parlaments-Entmachtung kosmetische Korrektur
- Venezuelas Oberstes Gericht hat dem nationalen und internationalen Druck nachgegeben und die heftig kritisierte Entmachtung des Parlaments zurückgenommen. Das Urteil von Mitte der Woche sei rückgängig gemacht worden, erklärte das Gericht am Samstag auf seiner Internetseite. Zudem wurde die Immunität der Parlamentarier wiederhergestellt. Die Opposition hielt trotz dieser Entscheidung an ihren Protesten gegen Präsident Nicolás Maduro fest. Seine Gegner verlangen von dem linksnationalistischen Staatschef die Abhaltung der überfälligen Regionalwahlen und die Zulassung des in der Verfassung vorgesehenen Abberufungsreferendums.
Die Rücknahme der Entscheidung des Obersten Gerichts hatte sich schon in der Nacht zu Samstag angedeutet, nachdem der Nationale Sicherheitsrat und dessen Vorsitzender, Präsident Maduro, eine Überprüfung der Entscheidung forderten. Im Anschluss an die Rücknahme erklärte Maduro: „Diese Kontroverse ist überwunden, wir haben gesehen, was der Dialog erreichen kann.“
Demonstrationen gegen Maduro
Die Worte des Staatschefs wertet die Opposition als scheinheilig, denn er selbst hatte die Entmachtung des von der Opposition dominierten Parlaments angeordnet. Das Oberste Gericht in Venezuela hört auf die Anweisungen des Staatschefs und ist in keiner Weise unabhängig. Es kassiert in schöner Regelmäßigkeit jede Gesetzesinitiative der Abgeordneten als angeblich die Verfassung verletzend. Die Opposition sieht in der Kehrtwende nur eine kosmetische Korrektur. „Das Urteil war nur der Höhepunkt eines Staatsstreichs, der seit Monaten und Jahren in Venezuela im Gange ist“, sagte Parlamentspräsident Julio Borges am Samstag bei einer Demonstration in Caracas. Tausende forderten eine Absetzung Maduros, es kam zum Einsatz von Tränengas.
Der linksnationalistische Präsident Maduro, der seit einem Jahr praktisch nur noch per Dekret regiert, hatte wohl unterschätzt, wie heftig vor allem die Kritik im Ausland ausfällt. Weltweit wurde die Entscheidung des Gerichts als Weg in ein autoritäres Regime gegeißelt, die Opposition sprach von einem Putsch.
Möglich ist auch, dass der Staatschef Druck aus den eigenen Reihen bekommen hat, die Entscheidung revidieren zu lassen. Innerhalb der Regierung und der Partei PSUV ist Maduro inzwischen sehr umstritten, da er das Land mit den größten Ölreserven der Welt in Grund und Boden gewirtschaftet und die demokratischen Spielräume reduziert hat. Venezuela leidet seit Jahren auch an einer massiven Versorgungskrise. Es gibt kaum etwas zu essen und kaum Medikamente.
Die Opposition wittert nach dem Einknicken der Regierung eine Schwäche Maduros und will die mit anhaltenden Demonstrationen ausnutzen. In einer Dringlichkeitssitzung verlangten die Außenminister Brasiliens, Argentiniens, Paraguays und Uruguays die vollständige Achtung der Gewaltenteilung und einen Plan für Wahlen.
Der ungewöhnliche Vorgang eines Zurückruderns zeugt auch von Rissen im Machtapparat der seit 1999 regierenden Sozialisten – unter dem 2013 gestorbenen Hugo Chávez war mit den Einnahmen aus dem Ölgeschäft massiv in Bildung, Infrastruktur und eine Verbesserung der Lebenssituation in Armenvierteln investiert worden. Im Zuge des fallenden Ölpreises und Misswirtschaft kam die Politik an ihre Grenzen.