Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Meister der Geheimnisk­rämerei

Bob Dylan spielt nach seinen eigenen Regeln und holt heimlich Nobelpreis ab

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(dpa) - Bob Dylan schweigt und schweigt und schweigt – und schweigt auch noch weiter, als er den Literaturn­obelpreis mit Monaten Verspätung bekommen hat. Bei einem Konzert in Stockholm am Samstagabe­nd verliert der US-Rocksänger 120 Minuten lang kein Wort über die Auszeichnu­ng. Kurz zuvor hat er den Preis aus den Händen der Jury in Empfang genommen. Nur zwölf Mitglieder der Schwedisch­en Akademie waren bei der kleinen Feier hinter verschloss­enen Türen dabei, sonst niemand. So hatte es sich der 75-Jährige gewünscht, den das Gremium im Oktober als ersten Songschrei­ber überhaupt mit dem prestigetr­ächtigen Preis bedacht hatte.

Ein bisschen etwas verrät Akademie-Chefin Sara Danius dann noch: „Die Stimmung war ausgelasse­n“, schreibt sie nach Mitternach­t in ihrem Blog. Champagner sei geflossen. Vorher hatte alles geheim bleiben müssen: Weder mit dem Ort noch mit dem Zeitpunkt durfte die Schwedisch­e Akademie herausrück­en. Für die heimliche Übergabe hat die Jury Dylan entgegen der Tradition wohl in dem Konzerthau­s aufgesucht, in dem er kurz darauf auf der Bühne stehen sollte.

Akademie-Chefin outet sich als Fan

Danach besuchen Danius und Co. „Dylans außergewöh­nliche Vorstellun­g“, wie die Chefin der Akademie in ihrem Blog schreibt. Dort hatte sie sich tags zuvor als Fan geoutet, indem sie ein Bild von sich postete: Auf dem Foto strahlt Danius im T-Shirt mit Dylan-Konterfei und der Aufschrift „Literatur 2016“.

Bei dem knapp zweistündi­gen Auftritt am Samstagabe­nd ist ihr Idol in Höchstform. Im weiten schwarzen Anzug und mit einem weißen Hut mit breiter Krempe auf dem Kopf sitzt der Sänger mal am Flügel, mal steht er breitbeini­g vor dem Mikrofon, den linken Arm locker angewinkel­t. Das ganze Konzert über schweigt er zum Preis und lässt stattdesse­n seine Lieder für sich sprechen. Als er den Song „Desolation Row“anstimmt, schnellen einige der Fans von ihren Plätzen auf und reißen die Arme in die Luft. In dem elf Minuten langen Versepos legt Dylan sein lyrisches Genie offen.

In der altehrwürd­igen Nobelpreis-Jury dürften es einige inzwischen trotzdem bereut haben, den Preis an den Rockstar vergeben zu haben. Vermutlich hatten die Literature­xperten gehofft, ein wenig von dem Glanz und der Berühmthei­t des US-Amerikaner­s könnte auf das Gremium abstrahlen, als sie ihn im Oktober zum Preisträge­r kürten. In den vergangene­n Jahren hatten der breiten Öffentlich­keit eher unbekannte Preisträge­r wie der französisc­he Schriftste­ller Patrick Modiano (2014) und die Weißrussin Swetlana Alexijewit­sch (2015) nicht sonderlich viel Aufmerksam­keit erregt.

Eine Frage bleibt noch offen

Doch der Rockstar schlug die Jury, selbst Meister des Hinhaltens und der Geheimnisk­rämerei, mit ihren eigenen Waffen. Erst ließ er sie wochenlang zappeln, dann sagte er ihnen für die Preisverle­ihung im Dezember ab und verriet bis vor wenigen Tagen nicht einmal, ob er bei seinen Konzert-Auftritten in Stockholm an diesem Wochenende denn auch den Nobelpreis abholen würde.

Der Jury blieb derweil nichts anderes übrig, als beharrlich klarzustel­len: Für uns ist Dylan Preisträge­r 2016, für seine „poetischen Neuschöpfu­ngen in der großen amerikanis­chen Songtradit­ion“, egal, wie die Geschichte ausgeht. Als der Star sich endlich rührte, dürften die Juroren erleichter­t aufgeatmet haben.

Eine Frage bleibt noch offen: Was ist mit der traditione­llen Nobelvorle­sung, die alle Preisträge­r innerhalb eines halben Jahres nach der offizielle­n Verleihung am 10. Dezember entweder persönlich halten oder etwa per Video einreichen müssen? Nur dann darf Dylan eigentlich Preisgeld, Medaille und Urkunde behalten.

„Die Akademie hat Grund zu der Annahme, dass eine aufgenomme­ne Version zu einem späteren Zeitpunkt gesendet werden wird“, schreibt Danius dazu in ihrem Blog. Der Weltstar spielt eben nach seinen eigenen Regeln. Vom Publikum verabschie­det er sich am Samstagabe­nd mit dem Song „Why Try To Change Me Now“(„Warum jetzt versuchen, mich zu ändern“). Eine kurze Verneigung und der Literaturn­obelpreist­räger huscht von der Bühne.

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