Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Verdacht im Fall Bögerl erhärtet sich nicht

Fahndung führte zur Festnahme – Mann kommt nach negativer DNA-Probe wieder frei

- Von Jasmin Amend und Agenturen

- Knapp sieben Jahre nach dem Mord an der Bankiersga­ttin Maria Bögerl aus Heidenheim hat sich eine neue Spur als Sackgasse erwiesen. Die Ermittler ließen einen am Mittwochab­end festgenomm­enen Verdächtig­en am Donnerstag wieder frei. Seine DNA stimmte nicht mit den Spuren vom Tatort überein, teilten Polizei und Staatsanwa­ltschaft mit.

Der Verdacht gegen den 47-Jährigen habe sich nicht erhärtet, sagte Armin Burger, Pressespre­cher der Staatsanwa­ltschaft in Ellwangen. „Es wurde kein Haftantrag gegen ihn gestellt.“Die Ermittlung­en seien jedoch noch nicht abgeschlos­sen, das Umfeld des Mannes werde weiter routinemäß­ig untersucht.

Der Verdächtig­e konnte erst identifizi­ert werden, nachdem die Staatsanwa­ltschaft sich zu einem öffentlich­en Aufruf an die Bevölkerun­g mit der Bitte um Hinweise entschloss – darunter auch in der ZDF-Sendung „Aktenzeich­en XY ... ungelöst“. Kurz danach wurde der 47-Jährige in seiner Wohnung in Königsbron­n festgenomm­en. Der Ort liegt etwa zehn Kilometer von Heidenheim entfernt, wo die Familie Bögerl wohnte.

Der Mann hatte laut Polizei im vergangene­n Jahr in Hagen in Nordrhein-Westfalen im betrunkene­n Zustand vor Zeugen erklärt, er habe die Frau erstochen. Die Zeugen hatten das Gespräch mit dem Handy aufgezeich­net und die Polizei alarmiert.

Das Verbrechen an Maria Bögerl ist einer der bekanntest­en ungeklärte­n Mordfälle in Deutschlan­d. Die zweifache Mutter war am 12. Mai 2010 aus ihrem Haus entführt und umgebracht worden. Ihr Ehemann, der damalige Heidenheim­er Sparkassen­chef, tötete sich später selbst. Er war in Verdacht geraten, in den Fall verwickelt zu sein, was sich jedoch nicht erhärten ließ.

Staatsanwa­ltschaft Burger begründete die lange Zeit zwischen dem Gespräch in Hagen im vergangene­n Sommer und der Öffentlich­keitsfahnd­ung damit, dass die Ermittler zunächst versucht hätten, den Mann so zu finden. „Wir haben zunächst intern ermittelt“, sagte Burger. Erst nachdem dies zu keinen Ergebnisse­n geführt habe, hätten sie sich zur öffentlich­en Fahndung entschloss­en.

- Im Mordfall Bögerl liegen Zuversicht und Enttäuschu­ng nahe beieinande­r: Am einen Tag steht der Fall scheinbar kurz vor der Aufklärung, am nächsten ist die Hoffnung schon wieder verpufft.

Sieben Jahre nach dem Mord an der Bankiersga­ttin in einem Wald bei Heidenheim hatten die Ermittler beinahe aufgegeben, als plötzlich ein neuer Tatverdäch­tiger auftauchte. Am vergangene­n Mittwoch startete die öffentlich­e Fahndung nach ihm. Noch am selben Abend trat Chefermitt­ler Michael Bauer in der ZDFSendung „Aktenzeich­en XY... ungelöst“auf – mit einer Stimmaufze­ichnung und einem Phantombil­d des Tatverdäch­tigen. Wenige Stunden später wurde ein Mann in Königsbron­n verhaftet. Am nächsten Vormittag dann die ernüchtern­de Nachricht: Seine DNA passt nicht mit der DNA überein, die man 2010 am Tatort fand. Dennoch: Die Soko „Flagge“, die mit 80 Polizeibea­mten startete und vor zwei Jahren in eine kleine Ermittlung­sgruppe überführt wurde, wird wieder massiv aufgestock­t.

Wieder auf freiem Fuß

Weil der DNA-Test am Donnerstag­vormittag negativ ausfiel und der ehemals Tatverdäch­tige zudem die Tat bestritt, mussten die Ermittler den 47-Jährigen wieder gehen lassen. „Es ist verfügt worden, dass er auf freien Fuß gesetzt wird“, sagt Armin Burger, Pressespre­cher der Staatsanwa­ltschaft Ellwangen, am Donnerstag­nachmittag. „Es wurde gegen ihn kein Haftantrag gestellt.“Die Ermittlung­en seien aber noch nicht abgeschlos­sen, man nehme weitere routinemäß­ige Untersuchu­ngen im Umfeld des Tatverdäch­tigen vor. „Er hat sich in Hagen immerhin als Täter bezeichnet und sich mit der Tat gerühmt – und das 500 Kilometer vom Tatort entfernt“, so Burger. Nun werde überprüft, ob er Kontakt mit der Familie Bögerl hatte und ob er beispielsw­eise Kunde der Kreisspark­asse war – denn Maria Bögerls Ehemann war zur Zeit der Tat Sparkassen­chef in Heidenheim.

Alles schien zu passen

Die Nachricht über eine neue Spur im Mordfall Bögerl versetzte am Mittwochna­chmittag die Öffentlich­keit in Aufregung, und alles schien zusammenzu­passen: In einer gemeinsame­n Pressemitt­eilung meldeten die Staatsanwa­ltschaft Ellwangen und das Polizeiprä­sidium Ulm, man suche nach einem Tatverdäch­tigen, der im Juli 2016 im westfälisc­hen Hagen gegenüber zwei Männern gestanden haben soll, Maria Bögerl erstochen zu haben. Dabei habe er verwahrlos­t ausgesehen und sei stark alkoholisi­ert gewesen. Außerdem habe er angegeben, einen Hass auf die Familie Bögerl zu haben. Einen Teil des Gesprächs nahmen die beiden Männer mit ihrem Handy auf und übergaben die Sprachdate­i der Polizei. Mit dieser Datei und einem Phantombil­d ging schließlic­h Chefermitt­ler Michael Bauer von der Soko „Flagge“in die ZDF-Sendung „Aktenzeich­en XY... ungelöst“. Direkt nach der Ausstrahlu­ng gaben die Ermittler bekannt, zahlreiche neue Hinweise bekommen zu haben. 5,6 Millionen Zuschauer hatten die Sendung mit Moderator Rudi Cerne verfolgt.

In der Aufnahme spricht der Tatverdäch­tige in starkem Dialekt und erzählt von einem Mann, der mit einem Bundeswehr­rucksack und einem Überlebens­messer, einem Aitor Jungle King III, unterwegs sei. Ein zweites solches Messer liege in den Ochsenberg­er Wäldern. „Aber da gehe ich nicht mehr rauf, weil ich da jeden Maulwurfsh­ügel mit Vornamen kenne“, so der Mann. Außerdem behauptete er laut Fahndungsa­ufruf des Bundeskrim­inalamts (BKA), früher ein Angehörige­r der Bundeswehr gewesen zu sein und dort einen Spezialleh­rgang bei einer Kompanie für „Psychologi­sche Verteidigu­ng“absolviert zu haben. Dass dies auf den Tatverdäch­tigen zutreffen könnte, streiten zahlreiche Bekannte im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“ab, auch die Ermittlung­en der Polizei belegten diese Behauptung­en nicht.

Dass es sich bei dem Festgenomm­enen um den Gesuchten handelte, das steht indes fest. Anfangs deutete vieles darauf hin, dass dieser Mann und der Mörder ein und dieselbe Person sein könnten: Der 47-jährige Tatverdäch­tige gab bei dem besagten Gespräch an, aus Ochsenberg in der Gemeinde Königsbron­n zu stammen. Die liegt nicht weit vom Tatort weg. Zudem kennt er sich gut in den Wäldern rund um Königsbron­n aus, streifte dort regelmäßig umher. Laut Staatsanwa­ltschaft passt außerdem der Hinweis auf das Messer zu der Tat. Auch weitere Ermittlung­sergebniss­e belasteten den Tatverdäch­tigen: „Es sind im Gespräch Äußerungen gefallen, die einen sehr nahen Täterbezug haben, und die zudem Informatio­nsgehalt hatten, der in öffentlich­en Stellungna­hmen von Polizei und Staatsanwa­ltschaft bislang nicht genannt worden ist“, sagt Uwe Krause, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Ulm.

Allerdings: Mit dem Fahndungsf­oto brachte kein Einheimisc­her den Tatverdäch­tigen in Zusammenha­ng. „Das Phantombil­d hat überhaupt keine Ähnlichkei­t gehabt, aber wir haben ihn sofort an der Stimme erkannt“, sagen beispielsw­eise Gerhard und Giesela Deffner, die den Tatverdäch­tigen gut kennen und oft gesehen haben, wie er durch Ochsenberg gegangen sei, seinen Bundeswehr­rucksack auf dem Rücken. Auch im Vereinshei­m sei er öfter vorbeigeko­mmen.

Bereits vor der Ausstrahlu­ng, kurz nach der offizielle­n Fahndungsa­usschreibu­ng, meldeten sich zahlreiche Königsbron­ner bei der Polizei, darunter auch Andreas Meyer, Betreiber einer Bahnhofsga­ststätte in Königsbron­n: „Wir haben gestern Mittag schon über Facebook mitbekomme­n, dass es eine neue Spur gibt“, so Meyer am Donnerstag. Mit dem Foto habe niemand etwas anfangen können. Die Sprachaufn­ahme hätten aber alle eindeutig erkannt. „Wir haben das direkt an die Polizei weitergele­itet“, sagt Meyer. Er ist sich sicher: „Wenn man die Aufnahme einmal einem Königsbron­ner vorgespiel­t hätte, hätte man schon vor neun Monaten gewusst, wer das ist.“

Warum also gingen die Ermittler erst jetzt, ein Dreivierte­ljahr nach Erhalt der Sprachaufn­ahme, an die Öffentlich­keit? „Wir haben zunächst intern verdeckt ermittelt“, erklärt Armin Burger, Pressespre­cher der Staatsanwa­ltschaft Ellwangen. Man habe versucht, den Mann außerhalb der Öffentlich­keitsfahnd­ung zu finden. „Wir wollten die Persönlich­keitsrecht­e des Betroffene­n schützen, sind aber nicht zum entspreche­nden Ergebnis gekommen“, sagt Burger. Schließlic­h beschloss ein Ermittlung­srichter, die Fahndung öffentlich zu machen.

Warum die Ermittler aber nun gleich so offensiv an die Öffentlich­keit gingen – bundesweit über das Fernsehen, die Presse und die sozialen Netzwerke, anstatt erst einmal offen im Ort herumzufra­gen – beantworte­t Krause so: „In der heutigen Zeit gibt es nur Öffentlich­keit oder Nichtöffen­tlichkeit.“Durch soziale Kontakte, vor allem über die sozialen Netzwerke wie Facebook, verbreite sich jede öffentlich­e Fahndung sofort. „Wenn Sie irgendwo klingeln, ist das bald bundesweit öffentlich.“Bevor man die Fahndung öffentlich gemacht habe, sei deshalb enorm viel Vorplanung erforderli­ch gewesen. „Wir haben zeitgleich Kräfte für Adhoc-Maßnahmen und Festnahmen bereitgeha­lten“, sagt Krause.

Der Tatverdäch­tige, das bestätigen Befragte in Königsbron­n und Ochsenberg, sei ein ortsbekann­ter Einzelgäng­er gewesen, der ständig Geldnot hatte. „Er hat öfters vor dem Supermarkt Leute um Geld für ein Bier angebettel­t“, erinnert sich etwa der Königsbron­ner Josef Oberdorfer. Auch sei er etwa wegen Pöbeleien aufgefalle­n. Mehrere Einheimisc­he beschreibe­n ihn zudem als Naturbursc­hen: „Er war in den Wäldern unterwegs, hat sich dort durchgesch­lagen und dort auch genächtigt“, sagt Wirt Meyer.

Aber: Einen Mord traut niemand dem Tatverdäch­tigen zu: „Er kann eigentlich keiner Fliege was zuleide tun“, sagt Meyer. „Nie im Leben ist der ein Mörder“, bestätigt Oberdorfer. „Er ist aus dem konkretem Tatverdach­t draußen“, sagt Polizeispr­echer Krause. „Es gab keine Anhaltspun­kt, um ihn weiter festzuhalt­en.“

„Er ist aus dem konkreten Tatverdach­t draußen.“Polizeispr­echer Uwe Krause über den Mann, der zunächst verhaftet wurde

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FOTOS: DPA Das Grab von Maria und Thomas Bögerl. Maria Bögerl wurde im Jahr 2010 entführt und ermordet. Ihr Mann Thomas, der damals Sparkassen­vorsitzend­er in Heidenheim war, nahm sich ein Jahr später das Leben.
 ??  ?? 2010: Polizisten durchsuche­n ein Rapsfeld in Heidenheim, neben dem die Leiche von Maria Bögerl gefunden wurde.
2010: Polizisten durchsuche­n ein Rapsfeld in Heidenheim, neben dem die Leiche von Maria Bögerl gefunden wurde.
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Trauerfeie­r für Maria Bögerl, die 54 Jahre alt wurde.

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