Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Trump sieht „rote Linien“überschritten
US-Präsident befeuert Spekulationen über mögliche Wende in seiner Syrien-Politik
- Nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff hat US-Präsident Donald Trump der syrischen Regierung indirekt gedroht. „Für mich sind damit eine ganze Reihe von Linien überschritten worden“, sagte Trump am Mittwoch (Ortszeit). Der Angriff auch auf Frauen, Kinder und Babys sei entsetzlich und furchtbar. Dieser „Affront des AssadRegimes gegen die Menschlichkeit kann nicht toleriert werden“.
Noch am Wochenende hatte es den Anschein, als hätte das Kabinett Donald Trumps beschlossen, das Kapitel „Regimewechsel“in Syrien zu den Akten zu legen. UN-Botschafterin Nikki Haley erklärte, der Sturz des Diktators Baschar al-Assad habe keine Priorität mehr. Auch Außenminister Rex Tillerson warf einen zynischen Satz in die Debatte. Es sei allein am syrischen Volk, über die Zukunft seines Landes zu entscheiden, sagte er, als hätten die Syrer ein demokratisches Mitspracherecht.
Die Botschaft schien klar: Trump wird keinem Potentaten der arabischen Welt ins Handwerk pfuschen, nicht mal Assad. Der Isolationist des „America first“denkt nicht daran, im Nahen Osten zu intervenieren, um ein mörderisches Regime aus den Angeln zu heben.
Alles ist wieder offen
Dann aber wurden in Nordsyrien Chemiewaffen eingesetzt, und unter dem Eindruck schockierender Fernsehbilder scheint Trump seinen Kurs geändert zu haben. Auf einmal ist alles offen, selbst ein Militärschlag gegen die Regierung in Damaskus ist denkbar. Indem Trump betont, dass er flexibel sei, frühere Ansichten zu ändern, gibt er den Spekulationen Nahrung.
Andererseits weiß man schon aus Erfahrung, dass der US-Präsident gern von einem Thema zum nächsten springt. Ob seine emotionalen Worte nach der Giftgas-Attacke eine Wende bedeuten? Ob es nur ein paar aus dem Stegreif formulierte Sätze waren, der auf maximale Medienwirkung bedachte, aber folgenlose Kommentar? Im Moment gibt es keinen, der darauf eindeutige Antworten geben könnte.
Wofür Trump instinktiv steht, hat er über Jahre deutlich gemacht. Als der frühere US-Präsident Barack Obama eine Militäraktion ankündigte und dann abblies, nachdem Assads Truppen 2013 Chemiewaffen abgefeuert hatten, gab ihm der New Yorker Unternehmer vorbehaltlos recht. „Präsident Obama, greifen Sie Syrien nicht an“, er sehe nur Nachteile, schrieb er damals bei Twitter.
„Halten Sie Ihr Pulver für einen anderen (und wichtigeren) Tag trocken“, riet er, was nichts daran ändert, dass er seinen Vorgänger im Oval Office heute wegen seines Verzichts auf einen Angriff angreift. Obama habe eine Gelegenheit zur Lösung des Syrienkonflikts verpasst, weil er versäumte, seiner roten Linie Geltung zu verschaffen, sagt Trump. Allein schon diese irrlichternde Rhetorik macht es so gut wie unmöglich, Trumps wahre Absichten einzuschätzen. Zudem lehnt er es ab, militärische Pläne auch nur zu skizzieren: Den Gegner vorab wissen zu lassen, was man zu tun gedenke, wäre aus seiner Sicht grundfalsch. Im Wahlkampf hatte es noch so geklungen, als wäre der Tycoon in der Pose des entschlossenen Antiterrorstrategen zu einer stillschweigenden Allianz mit Damaskus, Moskau und Teheran bereit, um den „Islamischen Staat“, im amerikanischen Diskurs meist ISIS genannt, zu besiegen. „Ich mag Assad überhaupt nicht“, sagte Trump einmal während einer Kandidatendebatte. „Aber Assad tötet ISIS. Russland tötet ISIS, und der Iran tötet ISIS.“
Für den Fall, dass Trump tatsächlich eine Kehrtwende vollzieht, dürfte er genauso in einer Zwickmühle stecken, wie sich Obama im Spätsommer 2013 in einem Dilemma befand. Ein möglicher Raketenschlag wirft die Frage auf, was am Tag danach geschieht, falls sich Assad von einer militärischen Machtdemonstration nicht beeindrucken lässt.
Eine forcierte Aufrüstung von Rebellen birgt wiederum das Risiko, dass die Waffen in die Hände von Fanatikern fallen könnten. Es sind dieselben Diskussionspunkte wie damals, mit einem wichtigen Unterschied: Diesmal ist Russland als Schutzmacht des Autokraten militärisch präsent - was die Gefahr einer Eskalation erheblich erhöht.