Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Die Nato ist ein Relikt des Kalten Krieges“
Linken-Chef Bernd Riexinger will eine Partnerschaft mit Russland, höhere Löhne und 1050 Euro Mindestrente
- Die Linke will keine sozialen Wohltaten verteilen. Eine steuerfinanzierte Grundrente und zwölf Euro Mindestlohn sind aus Sicht von Bernd Riexinger vielmehr Selbstverständlichkeiten, wie der Bundesvorsitzende der Linken im Gespräch mit Hendrik Groth, Claudia Kling und Katja Korf betont.
Herr Riexinger, Ihr Wahlprogramm erweckt nicht unbedingt den Eindruck, als strebten Sie eine Koalition mit der SPD nach der Bundestagswahl an. Sind Sie daran nicht mehr interessiert?
Das kann man aus unserem Wahlprogramm nicht ableiten. Ich finde, dass die Forderung nach zwölf Euro Mindestlohn, nach einem Programm gegen prekäre Arbeit, nach einer Mindestrente von 1050 Euro und auch nach Steuerentlastungen für untere und mittlere Einkommen Selbstverständlichkeiten sind. Ich kann nicht verstehen, welche Probleme die SPD damit haben soll.
Der SPD dürfte es vielleicht nicht gefallen, dass Sie das Ende der Nato fordern und stattdessen eine Partnerschaft mit Russland ins Spiel bringen.
Die Nato ist ein Relikt des Kalten Krieges. Anstelle der Nato streben wir eine Sicherheitspartnerschaft unter Einschluss von Russland an. Ohne Friedenspolitik mit Russland wird es keinen dauerhaften Frieden in Europa geben. Diese Einsicht war bereits die Grundlage der Entspannungspolitik von Willy Brandt, und kein vernünftiger Politiker würde das Gegenteil sagen. Für die Partnerschaft mit Russland plädiere ich ganz unabhängig davon, was ich von Putin halte. Für mich ist er der Vorsitzende eines Oligarchenkapitalismus.
Ihre Partei sieht aber nicht nur die Nato kritisch, sondern auch die Europäische Union. Oskar Lafontaine bezeichnete offene Grenzen als „Forderung des Neoliberalismus“. Gehen Sie da nicht an die Wurzeln der EU?
Wir sind eine internationalistische, also proeuropäische Partei. Dazu haben wir eine klare Beschlusslage in unserer Partei und in unserem Programm. Die vorherrschende Politik der EU als Organisation zu kritisieren ist absolut notwendig, denn sie spaltet Europa wirtschaftlich und sozial. Die Kürzungs- und Währungspolitik ist hochgefährlich, weil sie innerhalb Europas Ungleichheiten schafft. Wir wollen nicht aus der Europäischen Union oder dem Euro raus, sondern wir wollen einen Neustart der EU mit einer sozialen, ökologischen und demokratischen Politik. So weiterzumachen wie bisher würde den europäischen Gedanken untergraben.
Zurück zur Innenpolitik: Erhoffen Sie sich große Unterstützung von der SPD für Ihre Mindestlohn-Forderung von zwölf Euro?
Man macht ein Wahlprogramm, um für die eigene Position zu werben und nicht für andere Parteien. Unsere Mindestlohn-Forderung resultiert aus einer Anfrage an die Bundesregierung, die ergab: Mit dem jetzigen Mindestlohn landen die Menschen im Alter in Armut. Sie müssen mindestens 11,68 Euro 45 Jahre lang in Vollzeit verdienen, um eine Rente oberhalb der Grundsicherung von 780 Euro zu bekommen. Deshalb sind zwölf Euro völlig begründet – und selbst die sind nur unterstes Niveau. Die Löhne müssten flächendeckend höher sein.
Wie wollen Sie Ihre Wahlversprechen wie 1050 Euro Mindestrente und eine ebenso hohe Grundsicherung im Monat finanzieren, ohne die Jüngeren zu belasten?
Das ist relativ einfach zu finanzieren: Als Erstes muss die Riesterrente abgeschafft werden, weil diese ohnehin nur dazu da war, Rentenkürzungen einseitig auf dem Rücken der Arbeitnehmer auszugleichen. Diese erworbenen Ansprüche müssen in die gesetzliche Altersvorsorge zurück überführt werden. Und wir wollen zurück zur paritätischen Finanzierung der Rente, dann würden auch die Beitragssätze nur moderat steigen. Eine armutsfeste Grundrente von 1050 Euro muss man allerdings aus Steuern finanzieren, das ist aus Beitragsmitteln nicht möglich.
Und dafür würden Sie Gutverdienern und Vermögenden mehr Steuern abverlangen?
Deutschland steht in Europa ziemlich alleine da – in keinem großen Industriestaat werden Vermögen so gering besteuert wie hierzulande. Sozial gerecht wäre eine Vermögensteuer von fünf Prozent ab der zweiten Million. Selbst bei höheren Freibeträgen für Betriebe, wie wir sie gleichzeitig fordern, kämen jedes Jahr 80 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen. Zudem möchten wir Steuerschlupflöcher stopfen und die Erbschaftsteuer erhöhen, weil es nicht einsehbar ist, dass reiche und superreiche Erben fast keine Erbschaftsteuer in Deutschland bezahlen.
Ab wann sind Menschen für Sie reich? Zählt dazu auch schon der gut funktionierende kleine Handwerksbetrieb?
Nein. 90 Prozent der Betriebe wären überhaupt nicht betroffen. Wir wollen ja kein Betriebsvermögen abschmelzen. Bei der Vermögensteuer und Erbschaftsteuer haben wir für Betriebe einen Freibetrag von fünf Millionen eingeplant. Bei der Einkommensteuer haben wir eine Grenze von 86 000 Euro Bruttoverdienst im Jahr gesetzt. Von diesem Betrag an würde nach und nach der Spitzensteuersatz bis zu einem Maximum von 53 Prozent greifen. Dafür müssten Sie aber deutlich mehr als 100 000 Euro verdienen.
Fürchten Sie nicht, dass die Vermögenden dann einfach abwandern?
Dann müssten sie aber weit gehen. Deutschland ist kein Hochsteuerland, nirgendwo werden die Reichen so gepudert wie bei uns.
Sind die 1050 Euro ein LockvogelBetrag für Hartz-IV-Empfänger, die sich der AfD zugewandt haben?
Wir haben die Abschaffung der rechtswidrigen Sanktionen gegen Langzeiterwerbslose und die Einführung einer Mindestsicherung bereits gefordert, lange bevor die AfD überhaupt existierte. Hartz IV ist Armut per Gesetz und verstößt gegen die Menschenwürde. Unsere Forderung von 1050 Euro ist keine soziale Wohltat, sondern ein Weg, die Demütigungen von Langzeiterwerbslosen zu beenden und ihr Existenzminimum zu sichern. Von der Summe muss dann im Übrigen auch die Miete bezahlt werden.
Für welchen Kurs steht die Linke in der Flüchtlingspolitik? Da gab es ja innerparteilich einige Verwerfungen?
Das Programm, das für alle gilt, ist ganz einfach: Menschen in Not muss geholfen werden. Wer nach Deutschland kommt, braucht Hilfe, um sich zu integrieren: Sprachkurse und Arbeitsmöglichkeiten. Es ist genug für alle da. Damit es keine Konkurrenz zwischen Geflüchteten und den Menschen im Land gibt, müssen beispielsweise endlich kommunale, bezahlbare Wohnungen für alle gebaut werden.
Weiß das auch Frau Wagenknecht?
Frau Wagenknecht hat keiner der Asylrechtsverschärfungen im Bundestag zugestimmt. Da sind andere Parteien wie die Grünen viel heuchlerischer als die Linken. Meine Partei ist klar, wenn es um das Grundrecht auf Asyl und um Obergrenzen geht.