Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Gute Zahlen in unsicheren Zeiten
Medizingerätehersteller Aesculap wächst und kritisiert „Neoprotektionismus“im Welthandel
- Die guten Zahlen, die Hanns-Peter Knaebel vorstellte, passten eigentlich gar nicht zu der Zeit, an die der Aesculap-Chef erinnerte. Der Vorstandsvorsitzende des vor 150 Jahren gegründeten Tuttlinger Traditionsunternehmens blickte auf die Tage zurück, als die Pleite der New Yorker Investmentbank Lehman die Welt 2008 in eine globale Finanzkrise gestürzt hatte – und alle Welt „auf Sicht fuhr“. Das könne man genau so fortschreiben. „Wir fahren wieder auf Sicht, nur die Gründe sind andere“, sagte Knaebel – und zählte die aus seiner Sicht drängendsten Problemregionen in wirtschaftlicher Hinsicht auf. „Beim Brexit oder der veränderten Situtation in den USA spricht man von Neoprotektionismus, man vergisst aber, dass auch in Russland Hersteller massiv behindert werden, dass die Situation in der Türkei und im Mittleren Osten immer schwieriger wird.“
Alles Entwicklungen, die das Geschäft des Unternehmens im vergangenen Jahr noch nicht beeinflusst haben. „Wir blicken auf ein gutes, ein sehr ordentliches Jahr 2016 zurück“, erklärte Knaebel am Donnerstag in Tuttlingen. Bescheidende Worte im Hinblick darauf, dass Aesculap den Umsatz in den vergangenen zwölf Monaten erneut gesteigert und auch beim operativen Gewinn (Ebitda) zugelegt hat. Der Umsatz stieg um 3,7 Prozent auf 1,725 Milliarden Euro, der operative Gewinn um 6,3 Prozent. Genau weist das Unternehmen als einhundertprozentige Tochter des Pharmakonzerns B. Braun den Gewinn nicht aus.
Nach Angaben Knaebels ist Aesculap aber profitabel und steuere etwa 35 Prozent zum operativen Gewinn von B. Braun bei. Das nordhessische Unternehmen erwirtschaftete 2016 bei einem Gesamtumsatz von 6,471 Milliarden Euro einen operativen Gewinn (Ebitda) von 975 Millionen Euro. Damit hätte Aesculap unterm Strich operativ etwa 340 Milllionen Euro verdient.
Trotz der guten Ergebnisse blickt Knaebel nicht ohne Sorgen in die Zukunft. Der Grund liegt in der Tatsache, dass das Tuttlinger Unternehmen 80 Prozent seiner Umsätze im Ausland erwirtschaftet. Vor allem in Nordamerika, in den USA, in TrumpLand, steht Aesculap vor unsicheren Zeiten. Der geplante Importzoll für im US-Ausland produzierte und in die Vereinigten Staaten eingeführte Produkte könnte den Medizingerätehersteller hart treffen. „Das wäre eine Entscheidung aus dem Gruselkabinett der Maßnahmen“, sagte Knaebel. „So gut wie alle Produkte, die wir in den USA verkaufen, importieren wir“, erläuterte Knaebel. „Das würde einfach alles verteuern.“
Auch in Großbritannien hat Aesculap seit mehr als zehn Jahren keine eigenen Werke mehr. „Noch haben wir keine Änderungen bei der Nachfrage bemerkt“, erklärte Knaebel. Sollten im Zuge des Brexit allerdings handelspolitische Barrieren entstehen, „wird England aufgrund der deindustriellen Struktur Probleme mit dem Aufbau eigener Produktionen bekommen.“Und damit auch die Unternehmen, die zwar in England Produkte verkaufen wollen, aber keine eigenen Werke auf der Insel haben.
Trotz aller weltpolitischer Unsicherheiten geht das vor 150 Jahren als Instrumentenwerkstatt von Messerschmied Gottfried Jetter gegründete Unternehmen optimistisch ins Jubiläumsjahr. Das erste Quartal 2017 lief mit einem Wachstum von zehn Prozent sehr gut, auch der Auftragszugang läge im Vergleich zum Vorjahr bei einem deutlichen Plus. Und auch der Aufwand aufgrund der Neufassung der Medizintechnikrichtlinie, die das Unternehmen jährlich 13 Millionen Euro kostet, sei für das Unternehmen nach Angaben Knaebels nicht existienziell.
Innovationslabor Werk 39
Vor allem aber setzt Aesculap große Hoffnungen auf das Werk 39 – ein Innovationslabor, das der Medizingerätehersteller im März in Tuttlingen eingerichtet hat und das in diesem Jahr seine Arbeit aufnimmt. In dem Gebäude soll ein Zukunftsteam gemeinsam mit Ärzten, Krankenschwestern und Gesundheitsexperten auf der einen Seite sowie den Fachabteilungen von Aesculap auf der anderen Seite an neuen Produkten, Techniken und Dienstleistungen tüfteln. „Wir wollen in diesem Haus interne und externe Innovationen zusammenbringen“, sagte Vertriebsvorstand Jens von Lackum. „Es ist ein Experiment, wir hoffen, dass das alles funktioniert.“
Ausbauen will Aesculap auch seine Start-up-Strategie. Bereits jetzt beteiligt sich das Unternehmen im Schnitt jährlich an fünf neu gegründeten Firmen, zumeist aus der Medizintechnik, aber auch aus der Luftfahrt oder dem Energiesektor. „Die Impulse wollen wir dann auf unsere Branche übertragen“, erläuterte von Lackum.
Hoffnung machen dem Unternehmen jedoch nicht nur diese Investitionen in die Zukunft, Hoffnung macht auch die Tatsache, dass noch lange nicht feststeht, ob Aesculap wirklich und in aller Konsequenz lange auf Sicht fahren muss. „Wir wissen einfach noch nicht, nach welchen Regeln der Warentransfer mit Großbritannien in Zukunft funktionieren wird“, sagte der Unternehmenschef. „Und die vergangenen Tage haben gezeigt, dass Trump nicht alle Gesetze, die er gerne hätte, durchbringt.“
So schnell bringt auch ein US-Präsident ein traditionsreiches Unternehmen nicht aus der Ruhe.