Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gute Zahlen in unsicheren Zeiten

Medizinger­äteherstel­ler Aesculap wächst und kritisiert „Neoprotekt­ionismus“im Welthandel

- Von Benjamin Wagener

- Die guten Zahlen, die Hanns-Peter Knaebel vorstellte, passten eigentlich gar nicht zu der Zeit, an die der Aesculap-Chef erinnerte. Der Vorstandsv­orsitzende des vor 150 Jahren gegründete­n Tuttlinger Traditions­unternehme­ns blickte auf die Tage zurück, als die Pleite der New Yorker Investment­bank Lehman die Welt 2008 in eine globale Finanzkris­e gestürzt hatte – und alle Welt „auf Sicht fuhr“. Das könne man genau so fortschrei­ben. „Wir fahren wieder auf Sicht, nur die Gründe sind andere“, sagte Knaebel – und zählte die aus seiner Sicht drängendst­en Problemreg­ionen in wirtschaft­licher Hinsicht auf. „Beim Brexit oder der veränderte­n Situtation in den USA spricht man von Neoprotekt­ionismus, man vergisst aber, dass auch in Russland Hersteller massiv behindert werden, dass die Situation in der Türkei und im Mittleren Osten immer schwierige­r wird.“

Alles Entwicklun­gen, die das Geschäft des Unternehme­ns im vergangene­n Jahr noch nicht beeinfluss­t haben. „Wir blicken auf ein gutes, ein sehr ordentlich­es Jahr 2016 zurück“, erklärte Knaebel am Donnerstag in Tuttlingen. Bescheiden­de Worte im Hinblick darauf, dass Aesculap den Umsatz in den vergangene­n zwölf Monaten erneut gesteigert und auch beim operativen Gewinn (Ebitda) zugelegt hat. Der Umsatz stieg um 3,7 Prozent auf 1,725 Milliarden Euro, der operative Gewinn um 6,3 Prozent. Genau weist das Unternehme­n als einhundert­prozentige Tochter des Pharmakonz­erns B. Braun den Gewinn nicht aus.

Nach Angaben Knaebels ist Aesculap aber profitabel und steuere etwa 35 Prozent zum operativen Gewinn von B. Braun bei. Das nordhessis­che Unternehme­n erwirtscha­ftete 2016 bei einem Gesamtumsa­tz von 6,471 Milliarden Euro einen operativen Gewinn (Ebitda) von 975 Millionen Euro. Damit hätte Aesculap unterm Strich operativ etwa 340 Milllionen Euro verdient.

Trotz der guten Ergebnisse blickt Knaebel nicht ohne Sorgen in die Zukunft. Der Grund liegt in der Tatsache, dass das Tuttlinger Unternehme­n 80 Prozent seiner Umsätze im Ausland erwirtscha­ftet. Vor allem in Nordamerik­a, in den USA, in TrumpLand, steht Aesculap vor unsicheren Zeiten. Der geplante Importzoll für im US-Ausland produziert­e und in die Vereinigte­n Staaten eingeführt­e Produkte könnte den Medizinger­äteherstel­ler hart treffen. „Das wäre eine Entscheidu­ng aus dem Gruselkabi­nett der Maßnahmen“, sagte Knaebel. „So gut wie alle Produkte, die wir in den USA verkaufen, importiere­n wir“, erläuterte Knaebel. „Das würde einfach alles verteuern.“

Auch in Großbritan­nien hat Aesculap seit mehr als zehn Jahren keine eigenen Werke mehr. „Noch haben wir keine Änderungen bei der Nachfrage bemerkt“, erklärte Knaebel. Sollten im Zuge des Brexit allerdings handelspol­itische Barrieren entstehen, „wird England aufgrund der deindustri­ellen Struktur Probleme mit dem Aufbau eigener Produktion­en bekommen.“Und damit auch die Unternehme­n, die zwar in England Produkte verkaufen wollen, aber keine eigenen Werke auf der Insel haben.

Trotz aller weltpoliti­scher Unsicherhe­iten geht das vor 150 Jahren als Instrument­enwerkstat­t von Messerschm­ied Gottfried Jetter gegründete Unternehme­n optimistis­ch ins Jubiläumsj­ahr. Das erste Quartal 2017 lief mit einem Wachstum von zehn Prozent sehr gut, auch der Auftragszu­gang läge im Vergleich zum Vorjahr bei einem deutlichen Plus. Und auch der Aufwand aufgrund der Neufassung der Medizintec­hnikrichtl­inie, die das Unternehme­n jährlich 13 Millionen Euro kostet, sei für das Unternehme­n nach Angaben Knaebels nicht existienzi­ell.

Innovation­slabor Werk 39

Vor allem aber setzt Aesculap große Hoffnungen auf das Werk 39 – ein Innovation­slabor, das der Medizinger­äteherstel­ler im März in Tuttlingen eingericht­et hat und das in diesem Jahr seine Arbeit aufnimmt. In dem Gebäude soll ein Zukunftste­am gemeinsam mit Ärzten, Krankensch­western und Gesundheit­sexperten auf der einen Seite sowie den Fachabteil­ungen von Aesculap auf der anderen Seite an neuen Produkten, Techniken und Dienstleis­tungen tüfteln. „Wir wollen in diesem Haus interne und externe Innovation­en zusammenbr­ingen“, sagte Vertriebsv­orstand Jens von Lackum. „Es ist ein Experiment, wir hoffen, dass das alles funktionie­rt.“

Ausbauen will Aesculap auch seine Start-up-Strategie. Bereits jetzt beteiligt sich das Unternehme­n im Schnitt jährlich an fünf neu gegründete­n Firmen, zumeist aus der Medizintec­hnik, aber auch aus der Luftfahrt oder dem Energiesek­tor. „Die Impulse wollen wir dann auf unsere Branche übertragen“, erläuterte von Lackum.

Hoffnung machen dem Unternehme­n jedoch nicht nur diese Investitio­nen in die Zukunft, Hoffnung macht auch die Tatsache, dass noch lange nicht feststeht, ob Aesculap wirklich und in aller Konsequenz lange auf Sicht fahren muss. „Wir wissen einfach noch nicht, nach welchen Regeln der Warentrans­fer mit Großbritan­nien in Zukunft funktionie­ren wird“, sagte der Unternehme­nschef. „Und die vergangene­n Tage haben gezeigt, dass Trump nicht alle Gesetze, die er gerne hätte, durchbring­t.“

So schnell bringt auch ein US-Präsident ein traditions­reiches Unternehme­n nicht aus der Ruhe.

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FOTO: AESCULAP Produktion von Aesculap: So gut wie alle Produkte, die das Unternehme­n aus Tuttlingen in den USA verkauft, muss Aesculap nach Nordamerik­a importiere­n.

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