Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Bakterien sind unglaublich erfinderisch“
Pharmazeut Timo Niedermeyer über den schwierigen Kampf gegen resistente Keime
- Infektionen mit bestimmten Bakterien waren damals ein sicheres Todesurteil. Es ist noch nicht einmal 100 Jahre her, als Krankheiten wie Tuberkulose und Wundbrand unheilbar waren. Bis der Mediziner Alexander Fleming 1928 einen Stoff gegen die Erreger entdeckte – das Penicillin. Seitdem haben Forscher immer neue Substanzen gegen verschiedene bakterielle Erreger entdeckt. Lange sah es so aus, als würde der Mensch über einen Großteil krankheitserregender Bakterien siegen. Doch derzeit breiten sich Resistenzen gegen Antibiotika immer weiter aus. Wie und wo können neue Wirkstoffe gefunden werden? Darüber hat Daniel Hadrys mit Professor Timo Niedermeyer, Pharmazeut und Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, gesprochen.
Herr Niedermeyer, droht uns wirklich ein „postantibiotisches Zeitalter“? Einige Experten sagen voraus, dass bis zum Jahr 2050 jährlich bis zu zehn Millionen Menschen an Infektionen mit resistenten Bakterien sterben – das wären mehr als Krebs- und Verkehrstote zusammen.
Wenn wir nichts tun, auf jeden Fall. Das lässt sich hochrechnen, wenn man sich anschaut, wie schnell Resistenzen sich entwickeln und verbreiten. Daher ist eine große Anstrengung in dem Bereich notwendig – die es aber auch gerade gibt.
Wie viele Antibiotika kennen wir und wie viele sind noch uneingeschränkt wirksam?
In Deutschland werden etwa 80 antibiotische Wirkstoffe gegen verschiedene bakteriell verursachte Krankheiten eingesetzt. Diese Antibiotika kommen aus etwa 15 chemisch unterschiedlichen Wirkstoffklassen, die jeweils verschiedene Wirkmechanismen haben. Es gibt einige „Reserveantibiotika“, die noch gut wirksam sind. Das eigentliche Problem ist aber, dass die gut verträglichen Antibiotika auch am meisten verschrieben werden und sich gegen diese deshalb die meisten Resistenzen ausbreiten. Die Antibiotika, die dann irgendwann nur noch zur Verfügung stehen, sind auch die, die auf den Menschen toxisch wirken.
Wie lernen Bakterien, mit Antibiotika umzugehen?
Die meisten Antibiotika basieren auf natürlichen Substanzen, die beiin spielsweise von Bakterien gebildet werden. Bei jeder Substanz, die wir in der Natur finden, gibt es auch schon einen Resistenzmechanismus. Es ist nur die Frage, wie schnell sich dieser Mechanismus bei den krankheitserregenden Bakterien durchsetzt. Auch die Evolution hilft den Bakterien – wenn Bakterien von Antibiotika nur geschwächt, aber nicht getötet werden, setzen sich unempfindlichere mit der Zeit durch. Stoffe können von resistenten Bakterien zum Beispiel durch Transporter wieder direkt aus der Zelle befördert werden. Oder die Zielstruktur, an die sich das Antibiotikum heften soll, kann sich verändern. Bakterien können Enzyme bilden, die die Antibiotika abbauen oder so verändern, dass sie nicht mehr wirken können. Bakterien sind unglaublich erfinderisch.
Warum werden denn immer mehr Bakterienarten resistent gegen verschiedene Antibiotika?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Auf der einen Seite werden Antibiotika zu freigiebig verschrieben. Der Patient kommt mit einem Halskratzen die Praxis, der Arzt schreibt ein Antibiotikum auf, obwohl es vielleicht gar nicht nötig oder sinnvoll gewesen wäre. Bei Halsentzündungen und Husten beispielsweise, die größtenteils viral bedingt sind, machen Antibiotika keinen Sinn, weil sie nicht gegen Viren wirken. Auch wird zu wenig getestet, welcher Erreger genau für eine Erkrankung verantwortlich ist. Ärzte verschreiben häufig Breitbandantibiotika. Die treffen dann zwar den Krankheitserreger, aber auch alles links und rechts davon.
Welchen Anteil tragen die Patienten an den Resistenzen?
Antibiotika sind fantastische Arzneimittel. Sie wirken sehr schnell, man fühlt sich schnell besser. Das kann dazu führen, dass einige Patienten die Medizin nach drei Tagen absetzen – obwohl sie die vielleicht eine Woche hätten nehmen müssen. Die Erreger, die nicht ganz empfindlich gegen das Antibiotikum waren, sind zwar geschwächt, aber noch nicht vollständig abgetötet und können wieder hochwachsen. So setzen sich die unempfindlicheren Bakterien durch. Es ist sehr wichtig, dass die Patienten die Antibiotika so lange nehmen, wie der Arzt es ihnen sagt oder es in der Packungsbeilage steht.
Verbände warnen vor einem zu exzessiven Verbrauch von Antibiotika in der Massentierhaltung, Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) brachte sogar das Verbot einiger Antibiotika ins Gespräch. Wie groß ist das Problem dort?
Das ist ein riesiges Problem. Antibiotika werden in der Massentierhaltung breit eingesetzt, um mangelnde Hygienezustände abzudecken. Die Antibiotikabgabe führt auch zu einer Wachstumssteigerung.
Wie sieht es mit der Verbreitung multiresistenter Keime in Krankenhäusern aus?
Im Krankenhaus kommen viele kranke Menschen auf engem Raum zusammen, die auch im Zusammenhang mit größeren Operationen häufig eine antibiotische Therapie benötigen. Daher sind dort viele dieser problematischen Keime zu finden. Auch herrschen häufig Zeitund Kostendruck, da lässt sich eine Verbreitung nicht immer vermeiden. Wie und wo können Sie denn überhaupt neue Wirkstoffe finden? Mikroorganismen befinden sich immer in einer Konkurrenzsituation. Die Krankheitsorganismen sind in ihrem natürlichen Umfeld, beispielsweise im Boden, von vielen anderen Mikroorganismen umgeben und müssen sich gegen diese durchsetzen. Dafür bilden sie entsprechende Stoffe. Ich beschäftige mich mit Cyanobakterien, die noch nicht so gut erforscht sind, und in Süß- und Salzwasser, Böden oder auf den Oberflächen von Bäumen oder Gesteinen vorkommen. Andere forschen zum Beispiel mit Myxobakterien, die ebenfalls noch nicht so gut untersucht sind. Es gibt einen Trend, dort nach neuen Stoffen zu suchen, wo man bisher noch nicht gesucht hat. Da ist die Wahrscheinlichkeit, etwas Neues zu finden, einfach größer.
Kriechen Sie als Forscher durch den Regenwald oder tauchen den Meeresgrund ab, um neue Stoffe zu finden?
Das machen wir tatsächlich. Aber Bakterien im Schönbuch können genauso interessant sein wie die im Regenwald. Wir kennen nur einen Bruchteil der Bakterien, die es auf dem Planeten gibt. Von einem Großteil wissen wir nicht einmal, wie wir sie im Labor kultivieren können. Wir müssen überall suchen. Es wäre falsch, nur in artenreichen Regionen in den Tropen zu suchen.
Wie entdecken Sie diese neuen Substanzen?
Zunächst kultivieren wir eine Reihe von Krankheitserregern im Labor und setzen neu isolierte Bakterien auf diese Keime an. Wir achten darauf, ob sie sich gegenseitig beeinflussen oder nicht. Wenn wir Bakterien finden, die diese Krankheitserreger abtöten können, müssen wir herausfinden, wie sie das tun. Ein Bakterium produziert einen Cocktail aus vielen Substanzen. Unsere Aufgabe ist es, den Stoff aus dem Cocktail zu identifizieren, der gegen den Krankheitserreger wirkt. Wir müssen jedoch ausschließen, dass es sich um eine Substanz handelt, die wir schon kennen. In der morgigen Folge der Gesundheitsserie geht es ums Impfen. Alle Teile der Serie und weitere Informationen finden Sie unter www.schwaebische.de/ leibundseele.