Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Experten raten vom Krippenbesuch bis zum zweiten Lebensjahr ab“
Zum Interview mit Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig „Väter und Mütter wollen beides: Beruf und Familie“(4.4.): Die Aussage in der Überschrift ist ebenso richtig wie banal. Gleichwohl trifft dies nicht bei allen zu. Zwei Drittel der Eltern, in der Regel die Frauen, wollen ihre Kinder zumindest bis zum Kindergartenalter selbst und zu Hause versorgen. Im Landkreis Biberach sind es sogar 80 Prozent. Sie wissen auch warum. Die meisten kennen inzwischen die Forschungsergebnisse über das Bindungsverhalten, entwicklungspsychologische Aspekte und die Entwicklung von Bildungsmöglichkeiten im Kleinkindalter. Sie lieben eben ihre Kinder über alles und wollen sie in den prägenden Jahren – von notwendigen Ausnahmen abgesehen, beispielsweise alleinerziehende Mütter, Kinder aus prekären Familienverhältnissen – möglichst nicht in fremde Hände geben.
Das aber will Frau Schwesig, möglichst schon mit sechs Monaten, damit Frauen wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Darin ist sie sich mit der Wirtschaft einig, die selbst für Kleinkinder eine Ganztagsbetreuung fordert. 24-StundenKitas werden auch schon umgesetzt. Der Weg zur Wochen-Kita wie in der DDR ist da nicht weit – mit verheerenden Folgen für die Kinder. Auf Experten wird dabei nicht gehört, die vom Krippenbesuch bis zum zweiten Lebensjahr abraten. Und die Qualität der Krippen hat sich seit der Nubbek-Studie nur wenig geändert. So sind 80 Prozent der Krippen nur mittelmäßig, davon sogar 20 Prozent als „schlecht“bewertet.
Und bezüglich der Besserstellung kinderreicher Familien haben die SPD-geführten Familien- und Sozialministerien lange Zeit gehabt, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts dazu umzusetzen. Geschehen ist nichts oder wenig. Das gilt auch für die Besserstellung und Unterstützung der Alleinerziehenden. Und dieses Nichtstun wird dann auch noch der CDU in die Schuhe geschoben. Dr. Hans-Otto Dumke, Biberach
Besser andere Anreize schaffen
Zum Bericht „Änderungen beim Medizinstudium willkommen“(3.4.): Es wurde also ein „Masterplan Medizinstudium“beschlossen und wieder einmal eine Rechnung aufgemacht, ohne den Wirt zu fragen. Dazu bleibt Folgendes festzuhalten: Welches Interesse haben Krankenkassen am Medizinstudium? Und warum sollen sie da mitreden und nicht die betroffenen Studenten?
Landessozialminister Manfred Lucha will zurecht die Versorgung in Baden-Württemberg verbessern. Da kann er auf die Unterstützung der Ärzte hoffen. Jedoch: Man sollte sie miteinbeziehen. Ein hochmotivierter Abiturient im Alter von 18 oder 19 Jahren soll sich verpflichten, sich die nächsten 21 Jahre nur dem einen Ziel – Landarzt zu sein – zu widmen?! Das setzt sich so zusammen: mindestens sechs Jahre Studium, dann verpflichtend mindestens fünf Jahre Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner, dann wird ihm seine zukünftige Wirkungsstätte für mindestens zehn Jahre (unterversorgter ländlicher Raum) zugewiesen. Ich weiß nicht, wem das eingefallen ist. Kein Student der Medizin weiß am Anfang des Studiums, welches Fachgebiet ihn am Ende am meisten interessiert.
Es gilt, andere Anreize zu schaffen: Nachhaltigkeit im Honorarsystem, Infrastruktur für eine „Landarztfamilie“und Spaß am Beruf. Dann klappt das ganz automatisch.
Ravensburg
Die Stunde der Besserwisser
Zum Bericht „Experten halten Polizei für unterbesetzt“und zum Kommentar „Das wird teuer“(29.3.): Dass es bei der Reform der Polizeiorganisation Fehler gab, war aufgrund der Komplexität zu erwarten und nicht zu vermeiden. Deshalb soll nun nachgesteuert werden. Die Äußerung der Kommentatorin, dass es ärgerlich sei, dass grobe Fehler nicht vermieden wurden, reiht sich deshalb für mich in die immer häufiger festzustellende Tendenz der Medien und Politik ein, im Nachhinein mitzuteilen, dass man es eigentlich schon vorher besser wusste. Vergessen wird hierbei die Lebensweisheit „Danach sind alle klüger“.
Wenn im Kommentar erwähnt wird, dass es viel Geld koste, die Vorschläge umzusetzen, von 120 Stellen mehr gesprochen und darauf verwiesen wird, dass auch die Polizei effizient arbeiten müsse, fehlen mir fast die Worte für eine angemessene und ruhige Antwort. Entsprechend kritische Kommentare zur seit Jahren laufenden Bildungsreform habe ich zum Beispiel noch nie gelesen. Erst kürzlich war in der „Schwäbischen Zeitung“zu lesen, dass das Qualifizierungsprogramm für Lehrer mit nachfolgendem Gehaltsaufstieg 40 bis 50 Millionen Euro jährlich kosten wird. Einen Aufschrei wegen der Kosten habe ich nicht wahrgenommen. Als mitgeteilt wurde, dass mehrere Tausend Lehrer aufgrund der veränderten Situation eingestellt werden müssen, war ebenfalls kein Aufschrei zu hören. Aber 120 Polizisten mehr belasten scheinbar den Haushalt in erwähnenswerter Weise.
Über 100 000 Lehrern im Land stehen nicht einmal 30 000 Polizisten bei weit niedrigerem Gehalt gegenüber. Das Verhältnis LehrerSchülerzahl ist bundesweit nahezu führend. Die Polizeidichte in BadenWürttemberg nimmt dagegen den letzten Rang ein. Ich bin es leid, dass die Polizei ständig in erster Linie nur als Kostenfaktor dargestellt wird.
Winfried Häusle, Tettnang
Polizei in schlimmem Zustand
Zum Bericht „Experten halten Polizei für unterbesetzt“und zum Kommentar „Das wird teuer“(29.3.): Dass die Polizeireform nicht den gewünschten Effekt erzielen würde, war Insidern schon bei der Einführung klar. Anstatt aus Fehlern anderer Bundesländer zu lernen, wollte man einen Alleingang inszenieren.
Wenn die Kommentatorin schreibt, dass es nicht überrascht, wenn Polizeiexperten mehr Personal fordern, und dass sich solche Forderungen in Zeiten guter Steuereinnahmen und angespannter Sicherheitslage bestens verkaufen lassen, ist das mehr als naiv gedacht. Wüsste der Bürger um den Zustand seiner Polizei, wären schlaflose Nächte die geringsten Beschwerden. Effiziente Polizeiarbeit einzufordern, ist durchaus berechtigt. Die Polizei ist aber an einem Punkt angelangt, wo sie wegen Personalmangel nicht mehr in der Lage ist, ihre Kernaufgaben akzeptabel wahrzunehmen. Von Kriminalitätsbekämpfung kann gar nicht mehr geredet werden, Kriminalität wird nur noch verwaltet.
Die Justizbehörden sind in vergleichbarem Zustand. Wenn, wie berichtet, die Zahl der verurteilten Straftäter sinkt, mag dies stimmen. Der Rückgang resultiert aber nur daraus, dass immer mehr Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Staatsanwälte und Richter sind personell nicht mehr in der Lage, die Flut an Verfahren abzuarbeiten.
Rudolf Dieing, Isny
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