Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Highland-Helden im Höhenrausch
Bei einer Schiff-Rad-Reise durch Schottland trifft eine Multikulti-Gesellschaft auf 100 Prozent Schottland
ine Reise entlang der Westküste Schottlands ist eine Reise mitten hinein in Klischees: violettes Schimmern der Heide zur Linken; baumlose, von Granitfelsen durchzogene grüne Hügel zur Rechten. Moos kriecht an alten Schlossmauern hoch. Schlanke Schafe weiden auf fetten Marschwiesen. Zottelige Hochlandrinder stehen scheinbar reglos in der rauen Landschaft. Sie lassen sich wenig beeindrucken von dem kalten Wind, der dicke Regenwolken vor eine Sonne treibt, die kurz zuvor noch bunte Hafenstädtchen wie Tobermory zum Leuchten gebracht hat. Ans zerklüftete Ufer donnern die wilden Wellen des Atlantiks. Und mindestens ein Mann läuft garantiert im Kilt herum. Sei es der Schlossherr von Duart Castle, der Hochzeitsgast in Oban oder der Dudelsackpfeifer aus Fort William. Great! Hundert Prozent Schottland eben, mit all seinen Klischees.
Wäre da nicht die Besatzung der Flying Dutchman. Allein schon der Name des ehemaligen niederländischen Heringsloggers kommt dem Schottland-Reisenden spanisch vor. Vili sieht mit seinem rotblonden Bart zwar aus wie ein typical Scotsman, ist aber Kroate mit deutschen Wurzeln. Sein Reiseleiterkollege Martin verrät allein schon durch seinen badischen Zungenschlag, woher er stammt. Smutje Jan bekocht seine Gäste international, weil er „in jedem Hafen eine Schwiegermutter hat, die mir ein Rezept mitgibt“, wie er schmunzelnd erklärt. Und hinter dem Steuerrad des über 100 Jahre alten Segelschiffs steht bei Wind und Wetter Anneke, 32 Jahre alt und Kapitänin. Seit fünf Jahren schippert die Niederländerin ihre Gäste durch die wilde Welt der Inneren Hebriden hinauf bis an den Kaledonischen Kanal. „Mein Lieblingsrevier“, wie sie verrät. In den Sommermonaten hat Anneke außer den etwa 15 Passagieren nochmal so viele Räder an Bord. Denn dann hisst die junge Kapitänin die Segel im Auftrag des Konstanzer Reiseveranstalters „Inselhüpfen“.
Immer schön links fahren!
Segeln rund um eine Insel mag ja einleuchten. Aber Schottland und Radfahren? Dafür ist das Reich der Dudelsäcke und karierten Röcke weniger bekannt. Entsprechend rar sind Radwege. Doch weil in dem dünn besiedelten Land nur 68 Menschen pro Quadratkilometer leben (zum Vergleich: in Deutschland sind es 225), gibt es dort auch entsprechend wenig Autos. So wird die größte Herausforderung für die Radler, die jeden Morgen die Flying Dutchman verlassen, um rund 50 Kilometer über Land zu strampeln, nicht die Verkehrsdichte, sondern die Straßenseite, auf der üblicherweise gefahren wird: links! So lange es geradeaus geht, kein Problem. Doch wehe, es gilt, an einer Kreuzung abzubiegen oder gar in einen Kreisverkehr ein- und wieder auszufahren!
Nur gut, dass Vili stets Ruhe (und gute Laune) bewahrt, signalfarbene Shirts trägt und seine Radlergruppe souverän über Kuppen und Küstenstraßen, vorbei an Lochs und Landsitzen, durch Villages und Villenviertel lotst. Fast so, als wäre der Kroate in den Highlands zu Hause. „Best friend“ist er mittlerweile auch mit den rund 50 Millionen schottischen Schafen. Im Gegensatz zu den meist sehr rücksichtsvollen Autofahrern meckern die Vierbeiner die Radler nämlich nicht nur an, sie kommen ihnen auf den schmalen Straßen auch gerne in die Quere. Vilis heftiges Geklingel kann sie kaum davon abhalten, mehrere hundert Meter weit vor dem Fahrrad herzurennen. Erst wenn der Kroate ihnen ein wohl international bekanntes „Määähh“zuruft, kehren sie – mit ein wenig Glück – in ihr angestammtes Grün am Straßenrand zurück.
Bergetappen in den Highlands
Apropos grün. Den Titel „Grüne Insel“trägt zwar Irland, doch auch die schottischen Landschaften kennen mindestens Fifty Shades of Green. Wer mit dem Fahrrad in den einsamen Gegenden unterwegs ist, erlebt sie besonders intensiv. Allein schon auf der Insel Mull, wo die Rad- und Segeltour startet, zeigt sich die Landschaft in allen erdenklichen GrünSchattierungen. Saftiges, helles Gras wächst auf den küstennahen Salzwiesen, dunkel überziehen Moos und Flechten die Felsen am Atlantikstrand, türkis schimmert das Wasser der Lochs, grünbraun präsentieren sich die Hänge der höher gelegenen Hügel. Dieses faszinierende Farbenspiel, das nicht selten durch Regenbögen und sanftes, güldenes Sonnenlicht noch getoppt wird, begleitet die Radfahrer auf ihren Touren.
Vier Jahreszeiten am Tag
Gülden schimmert auch mancher Whiskey im Glas, der in den kleinen Destillerien am Wegesrand feilgeboten, am besten aber links (!) liegen gelassen wird. Denn – man mag es kaum glauben – Schottland fordert seine Radfahrer! Spätestens, wenn es nach drei Tagen hinaufgeht in die Highlands, über denen der Ben Nevis mit seinen 1345 Metern thront. Vili beruhigt: „Nicht sehr steil. Und nur zehn Kilometer bis zum ersten Gipfel“. Dem allerdings folgt sogleich ein zweiter, dritter und vierter. Und dann vielleicht noch eine „kurze Rampe“, wie Vili den fast senkrechten Anstieg zum Schluss verharmlosend beschreibt.
Das Grinsen im Gesicht der E-Biker wird immer breiter, das im Gesicht der Normalradler dagegen schwindet und erscheint erst wieder, als es auf welligen Strecken mit traumhaften Ausblicken hinunter Richtung Meer geht. Trotz rasantem Tempo bergab und anstrengenden Steigungen registriert der Radfahrer: In den Highlands ist es noch ein bisschen grüner als auf den vorgelagerten Inseln, zu Wiesen- und Küstenlandschaften gesellen sich jetzt auch dunkle, geheimnisvolle Wälder und weite, einsame Hochebenen. Doch hier pfeift auch oft ein kalter Wind und vergällt den Radlern die Gipfelpause.
Dabei haben sie sich doch zuvor geschworen, nicht über das Wetter zu wettern, stets Regenklamotten parat zu haben und aufs Schlimmste vorbereitet zu sein. Denn schließlich ist bekannt: Schottland kennt an einem Tag alle vier Jahreszeiten. Okay: Schnee fällt im Sommer selten. Doch ansonsten kann von Langeweile tatsächlich nicht die Rede sein. Weder beim Wetter, noch bei den Radtouren. Und schon gar nicht an Bord der Flying Dutchman, wo sich Radfahrer aus aller Welt treffen, nach Touren durch Wind und Wetter oder „mitten durchs Aquarium“, wie es ein Mitreisender nach einem Regentag treffend ausdrückt, im gemütlichen Salon zusammen Lieder anstimmen, Dudelsackpfeifern lauschen oder einfach eine Runde Uno spielen. Die einwöchige Segel- und Radreise durch Schottland kostet ab 1290 Euro (ohne Flug) und wird angeboten von Der Veranstalter hat diese Recherche unterstützt. Weitere Informationen unter und im Internet unter Von 94 Prozent der Urlauber empfohlen: 1 Ü im DZ ab 49 Euro p. P. bei eigener Anreise. Gäste schreiben: „Das Zimmer war ausreichend groß und sauber. Das Frühstück war ebenfalls gut, eine ausreichende Auswahl. Die Mitarbeiter waren alle freundlich.“ HolidayCheck AG, Bahnweg 8, CH-8598 Bottighofen, Tel. 0800 2404455, www.holidaycheck.de