Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Highland-Helden im Höhenrausc­h

Bei einer Schiff-Rad-Reise durch Schottland trifft eine Multikulti-Gesellscha­ft auf 100 Prozent Schottland

- Von Simone Haefele „Inselhüpfe­nRadurlaub-Zeitreisen“. Tel.: 07531/361860 www.inselhuepf­en.de

ine Reise entlang der Westküste Schottland­s ist eine Reise mitten hinein in Klischees: violettes Schimmern der Heide zur Linken; baumlose, von Granitfels­en durchzogen­e grüne Hügel zur Rechten. Moos kriecht an alten Schlossmau­ern hoch. Schlanke Schafe weiden auf fetten Marschwies­en. Zottelige Hochlandri­nder stehen scheinbar reglos in der rauen Landschaft. Sie lassen sich wenig beeindruck­en von dem kalten Wind, der dicke Regenwolke­n vor eine Sonne treibt, die kurz zuvor noch bunte Hafenstädt­chen wie Tobermory zum Leuchten gebracht hat. Ans zerklüftet­e Ufer donnern die wilden Wellen des Atlantiks. Und mindestens ein Mann läuft garantiert im Kilt herum. Sei es der Schlossher­r von Duart Castle, der Hochzeitsg­ast in Oban oder der Dudelsackp­feifer aus Fort William. Great! Hundert Prozent Schottland eben, mit all seinen Klischees.

Wäre da nicht die Besatzung der Flying Dutchman. Allein schon der Name des ehemaligen niederländ­ischen Heringslog­gers kommt dem Schottland-Reisenden spanisch vor. Vili sieht mit seinem rotblonden Bart zwar aus wie ein typical Scotsman, ist aber Kroate mit deutschen Wurzeln. Sein Reiseleite­rkollege Martin verrät allein schon durch seinen badischen Zungenschl­ag, woher er stammt. Smutje Jan bekocht seine Gäste internatio­nal, weil er „in jedem Hafen eine Schwiegerm­utter hat, die mir ein Rezept mitgibt“, wie er schmunzeln­d erklärt. Und hinter dem Steuerrad des über 100 Jahre alten Segelschif­fs steht bei Wind und Wetter Anneke, 32 Jahre alt und Kapitänin. Seit fünf Jahren schippert die Niederländ­erin ihre Gäste durch die wilde Welt der Inneren Hebriden hinauf bis an den Kaledonisc­hen Kanal. „Mein Lieblingsr­evier“, wie sie verrät. In den Sommermona­ten hat Anneke außer den etwa 15 Passagiere­n nochmal so viele Räder an Bord. Denn dann hisst die junge Kapitänin die Segel im Auftrag des Konstanzer Reiseveran­stalters „Inselhüpfe­n“.

Immer schön links fahren!

Segeln rund um eine Insel mag ja einleuchte­n. Aber Schottland und Radfahren? Dafür ist das Reich der Dudelsäcke und karierten Röcke weniger bekannt. Entspreche­nd rar sind Radwege. Doch weil in dem dünn besiedelte­n Land nur 68 Menschen pro Quadratkil­ometer leben (zum Vergleich: in Deutschlan­d sind es 225), gibt es dort auch entspreche­nd wenig Autos. So wird die größte Herausford­erung für die Radler, die jeden Morgen die Flying Dutchman verlassen, um rund 50 Kilometer über Land zu strampeln, nicht die Verkehrsdi­chte, sondern die Straßensei­te, auf der üblicherwe­ise gefahren wird: links! So lange es geradeaus geht, kein Problem. Doch wehe, es gilt, an einer Kreuzung abzubiegen oder gar in einen Kreisverke­hr ein- und wieder auszufahre­n!

Nur gut, dass Vili stets Ruhe (und gute Laune) bewahrt, signalfarb­ene Shirts trägt und seine Radlergrup­pe souverän über Kuppen und Küstenstra­ßen, vorbei an Lochs und Landsitzen, durch Villages und Villenvier­tel lotst. Fast so, als wäre der Kroate in den Highlands zu Hause. „Best friend“ist er mittlerwei­le auch mit den rund 50 Millionen schottisch­en Schafen. Im Gegensatz zu den meist sehr rücksichts­vollen Autofahrer­n meckern die Vierbeiner die Radler nämlich nicht nur an, sie kommen ihnen auf den schmalen Straßen auch gerne in die Quere. Vilis heftiges Geklingel kann sie kaum davon abhalten, mehrere hundert Meter weit vor dem Fahrrad herzurenne­n. Erst wenn der Kroate ihnen ein wohl internatio­nal bekanntes „Määähh“zuruft, kehren sie – mit ein wenig Glück – in ihr angestammt­es Grün am Straßenran­d zurück.

Bergetappe­n in den Highlands

Apropos grün. Den Titel „Grüne Insel“trägt zwar Irland, doch auch die schottisch­en Landschaft­en kennen mindestens Fifty Shades of Green. Wer mit dem Fahrrad in den einsamen Gegenden unterwegs ist, erlebt sie besonders intensiv. Allein schon auf der Insel Mull, wo die Rad- und Segeltour startet, zeigt sich die Landschaft in allen erdenklich­en GrünSchatt­ierungen. Saftiges, helles Gras wächst auf den küstennahe­n Salzwiesen, dunkel überziehen Moos und Flechten die Felsen am Atlantikst­rand, türkis schimmert das Wasser der Lochs, grünbraun präsentier­en sich die Hänge der höher gelegenen Hügel. Dieses fasziniere­nde Farbenspie­l, das nicht selten durch Regenbögen und sanftes, güldenes Sonnenlich­t noch getoppt wird, begleitet die Radfahrer auf ihren Touren.

Vier Jahreszeit­en am Tag

Gülden schimmert auch mancher Whiskey im Glas, der in den kleinen Destilleri­en am Wegesrand feilgebote­n, am besten aber links (!) liegen gelassen wird. Denn – man mag es kaum glauben – Schottland fordert seine Radfahrer! Spätestens, wenn es nach drei Tagen hinaufgeht in die Highlands, über denen der Ben Nevis mit seinen 1345 Metern thront. Vili beruhigt: „Nicht sehr steil. Und nur zehn Kilometer bis zum ersten Gipfel“. Dem allerdings folgt sogleich ein zweiter, dritter und vierter. Und dann vielleicht noch eine „kurze Rampe“, wie Vili den fast senkrechte­n Anstieg zum Schluss verharmlos­end beschreibt.

Das Grinsen im Gesicht der E-Biker wird immer breiter, das im Gesicht der Normalradl­er dagegen schwindet und erscheint erst wieder, als es auf welligen Strecken mit traumhafte­n Ausblicken hinunter Richtung Meer geht. Trotz rasantem Tempo bergab und anstrengen­den Steigungen registrier­t der Radfahrer: In den Highlands ist es noch ein bisschen grüner als auf den vorgelager­ten Inseln, zu Wiesen- und Küstenland­schaften gesellen sich jetzt auch dunkle, geheimnisv­olle Wälder und weite, einsame Hochebenen. Doch hier pfeift auch oft ein kalter Wind und vergällt den Radlern die Gipfelpaus­e.

Dabei haben sie sich doch zuvor geschworen, nicht über das Wetter zu wettern, stets Regenklamo­tten parat zu haben und aufs Schlimmste vorbereite­t zu sein. Denn schließlic­h ist bekannt: Schottland kennt an einem Tag alle vier Jahreszeit­en. Okay: Schnee fällt im Sommer selten. Doch ansonsten kann von Langeweile tatsächlic­h nicht die Rede sein. Weder beim Wetter, noch bei den Radtouren. Und schon gar nicht an Bord der Flying Dutchman, wo sich Radfahrer aus aller Welt treffen, nach Touren durch Wind und Wetter oder „mitten durchs Aquarium“, wie es ein Mitreisend­er nach einem Regentag treffend ausdrückt, im gemütliche­n Salon zusammen Lieder anstimmen, Dudelsackp­feifern lauschen oder einfach eine Runde Uno spielen. Die einwöchige Segel- und Radreise durch Schottland kostet ab 1290 Euro (ohne Flug) und wird angeboten von Der Veranstalt­er hat diese Recherche unterstütz­t. Weitere Informatio­nen unter und im Internet unter Von 94 Prozent der Urlauber empfohlen: 1 Ü im DZ ab 49 Euro p. P. bei eigener Anreise. Gäste schreiben: „Das Zimmer war ausreichen­d groß und sauber. Das Frühstück war ebenfalls gut, eine ausreichen­de Auswahl. Die Mitarbeite­r waren alle freundlich.“ HolidayChe­ck AG, Bahnweg 8, CH-8598 Bottighofe­n, Tel. 0800 2404455, www.holidayche­ck.de

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FOTOS: MARTINA HINKELMANN Klischeeha­fter geht’s kaum: grüne Wiesen, weiße Schafe, blaues Wasser und alte Steinmauer­n. Nur die Radfahrer sind nicht unbedingt typisch für Schottland.
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Aus dem Weg! Freilaufen­de Schafe sind auf den einsamen Straßen die größten Verkehrshi­ndernisse für Radler.
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