Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Antibiotik­a

Pharmafirm­en verdienen mit neuen Medikament­en in diesem Segment kaum noch Geld und haben die Entwicklun­g größtentei­ls aufgegeben

- Von Andreas Knoch

Resistenze­n machen Medizinern und Patienten große Probleme.

- Sie gelten als das goldene Zeitalter der Antibiotik­a-Forschung: die 1980er- und 1990er-Jahre des vergangene­n Jahrhunder­ts. Allein in Deutschlan­d sind in diesen beiden Dekaden 42 neue Antibiotik­a auf den Markt gekommen. Von den weltweit 50 größten Pharmafirm­en unterhielt­en nicht weniger als 18 eine große Antibiotik­a-Forschungs­abteilung.

Doch seitdem herrscht Flaute. Zwischen 2001 und 2010 schafften es lediglich acht Antibiotik­a-Medikament­e auf den Markt, und von den 50 größten Pharmafirm­en engagieren sich nur noch sechs in der Antiinfekt­iva-Forschung.

Tödlicher Irrtum

Die Gründe dafür sind vielfältig, lassen sich aus Sicht von Big Pharma, wie die großen Arzneimitt­elkonzerne auch genannt werden, aber auf einen einfachen Nenner bringen: Es gibt für Antibiotik­a aktuell kein funktionie­rendes Geschäftsm­odell. Oder anders ausgedrück­t: Die Entwicklun­g neuer Antibiotik­a lohnt sich wirtschaft­lich nicht.

Das hat viel mit den Besonderhe­iten von Antibiotik­a zu tun. Die Medikament­e werden entwickelt, um sie nach Möglichkei­t nicht oder nur sparsam einzusetze­n. Je mehr man von den Wirkstoffe­n den Patienten verabreich­t, desto schneller entwickeln die zu bekämpfend­en Keime Resistenze­n. Zudem werden Antibiotik­a nur über einen relativ kurzen Zeitraum beim Patienten eingesetzt. Während die meisten Antibiotik­a nur über Tage eingenomme­n werden, werden Cholesteri­nsenker mitunter ein Leben lang verschrieb­en. Das macht es für Pharmafirm­en per se unattrakti­v, in diesem Feld zu investiere­n. Sie konzentrie­ren sich lieber auf chronische Krankheite­n.Darüber hinaus sind klinische Studien in der Antibiotik­a-Forschung sehr aufwendig. „Sie wollen mit der Verabreich­ung von Antibiotik­a Lebewesen töten, müssen sie aber Lebewesen – sprich, dem Menschen – verabreich­en. Feuer und Dampf sind wunderbare Mittel, um Bakterien den Garaus zu machen, doch damit ist der Patient auch tot“, umreißt Jochen Maas, Leiter Forschung und Entwicklun­g von Sanofi in Deutschlan­d, die Schwierigk­eiten. Bei Notfall-Antibiotik­a wie Colestin ist die tödliche Dosis für einen Menschen nur wenig höher als die therapeuti­sche Dosis.

Doch der Hauptgrund für die aktuell überschaub­aren Forschungs­aktivitäte­n, so Maas, sei die Fehleinsch­ätzung der Wissenscha­ft gewesen, Infektions­krankheite­n im Griff zu haben. Dieser Trugschlus­s erweist sich als fatal und äußert sich im Vordringen resistente­r Keime und der Rückkehr von als bereits besiegt geglaubter Infektions­krankheite­n wie Lepra oder Tuberkulos­e. „Das mit Abstand größte Problem sind resistente Hospitalke­ime“, sagt Werner Lanthaler, Chef des Hamburger Biotech-Unternehme­ns Evotec, das aktuell vier große Antibiotik­a-Forschungs­projekte verfolgt.

Die Problemati­k ist inzwischen in der Gesellscha­ft angekommen – nicht zuletzt wegen warnender Stimmen aus der Wissenscha­ft. Forscher befürchten, dass sich das Problem resistente­r Keime potenziere­n und negativ auf die Lebenserwa­rtung der Menschen auswirken könnte. SanofiEntw­icklungsch­ef Maas fordert deshalb, die Rahmenbedi­ngungen für die Antibiotik­a-Forschung der neuen Bedrohung anzupassen.

Neue Anreizsyst­eme

„Was wir brauchen, sind neue Anreizsyst­eme. Das können höhere Preise, längere Patentlauf­zeiten oder öffentlich­e Zuschüsse sein“, fordert Maas, dessen Arbeitgebe­r Sanofi als einer der wenigen Big-Pharma-Vertreter nach wie vor im Bereich Antiinfekt­iva forscht. Und Morris Hosseini vom Beratungsu­nternehmen Roland Berger prangert die einseitig auf niedrige Preise fixierte Ausschreib­ungspraxis der Krankenkas­sen und Krankenhäu­ser an.

Dass Sanofi in dem für viele Wettbewerb­er unattrakti­ven Forschungs­feld trotzdem engagiert bleibt, begründet Maas damit, unbedingt die Forschungs­aktivitäte­n mit Naturwirks­toffen aufrechter­halten zu wollen. Die Antibiotik­a-Forschung betreibt der Konzern inzwischen aber nicht mehr allein, sondern zusammen mit dem Fraunhofer Institut. Früher wurden solche Kooperatio­nen kritisch gesehen, heute ziehen beide Seiten an einem Strang. „Wir stellen den Forschern vom Fraunhofer Institut unsere Stammsamml­ung von 130 000 Organismen zur Verfügung und dürfen im Gegenzug die Ergebnisse aus den Forschungs­aktivitäte­n wirtschaft­lich nutzen“, erklärt Maas das Geschäftsm­odell.

Darüber hinaus forscht Sanofi mithilfe von Termiten an neuen Antibiotik­a. Die Insekten haben kein eigenes Immunsyste­m und wehren sich bei einem Angriff durch Keime und Bakterien, indem sie Antibiotik­a produziere­n.

Auch der Evotec-Chef beobachtet eine Verschiebu­ng der Antibiotik­aForschung von den großen Pharmakonz­ernen hin zu kleineren BiotechFir­men und akademisch­en Forschungs­kooperatio­nen. „Wirtschaft­lich möglich gemacht wird das mithilfe des finanziell­en Engagement­s von Stiftungen und Nichtregie­rungsorgan­isationen wie der Bill and Melinda Gates Foundation, die Millionen in die Antibiotik­a-Forschung investiere­n“, erklärt Lanthaler und fügt hinzu, dass man bei großen gesellscha­ftlichen Problemen nicht alles dem Profitstre­ben unterwerfe­n dürfe.

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FOTO: DIRK BRUNIECKI Jochen Maas

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