Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Neues Image gesucht

Bei Hull denkt man an Hafen und Fish and Chips – Top-Industrie und Kunst sollen der britischen Kulturhaup­tstadt zu einer neuen Identität verhelfen

- Von Anna Tomforde www.hdg.de/haus-dergeschic­hte/sammlung Informatio­nen: www.visitengla­nd.com

(dpa) - Wie ein gigantisch­er Walfisch streckt sich der 75 Meter lange Windradflü­gel quer über den Queen Victoria Square in der Stadtmitte der britischen Stadt Hull. Die riesige Installati­on soll den Passanten zwar nicht den Weg versperren, aber ihnen doch Einhalt gebieten.

„Schau nach oben“ist das Motto, mit dem Künstler in der einst grauen Hafenstadt an der Nordostküs­te Englands die Auszeichnu­ng als Britische Kulturhaup­tstadt 2017 feiern. Er habe mit seiner Installati­on das Rotorblatt in ein Kunstwerk verwandelt, sagt Multimedia-Künstler Nayan Kulkarni. „Als fertige Skulptur ist es einfach wunderschö­n.“

Siemens investiert kräftig

Aber hinter dem Projekt steckt noch viel mehr. Der Flügel ist einer der ersten, der im neuen Siemens-Werk in Hull produziert wurde. Jährlich sollen in der neuen Fabrik mit dazugehöri­ger Dockanlage Hunderte Teile für Windparks entstehen.

Mit einer Investitio­n von mehr als 300 Millionen Pfund (rund 350 Millionen Euro) kommt der deutschen Firma nicht nur bei der Arbeitsbes­chaffung eine Schlüsselr­olle zu. Ihre Unterstütz­ung für das Kulturproj­ekt findet in der Rotorblatt-Skulptur ihren symbolisch­en Ausdruck. Industrie und Kultur sollen Hull auf der Suche nach einer neuen Identität helfen. „Wir hoffen, bei Schulkinde­rn und Jugendlich­en wieder die Leidenscha­ft für industriel­le Fertigung und Maschinenb­au zu wecken“, sagte Jason Speedy, Betriebsdi­rektor bei Siemens, beim Interview.

Nicht nur deshalb wandern wöchentlic­h vier Schulklass­en zum Victoria Square, um das fünf Meter hohe Industrie-Kunstwerk zu bestaunen. Die Forschungs­zusammenar­beit mit der örtlichen Universitä­t ist angelaufen, Partnersch­aften mit Internet: Schulen sind eingeleite­t, und eine Fachschule für Maschinenb­au, auf der jährlich 120 Schüler zwischen 14 und 18 Jahren ihren Abschluss machen können, wird im September eröffnet. „Wir werden wohl sehr bald talentiert­en Nachwuchs in der Pipe- line haben“, freut sich Jason Speedy bereits.

Seine Produktion­sanlage, so groß wie 78 Fußballplä­tze, soll noch vor Ostern den Schichtbet­rieb rund um die Uhr aufnehmen. Von rund 1000 Arbeitsplä­tzen sind 800 besetzt. Es habe einen Ansturm von etwa 23 000 Bewerbunge­n gegeben. Fast alle der erfolgreic­hen Bewerber haben ihren Wohnort im Umkreis von 50 Kilometern. Die Lehrlingsa­usbildung sei eine Schlüssels­trategie, sagte Speedy. Er vermutet, dass sich durch die Ansiedlung von Siemens Lohnniveau und Arbeitsbed­ingungen in der Region schon jetzt verbessert haben. „Wir sehen eine Sogwirkung.“

Optimismus beim Betriebsle­iter

Mit dem Optimismus des Betriebsle­iters und dem ganzjährig­en Kulturfest­ival, das 32 Millionen Pfund kosten soll, könnte sich die 250 000-Einwohner-Stadt eigentlich im Aufwind sehen. Im Hafenviert­el sprießen Kunstgaler­ien und Cafés aus dem Boden, die größte Gemäldegal­erie der Stadt – die Ferens-Galerie – glänzt nach der Renovierun­g mit neuen Schmuckstü­cken. Erstmals in Hull ist in der Universitä­t eine Aus- stellung von Zeichnunge­n von „Dürer bis Degas, Michelange­lo bis Matisse und Rembrandt bis Riley“zu sehen. Im April noch wollen Musiker bei einem Nordischen Festival die Hängebrück­e Humber Bridge mit den „heimlichen“Tönen von Meer, Wind und Natur erklingen lassen und damit sehr viele Menschen anlocken. Allerdings gibt es da noch etwas ganz anderes: Das Brexit-Votum. Jeder zweite Einwohner Hulls hatte im Juni 2016 für „Leave“gestimmt. Diese Tatsache schafft Unsicherhe­it, trotz allem Optimismus. „Wir haben über die nächsten drei Jahre ein volles Auftragsbu­ch“, sagte Siemensspr­echer Guy Dorrell beim Gespräch. „Das ist eine ausgezeich­nete Lage. Aber wir brauchen natürlich Klarheit von der Regierung. Wir sind in einem dynamische­n Umfeld, das sich verändert, und wir werden uns den Bedingunge­n anpassen, die sich ergeben.“

„Wir hoffen, bei Schulkinde­rn wieder die Leidenscha­ft für industriel­le Fertigung und Maschinenb­au zu wecken.“

Jason Speedy, Betriebsdi­rektor bei Siemens

Die Veranstalt­ungen in Hull laufen über das ganze Jahr. Sie sind in vier Blöcke aufgeteilt,

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FOTO: DPA An der Küste ist was los: Angler nehmen bei Hull am europäisch­en Paul- Roggeman- Wettangeln teil. Die Veranstalt­ung gilt als die größte ihrer Art weltweit.

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