Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Das Ende der Vielfalt
Wie es christlichen Minderheiten in muslimischen Ländern ergeht, hat in Europa lange nur kleine kirchliche Gruppen interessiert. Die Nachrichten über wegen Blasphemie verurteilte Christen oder über Anschläge auf Kirchen in Bagdad und Alexandria wurden bestenfalls zur Kenntnis genommen. Das Schicksal tibetischer Mönche oder australischer Ureinwohner bewegte viele Europäer stärker als die bedrängte Lage von Menschen, die der gleichen Religion angehören und an den gleichen Gott glauben wie die meisten Deutschen oder Italiener.
Das Thema Christen im Nahen Osten galt nicht als chic, weil ägyptische oder syrische Christen eben zuallererst Ägypter und Syrer sind, und oft sehr konservative Wertvorstellungen haben. Zudem standen sie unter dem – falschen – Generalverdacht, mit Diktatoren wie Saddam Hussein, Hosni Mubarak oder Baschar al-Assad gekungelt zu haben.
Der Doppelanschlag in Ägypten am Palmsonntag führt die Verwundbarkeit solcher Minderheiten vor Augen. Und er beschreibt die Gleichgültigkeit staatlicher Stellen, Christen wirksam vor Ausschreitungen oder Terroranschlägen des „Islamischen Staates“zu schützen. Priester im Irak berichten, dass sie den jungen Menschen in ihren Gemeinden keine Perspektive von Frieden und Sicherheit vermitteln können, für die es sich zu bleiben lohne. Dabei fühlen sich irakische Christen als Iraker, und Christen in Bethlehem als Palästinenser. Doch die Fassungslosigkeit christlicher Flüchtlinge aus Syrien oder der Westbank, deren Asylanträge hier abgelehnt werden, ist eben auch so groß, weil sie um die gemeinsame Geschichte zwischen dem Abendland und ihren christlichen Gemeinschaften wissen.
Der Schutz christlicher Minderheiten im Nahen Osten ist ein Beitrag zum Erhalt der kulturellen und religiösen Vielfalt. Es geht um die historische Identität des Christentums an ihrem Ursprung. Werden die Christen weiter bedrängt, haben die Feinde der Vielfalt, die Gegner des Dialogs gewonnen. Einer der größten Verlierer wäre dann Europa.