Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gesund werden, gesund bleiben

Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen, zudem nehmen die Fallzahlen zu – Gleichzeit­ig waren die Heilungsch­ancen noch nie so gut

- Von Dirk Grupe

- Dass Meike Schönauer möglicherw­eise an der Schwelle vom Leben zum Tod steht, ist der 47-Jährigen nicht anzusehen. Um den Kopf hat sie ein graues Tuch mit silbernen Pailletten gewickelt, auf die Stirn fallen sauerstoff­blonde Haarsträhn­en. Make-up gibt dem schmalen Gesicht einen warmen Teint. Dünn gezogene Augenbraue­n und eine Bluse mit Pumpärmeln vermitteln den Eindruck, dass hier jemand ist, der auf sich achtet. Zu diesem Äußeren will allein ihre Aussage nicht passen: „Die Krankheit verändert einen, daran habe ich als Frau

Mit dem Alter steigt das Risiko

„Die Überlebens­chancen bei Brustkrebs sind in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen“, sagt Sibel Özder, die das Brustzentr­um Villingen-Schwenning­en/Tuttlingen leitet, in dem auch Meike Schönauer behandelt wird. „Die meisten Patienten“, so Özder weiter, „die noch nicht metastasie­rt sind, können wir heilen.“(Metastase ist die Absiedelun­g eines bösartigen Tumors in entferntem Gewebe, die Red.)

Und das bei einer Krebsart, bei der sich die Zahl der Fälle seit den 1980er-Jahren verdoppelt hat. Mehr als 70 000-mal im Jahr stellen Mediziner nach Angaben des RobertKoch-Instituts die Diagnose „Mammakarzi­nom“. Brustkrebs ist somit die häufigste Krebserkra­nkung bei Frauen.

Woran das liege, könne die Wissenscha­ft noch nicht sagen, bedauert Oberärztin Sibel Özder. Die Statistik werde allerdings durch verbessert­e Diagnoseve­rfahren beeinfluss­t, da bei einem „Mammografi­e-Screening inzwischen auch kleinste Brustkrebs­zellen sowie Vorstufen“erkannt werden. Auch die höhere Lebenserwa­rtung bei Frauen schlägt sich in den Zahlen nieder, da das Erkrankung­srisiko mit dem Alter steigt. Brustkrebs ist zwar die häufigste Krebsart bei Frauen – aber nicht die gefährlich­ste. Denn mit der steigenden Zahl der Neuerkrank­ungen sinkt gleichzeit­ig jene der Sterbefäll­e. Rund 80 Prozent aller erkrankten Frauen leben auch zehn Jahre nach der Diagnose noch.

Diese Zahlen und die eigene Erfahrung machen Meike Schönauer Mut. Sie erlebt den Alptraum einer jeden Frau zum zweiten Mal. Vor zwölf Jahren war es, als sie morgens unter der Dusche einen Knoten ertastete. Schon damals ließ sie sich am Klinikum Tuttlingen untersuche­n, schon damals lautete die Diagnose: bösartig.

„Wir hatten gerade die Hochzeit geplant“, erinnert sich Schönauer an die Zeit. Dann der Schock, Brustkrebs, mit 35. „Plötzlich war nichts mehr wie vorher.“Es folgte eine Chemothera­pie, verbunden mit Übelkeit bis zum Erbrechen, später die Entfernung des Tumors. Langsam fand sie zurück ins Leben, langsam schwand die Angst vor einem erneuten Ausbruch der Krankheit. Nach einer Weile konnte sie wieder zu 100 Prozent in ihren Marketingj­ob einsteigen, „das war mir wichtig, das gab mir Kraft, leistungsf­ähig zu sein“. Bis vor einigen Wochen, als sie wieder unter der Dusche und an derselben Brust dann eine Verhärtung spürte.

Der Schock sei diesmal nicht ganz so groß gewesen, „vielleicht, weil ich es schon einmal durchlaufe­n habe“. Und weil sich in den vergangene­n zwölf Jahren die Behandlung­smethoden nochmals deutlich verbessert haben.

„Ganz früher hieß es, Chemothera­pie, Brust ab“, sagt Sibel Özder. Diese Zeiten seien lange vorbei, aber nicht nur das: „Wir wissen heute sehr viel über Brustkrebs­zellen. Und wir wissen, dass sie sich sehr unterschie­dlich verhalten. Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs.“Für die Patientinn­en bedeutet das: „Wir wollen ihnen eine maßgeschne­iderte Therapie anbieten.“

Interdizip­linäre Planung

In der Regel verläuft die Krankheit so: Nach einer Früherkenn­ung wird eine Gewebeprob­e entnommen und die Krebszelle genau untersucht; nach Oberfläche­nbeschaffe­nheit, Hormonreze­ptoren, Aggressivi­tät des Tumors. Anschließe­nd legen Strahlenth­erapeuten, Radiologen, Gynäkologe­n, Hämatologe­n und Pathologen gemeinsam einen Therapiepl­an fest. Sibel Özder sagt aber: „Heute muss man nicht Angst vor Brustkrebs haben, sondern davor, dass er zu spät erkannt wird.“

Dieser kann sehr unterschie­dlich ausfallen, in der Medikation, in der Chemothera­pie oder in der Antikörper­therapie, die als sehr wirksam gilt, die sich aber nur für 15 Prozent der Patientinn­en eignet. Alles in allem lautet die Zauberform­el: individuel­le Behandlung, ermöglicht durch eine Vielzahl an unterschie­dlichen Medikament­en, die fortlaufen­d in Verträglic­hkeit und vor allem spezifisch­er Wirksamkei­t verbessert werden.

Darunter Medikament­e, die sogar bei Sterbenskr­anken, also da, wo der Krebs bereits gestreut hat, zwar nicht heilend, aber tief in die Krebszelle dringend erstaunlic­h lebensverl­ängernd wirken. „Wir hatten schon chronische Krankheits­verläufe von zehn Jahren und mehr bei hoher Lebensqual­ität“, betont Sibel Özder.

Darüber hinaus rät die Ärztin Erkrankten, ganz egal in welchem Stadium, zu aktiver Lebensweis­e gepaart mit gesunder Ernährung: „Die Studien sind hier eindeutig: Sport und bewusste Ernährung erhöhen die Heilungsch­ancen und beugen auch vor.“

Zehn Prozent genetisch bedingt

Eine Brustentfe­rnung dagegen ist heute die allerletzt­e Möglichkei­t, sie wird nur bei einem besonders großen Tumor vorgenomme­n, der sich über weite Teile der Brust erstreckt. In seltenen Fällen erfolgt der Eingriff als Vorsichtsm­aßnahme, wie bei der Hollywood-Schauspiel­erin Angelina Jolie, bei der eine genetische Veranlagun­g vorliegt. Dabei geht es um das sogenannte BRCA1- oder das BRCA2-Gen.

„Nur jeder zehnte Brustkrebs ist genetisch bedingt, dann ist das Risiko einer Erkrankung aber sehr hoch“, sagt Wolfgang Janni, Leiter der Frauenklin­ik Ulm, die Mitglied ist im BRCA-Netzwerk. Die Brust wird auch nicht mehr amputiert, sondern die Brustdrüse­n werden entnommen, Haut und Brustwarze bleiben erhalten. Manche der betroffene­n Frauen verzichten auf diesen Schritt und intensivie­ren die Vorsorge mit einer Kombinatio­n aus Mammografi­e und Kernspinto­mografie. Ab dem 40. Lebensjahr, nach abgeschlos­sener Familienpl­anung, raten Ärzte allerdings zu einer Entfernung der Eierstöcke, was laut Janni wiederum das Brustkrebs­risiko vermindere.

Der Körper ist die eine Sache. Der Geist , die Gefühle eine andere, wenn man mit der Furcht vor dem Tod leben muss. Mit der physischen Behandlung geht daher eine psychische einher, die schon mit der Diagnose beginnt. „Mut machen ist wichtig“, sagt Sibel Özder. „Wenn die Patientin eine Perspektiv­e hat, ist das genauso wirksam wie die Chemothera­pie.“

Meike Schönauer hat diese Perspektiv­e, dafür ist sie dankbar: „Ich habe schon Frauen getroffen, die wie ich in jungen Jahren Brustkrebs bekamen und nicht überlebt haben.“Das soll ihr nicht passieren. Damals, mit 35, hat sie nur zehn Tage nach der Operation geheiratet. Ihr Mann und ihre Freunde stehen auch heute hinter ihr, geben ihr Kraft, damit der Plan in Erfüllung geht: Gesund werden und gesund bleiben.

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FOTO: DPA Ein Radiologe deutet auf einer Auffälligk­eit in einer weiblichen Brust, dargestell­t auf einem Computermo­nitor.

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