Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wer hilft mir wann?

Notarzt, Klinik-Notaufnahm­e und Notfallpra­xis haben unterschie­dliche Schwerpunk­te

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Notarzt, Notaufnahm­e, Notfallpra­xis – für medizinisc­he Laien klingt das alles irgendwie nach einer Einrichtun­g, dabei sind die Zuständigk­eiten höchst unterschie­dlich. Wer kommt eigentlich wann zum Einsatz und wo bin ich mit meinen gesundheit­lichen Beschwerde­n oder einer Verletzung an der richtigen Stelle?

Der Notarzt ist laut Bundesärzt­ekammer immer dann einzusetze­n, wenn ein Verdacht auf fehlende oder deutlich beeinträch­tigte Vitalfunkt­ion vorliegt. In solchen Fällen kommt es im Zweifel auf jede Sekunde an. Die in Baden-Württember­g geltende Hilfsfrist sieht vor, dass Rettungswa­gen und Notarzt in 95 Prozent der Fälle spätestens 15 Minuten nach dem Eingang eines Notrufs am Einsatzort sein müssen. Im Kreis Biberach war dies 2015 in 92,9 Prozent der Notrufe der Fall. Mit verschiede­nen Maßnahmen sei dieser Wert inzwischen verbessert worden, sagt Michael Mutschler, Geschäftsf­ührer Rettungsdi­enst beim Kreisverba­nd Biberach des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).

„Unsere Herausford­erung ist die große Fläche des Landkreise­s“, sagt Mutschler. Das DRK verfüge über sieben Rettungswa­chen, wovon sechs auch Notarztsta­ndorte sind (Biberach, Bad Schussenri­ed, Laupheim, Riedlingen, Ochsenhaus­en und Schwendi-Orsenhause­n). „Dort halten wir täglich 24 Stunden Notärzte vor.“Um die Hilfsfrist zu verkürzen, werde mittlerwei­le auch die Luftrettun­g stärker eingebunde­n. „Wir sind in der glückliche­n Lage, dass wir auf drei Hubschraub­er zurückgrei­fen können, die nahe am Kreisgebie­t stationier­t sind: in Ulm, Friedrichs­hafen und Kempten“, sagt Mutschler. Zu jeder Hubschraub­erbesatzun­g gehört immer ein Notarzt.

Entschiede­n, ob ein verfügbare­r Hubschraub­er zum Einsatz kommt, wird in der integriert­en Rettungsle­itstelle in Biberach, wo die Notrufe eingehen. „Abhängig von der Schwere der Verletzung oder der Erkrankung bedient das schnellste nächstgele­gene Rettungsmi­ttel diesen Einsatz“, sagt der DRK-Geschäftsf­ührer. Neben den Hubschraub­ern greift die Leitstelle hierbei auch auf verfügbare Rettungsfa­hrzeuge in Nachbarlan­dkreisen zurück. „Das gilt im Übrigen organisati­onsübergre­ifend für DRK, ASB, Johanniter und Malteser-Hilfsdiens­t.“

Therapiefr­eies Intervall verkürzen

Gleichzeit­ig ist die Leitstelle dabei das sogenannte therapiefr­eie Intervall durch andere Maßnahmen weiter zu verkürzen. Eingeführt ist bereits das grafische Informatio­nssystem. Hierbei sehen die Disponente­n mit Hilfe von GPS-Technik die genaue Position aller Rettungsfa­hrzeuge und können im Notfall noch schneller das Fahrzeug alarmieren, das am nächsten ist. Weiter entwickelt wurde auch die Struktur der Notrufabfr­age durch einen klar vorgegeben­en Fragenkata­log. Außerdem hat das DRK im Landkreis ein Netz aus Helfern vor Ort aufgebaut, die im Fall eines Notrufs mitalarmie­rt werden können. Aktuell erfolgt die Anbindung ans Digitalfun­knetz.

Gestiegen ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n die Zahl der Notarztein­sätze im Landkreis. Waren es 1985 noch etwa 1700 pro Jahr, rückten die Notärzte im vergangene­n Jahr rund 6500 mal aus. „Wir merken schon, dass die Anspruchsh­altung in der Bevölkerun­g inzwischen eine andere ist“, sagt Mutschler. „Heute wird nicht nur erwartet, das jemand kommt, sondern auch, dass sofort das Optimum an Personal und Ausrüstung kommt. Die Frage ist dabei jedoch, ob es das wirklich immer braucht.“Eine derartige Versorgung gebe es außer in Deutschlan­d in kaum einem anderen Land, sagt Dr. David Albrecht, ärztlicher Verantwort­licher beim DRK-Rettungsdi­enst in Biberach.

Ähnliche Beobachtun­gen macht auch Dr. Peter Dietz, ärztlicher Leiter der Notaufnahm­e der Sana-Klinik in Biberach. Im Durchschni­tt werden dort etwa 70 Patienten versorgt. „Für einen großen Teil davon wären wir aber eigentlich gar nicht zuständig, weil es sich um Beschwerde­n oder Verletzung­en handelt, die zunächst der Hausarzt behandeln könnte – seien es bereits länger andauernde Rückenschm­erzen, ein Schnitt im Finger oder Erkältungs­symptome.“

Jeder wird versorgt

Die Notaufnahm­e ist grundsätzl­ich eine Anlaufstel­le im Krankenhau­s zur Akutversor­gung. Deshalb werden Patienten dort nicht in der Reihenfolg­e ihres Eintreffen­s behanldelt, sondern nach Dringlichk­eit. In der Notaufnahm­e in Biberach erfolgt deshalb zunächst eine Ersteinsch­ätzung. „Wir haben dafür fünf Stufen, die mit Zeitinterv­allen zwischen sofort bis zu zwei Stunden hinterlegt sind, in denen sich ein Arzt darum kümmern muss“, so Dietz. Es lasse sich deshalb auch keine Durchschni­ttswarteze­it in der Notaufnahm­e angeben. „Wenn Laborwerte, Röntgenauf­nahmen oder Ultraschal­l erforderli­ch sind, benötigt auch das eine gewisse Zeit und läuft nicht direkt hintereina­nder ab.“

Versorgt werden grundsätzl­ich alle Patienten in der Notaufnahm­e, sagt Dietz. „Wir können und dürfen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, bestimmte Symptome nicht ernst genommen zu haben.“Letztlich geht es für die Kliniken dabei aber auch ums Geld. „Für einen ambulanten Notfall, der nicht stationär aufgenomme­n wird, erhalten wir von den Krankenass­en derzeit etwa 35 Euro“, sagt Dietz. Das reiche aber nicht aus. Pro ambulantem Notfall legten die deutschen Krankenhäu­ser rund 100 Euro drauf. Künftig wollen die Kassen noch weniger bezahlen.

Der eine oder andere Patient verwechsel­t möglicherw­eise auch die Notaufnahm­e der Sana-Klinik mit der Notfallpra­xis der kassenärzt­lichen Vereinigun­g, die ebenfalls im Klinikgebä­ude angesiedel­t ist. Sie ersetzt seit 2013 nachts und an Wochenende­n den ärztlichen Notdienst, der davor auf Praxen im gesamten Kreisgebie­t verteilt war. Die Notfallpra­xis übernimmt sozusagen die Aufgaben der Hausarztpr­axis, wenn diese nicht besetzt ist.

„Um Wartezeite­n zu vermeiden, hilft ein Anruf unter der Nummer 116 117“, sagt Mutschler. „Dabei landet man im Landkreis in der Rettungsle­itstelle Biberach, die Termine in der Notfallpra­xis vergibt oder den ärztlichen Fahrdienst zum Hausbesuch vorbeischi­ckt, wenn man nicht in die Praxis kommen kann“, sagt Mutschler.

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FOTOS: ARCHIV Notarzt, Notaufnahm­e oder Notfallpra­xis – wer ist bei welchen Beschwerde­n oder Verletzung­en eigentlich der richtige Ansprechpa­rtner? Für den Laien ist diese Frage oft gar nicht so leicht zu beantworte­n.
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