Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Therapie mit Glauben und Globuli
Patienten setzen auf Misteln und Kräuter, Mediziner warnen vor unseriösen Methoden
- Globuli, Akupunktur, Misteltherapie: Es gibt mehr als 150 Verfahren, die nicht zur klassischen Schulmedizin zählen. Ihre Wirksamkeit ist oft umstritten, doch viele Patienten schwören darauf. Mittlerweile widmen sich einige Universitäten der Frage, wie alternative Verfahren und klassische Medizin gemeinsam Menschen helfen können. BadenWürttemberg fördert ein Projekt mit 1,2 Millionen Euro.
60 Prozent der Deutschen haben schon einmal homöopathische Mittel genommen. Doch nach heutigem Forschungsstand wirken Globuli nicht besser als Placebos, also Tabletten ohne jeden Wirkstoff. Andererseits gibt es viele Verfahren außerhalb der Schulmedizin, die durchaus helfen.
Ergänzen, nicht ersetzen
„Es gibt ein riesiges Feld von Anwendungen, die oft auch noch abhängig davon variieren, wer sie durchführt“, sagt Professor Dieter Melchart. Er forscht an der TU München zur Komplementärmedizin. Schon im Wort steckt ein Bekenntnis. „Komplementärmedizin heißt: Methoden, welche die klassische Medizin ergänzen – aber eben nicht ersetzen“, sagt der Mediziner.
Im Gegensatz zu vielen alternativen Verfahren müssen schulmedizinische Therapien zunächst erwiesenermaßen beim Patienten wirken, bevor sie flächendeckend angewandt werden dürfen. Deshalb spricht man von evidenzbasierter Medizin – also von Therapien, die aufgrund zahlreicher Studien bei Patienten mit einem bestimmten Krankheitsbild einen erwiesenen Nutzen haben. „Für viele Verfahren der Komplementärmedizin gibt es zwar klinische Studien, häufig aber mit geringen Fallzahlen und unzureichend kontrolliert“, erläutert Professorin Yvonne Samstag vom Akademischen Zentrum für komplementäre und integrative Medizin (Akzim), einem neuen Forschungsverbund in Baden-Württemberg. Der Vorwurf der Schulmedizin an viele Therapeuten: Sie seien oft gar nicht daran interessiert, ihre Methoden zu überprüfen. Stattdessen verteufelten sie Schulmedizin und rieten Patienten, lebenswichtige Medikamente abzusetzen.
Davor warnen Experten ausdrücklich. Es gebe zu viele Therapeuten ohne medizinische Ausbildung, die Heilung versprächen. „Am Leiden besonders Schwerkranker, die an Krebs, HIV oder Multipler Sklerose leiden, bereichern sich unseriöse Therapeuten“, sagt die Medizinjournalistin Christa Federspiel.
Sie empfiehlt, auch bei Heilpraktikern Vorsicht walten zu lassen. Für diese ist in Deutschland kein einheitlicher Ausbildungsgang vorgeschrieben. Sie müssen eine Prüfung ablegen – die sie aber beliebig oft wiederholen können. „Sie haben auch nie gelernt, Diagnosen zu stellen“, warnt Federspiel. Wer behaupte, mithilfe von Pendeln, Kinesiologie oder Irisdiagnostik Krankheiten erkennen zu können, „ist ein Scharlatan, dafür gibt es keinen belastbaren Nachweis“.
Vorsicht vor Scharlatanen
Heilpraktiker wenden einen Großteil der komplementären Verfahren an, auch wenn es viele Ärzte gibt, die eine Weiterbildung in Naturheilkunde haben. „Man muss darauf achten, ob Therapeuten ihre Verfahren als Ersatz zu schulmedizinischen Behandlungen anpreisen“, sagt Melchart. Zu oft würde selbst Schwerstkranken weisgemacht, mit Pflanzenheilkunde oder Globuli ließen sich ihre Krankheiten heilen. Das sei aber nie der Fall. Außerdem sollten sich Patienten einen Therapieplan zeigen lassen, der Ziel, Dauer und Kosten der Behandlung klar benennt. Eine Begleitung durch einen Arzt macht Sinn.
„Dennoch ist es ja durchaus berechtigt, wenn Patienten auf Mittel setzen, die ihnen subjektiv helfen und Nebenwirkungen vermeiden, die durch möglicherweise gar nicht indizierte schulmedizinische Medikamente ausgelöst werden“, sagt Melchart. Außerdem gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass nicht nur die Schulmedizin Leiden lindern oder die Genesung unterstützen kann. Pflanzliche Mittel verstärken die Wirkung von Chemotherapien. Patienten mit chronischen Rückenschmerzen profitieren mehr von Akupunktur als von herkömmlichen Therapien, Johanniskraut kann Depressionen mildern.
Forschungsdefizit beheben
Ein Problem: „In Deutschland basiert Forschung dazu bisher weitestgehend auf Einzelinitiativen und wird fast ausschließlich über Stiftungsgelder finanziert“, so Professorin Samstag. Im Land wurde deshalb in diesem Jahr das Akademische Zentrum für komplementäre und integrative Medizin gegründet. Darin erforschen Wissenschaftler der Unikliniken in Tübingen, Ulm, Heidelberg und Freiburg komplementäre Verfahren – und legen dazu Kriterien an, die für schulmedizinische Therapien gelten.
Sie wollen ihre Erkenntnisse in die Aus- und Weiterbildung junger Ärzte einfließen lassen. Denn, so Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne): „Im Zusammenwirken von konventioneller und Komplementärmedizin liegt gewaltiges Potential – für die Medizin und die Behandlung kranker Menschen.“ In der Gesundheitsserie „Von Leib und Seele“lesen Sie, was Sie selbst machen können, um gesund zu bleiben. Zudem erfahren Sie von neuen in der Medizin und bei der Therapie von Krankheiten. Alle Serienteile finden Sie unter