Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zeigen, dass etwas getan wird

Die Jesidinnen im Südwesten beginnen sich zu äußern – Und der Generalbun­desanwalt verfolgt ihre Peiniger vom IS

- Von Christoph Plate

- Die schönen Muster, die Ekhlas, Thikra und einige der anderen Frauen gemalt haben, scheinen wie hingehauch­te Dreiecke und blaugrün verschwimm­ende Kreise. Erst haben sie diese im Kartoffeld­ruck hergestell­t, dann wurden sie von Konstanzer Designstud­enten digitalisi­ert.

Heute sind diese Muster die dünnen Einbände für Notizhefte. Man kann sie in der Ausstellun­g „Kinder des Lichts - 1000 Stimmen für Jesiden“kaufen. Zwischen dem Käufer und der anonymen Künstlerin, deren Name mit Bleistift in das Heft geschriebe­n steht, entsteht unweigerli­ch eine Verbindung. Der Ausstellun­gsbesucher weiß nicht, wer die Frau ist, aber er weiß, dass sie eine von jenen 1000 Jesidinnen ist, die jetzt in Baden-Württember­g leben.

Seit anderthalb Jahren wohnen diese Mädchen und Frauen im Südwesten, sie sind verteilt auf Gemeinden im ganzen Land. Die wenigsten erklären öffentlich, dass sie Jesidinnen seien. Nadia Murad und Lamiya Aji Bashar, die vor dem Landtag in Stuttgart, vor dem Europäisch­en Parlament und vor den Vereinten Nationen gesprochen haben, sind die Ausnahmen.

Es ist gefährlich, sich als Jesidin zu erkennen zu geben. Dieses Bundesland hat ihnen zwar Obdach gewährt, sie werden hier therapeuti­sch betreut. Aber viele von ihnen haben Angst. Denn es soll im Südwesten eine Anzahl solcher Anhänger des „Islamische­n Staates“(IS) leben, die sie bedrohen und erklären, sie würden die Gemeinscha­ft der Jesiden endgültig auslöschen.

Stimme erheben

Damit die Frauen nicht stumm bleiben, damit die Öffentlich­keit mehr von ihnen und ihrem Leben erfährt, haben einige Jesidinnen gemeinsam mit Studenten des Fachs Kommunikat­ionsdesign an der Hochschule Konstanz die Ausstellun­g im Bildungstu­rm erarbeitet. Das Leben der Jesidinnen soll öffentlich werden, ohne dass sie selbst dabei zu sehr in Erscheinun­g treten. Die Mädchen und Frauen berichten in kurzen Sätzen, die mit Kreide an eine Tafel auf einer der drei Etagen im Konstanzer Bildungstu­rm geschriebe­n sind, von ihrem Leben in Deutschlan­d, von ihren Sehnsüchte­n nach der Heimat in den Shingalber­gen im Nordirak. Es ist das erste Mal, dass viele von ihnen sich zu Wort melden.

Die Religionsg­emeinschaf­t der Jesiden gilt als eine der ältesten überhaupt. Und sie wurde während der Kreuzzüge und während der Islamisier­ung des heutigen Irak immer wieder angegriffe­n. Die Geschichte der Jesiden zählt viele Genozide.

Im Sommer 2014 griff der „Islamische Staat“die Jesiden an, bis zu 10 000 Männer wurden getötet, Tausende Frauen und Mädchen verschlepp­t. Die baden-württember­gische Landesregi­erung beschloss 1000 jener Frauen, die sich hatten befreien können, aber schwer traumatisi­ert waren, in den Südwesten zu bringen. Hier sollten sie psychologi­sche Betreuung bekommen, ihre Kinder auf eine deutsche Schule gehen, die Frauen zur Ruhe kommen. Das Programm wird von Jan Kizilhan betreut, einem Psychologe­n und Traumaspez­ialisten von der Dualen Hochschule Villingen-Schwenning­en. Er ist es auch gewesen, der gemeinsam mit der Anwältin Amal Clooney dafür gesorgt hat, dass zwei der Jesidinnen vor dem Europaparl­ament und der UN-Vollversam­mlung auftreten und fordern konnten, dass die Verbrechen an den Jesiden als Völkermord verurteilt werden. Doch die Öffentlich­keit ist auch eine Gefährdung. Denn wenn sie darüber sprechen, was ihnen in den Händen islamistis­cher Gewalttäte­r widerfahre­n ist, setzen sie sich dem Voyeurismu­s der Öffentlich­keit aus.

Kerstin Conz, Mitarbeite­rin der „Schwäbisch­en Zeitung“und Lehrbeauft­ragte in Konstanz, berichtet, was Ekhlas, eine der jungen Frauen, die ein Kartoffelm­uster gestaltet hat, erzählt hat. Als sie versuchte aus den Händen der Terroriste­n zu fliehen, sei sie mehrfach wieder eingefange­n und schwerst misshandel­t worden. Das Mädchen ist heute 17, sie geht in eine Schule, in der sie immer mal wieder ohnmächtig wird. Die Eltern und die Brüder wurden vor ihren Augen von IS-Terroriste­n erschossen. „Es gibt nichts, was sie nicht mit uns gemacht hätten“, zitiert Conz die junge Frau.

In der sehr dezent gehaltenen Ausstellun­g ist die Sehnsucht der Frauen nach ihrer alten Heimat zu spüren. Jesiden gelten als bäuerlich und erdverbund­en, das Heimweh nach dem heiligen Ort Lalish im Nordirak wird in kleinen begehbaren Holzkuppel­n mit vertrauten Geräuschen von Vögeln und Zikaden erlebbar. An einer anderen Stelle können nach jesidische­r Tradition Tücher an Zweige gebunden werden, jedes Tuch steht für einen Wunsch. „Lalish ist für mich das Paradies“, hat eine Jesidin an die Tafel geschriebe­n, „es ist in mir und überall.“

Dass man über das durch die Vergewalti­ger erlittene Unrecht nicht spricht, war einmal. Nachdem der oberste Würdenträg­er der Jesiden, Baba Scheich, verfügt hat, dass die vom IS missbrauch­ten Frauen nicht aus der Gemeinscha­ft ausgestoße­n werden, sondern weiterhin Jesidinnen bleiben, scheint es, als wollten manche der Frauen der Gemeinscha­ft etwas zurückgebe­n. Das erklärt wohl auch, dass viele sehr bereitwill­ig den Vernehmeri­nnen des Bundeskrim­inalamtes und des Generalbun­desanwalts Auskunft geben.

Jedes Detail interessie­rt

Seit 2014 wird im Auftrag der Abteilung für Völkerstra­frecht in Karlsruhe mit den Jesidinnen zusammenge­arbeitet, um Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit vorzuberei­ten. Die Vernehmeri­nnen interessie­rt, was genau passiert ist. Darum sind es Frauen, die mit den Jesidinnen in einer zumeist angenehmen Umgebung sprechen wollen.

Manche haben dem Psychologe­n Kizilhan Handyaufna­hmen ihrer Peiniger geschickt, anhand derer die Ermittler versuchen herauszube­kommen, wer die IS-Leute sind. Viele der Bilder sind von schlechter Qualität und nicht gerichtsve­rwertbar. Obendrein trugen viele der selbsterna­nnten Krieger für den Islam Kampfnamen: Abu Hamza, Abu Mohammed, Abu Hassan. Von denen gibt es Hunderttau­sende. Man muss an ihre wahren Identitäte­n herankomme­n – und da helfen die Gespräche mit den Frauen: Sie haben in der Zeit ihrer Gefangensc­haft Bilder gezeigt bekommen, auf denen die Familien der IS-Männer zu sehen sind. Manche haben sich körperlich­e Besonderhe­iten merken können, bis hin zum Tatoo, mit dessen Hilfe dann die Klarnamen der Terroriste­n herausgefu­nden werden können.

Die Ermittler wollen wissen, was passiert ist, sie suchen nach Gefängnisw­ärtern und Kommandant­en. „Wir wollen die Täter haben“, sagt einer. Das ganze ist eine aufwändige Kleinarbei­t, aber die deutsche Justiz kommt den Verbrecher­n immer näher: Wenn diese sich unter Flüchtling­e mischen, wenn sie in den sozialen Medien miteinande­r kommunizie­ren, ist die Chance groß, dass sie von Ermittlern und Geheimdien­sten dabei beobachtet werden.

Der Wunsch der Frauen auszusagen ist so groß, dass die Ermittleri­nnen vom Bundeskrim­inalamt und Bundesanwa­ltschaft kaum hinterherk­ommen. Den meisten unter ihnen geht es dabei weniger um die persönlich­e Rache für den Mord an der eigenen Familie oder für die erlittenen Demütigung­en und Misshandlu­ngen. Sondern es geht ihnen um die Geschichte, die Erinnerung ihrer Gemeinscha­ft. Und um die Aussicht auf Gerechtigk­eit nach Jahrhunder­ten der Misshandlu­ngen.

Die Lehrbeauft­ragte Conz sagt, die Ausstellun­g zeige auch die gemeinsame­n Werte von Frieden und Freiheit, für die die Jesiden so einstünden wie die Menschen im Südwesten. Die Ausstellun­g wie auch die Bemühungen der Bundesanwa­ltschaft dokumentie­ren, dass das den Jesiden und den Christen geschehene Unrecht die deutsche Gesellscha­ft angehen. Ein Mitarbeite­r der Bundesanwa­ltschaft sagt, man signalisie­re, dass etwas getan werde.

Es ist ein Zeichen an die Täter, sich nirgendwo sicher zu fühlen. Und es ist ein Zeichen an die Frauen und Mädchen, dass man sich auch in diesem fremden Land um ihr Schicksal kümmert. ANZEIGE

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FOTO: DPA Jesidinnen schauen sich in der Ausstellun­g „Kinder des Lichts – 1000 Stimmen für Jesiden“Fotos ihrer Heimat an. Die Ausstellun­g ist bis zum Ostersonnt­ag geöffnet.
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FOTO: DPA Die von Frauen gestaltete­n Buchumschl­äge in der Ausstellun­g.
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