Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Zeigen, dass etwas getan wird
Die Jesidinnen im Südwesten beginnen sich zu äußern – Und der Generalbundesanwalt verfolgt ihre Peiniger vom IS
- Die schönen Muster, die Ekhlas, Thikra und einige der anderen Frauen gemalt haben, scheinen wie hingehauchte Dreiecke und blaugrün verschwimmende Kreise. Erst haben sie diese im Kartoffeldruck hergestellt, dann wurden sie von Konstanzer Designstudenten digitalisiert.
Heute sind diese Muster die dünnen Einbände für Notizhefte. Man kann sie in der Ausstellung „Kinder des Lichts - 1000 Stimmen für Jesiden“kaufen. Zwischen dem Käufer und der anonymen Künstlerin, deren Name mit Bleistift in das Heft geschrieben steht, entsteht unweigerlich eine Verbindung. Der Ausstellungsbesucher weiß nicht, wer die Frau ist, aber er weiß, dass sie eine von jenen 1000 Jesidinnen ist, die jetzt in Baden-Württemberg leben.
Seit anderthalb Jahren wohnen diese Mädchen und Frauen im Südwesten, sie sind verteilt auf Gemeinden im ganzen Land. Die wenigsten erklären öffentlich, dass sie Jesidinnen seien. Nadia Murad und Lamiya Aji Bashar, die vor dem Landtag in Stuttgart, vor dem Europäischen Parlament und vor den Vereinten Nationen gesprochen haben, sind die Ausnahmen.
Es ist gefährlich, sich als Jesidin zu erkennen zu geben. Dieses Bundesland hat ihnen zwar Obdach gewährt, sie werden hier therapeutisch betreut. Aber viele von ihnen haben Angst. Denn es soll im Südwesten eine Anzahl solcher Anhänger des „Islamischen Staates“(IS) leben, die sie bedrohen und erklären, sie würden die Gemeinschaft der Jesiden endgültig auslöschen.
Stimme erheben
Damit die Frauen nicht stumm bleiben, damit die Öffentlichkeit mehr von ihnen und ihrem Leben erfährt, haben einige Jesidinnen gemeinsam mit Studenten des Fachs Kommunikationsdesign an der Hochschule Konstanz die Ausstellung im Bildungsturm erarbeitet. Das Leben der Jesidinnen soll öffentlich werden, ohne dass sie selbst dabei zu sehr in Erscheinung treten. Die Mädchen und Frauen berichten in kurzen Sätzen, die mit Kreide an eine Tafel auf einer der drei Etagen im Konstanzer Bildungsturm geschrieben sind, von ihrem Leben in Deutschland, von ihren Sehnsüchten nach der Heimat in den Shingalbergen im Nordirak. Es ist das erste Mal, dass viele von ihnen sich zu Wort melden.
Die Religionsgemeinschaft der Jesiden gilt als eine der ältesten überhaupt. Und sie wurde während der Kreuzzüge und während der Islamisierung des heutigen Irak immer wieder angegriffen. Die Geschichte der Jesiden zählt viele Genozide.
Im Sommer 2014 griff der „Islamische Staat“die Jesiden an, bis zu 10 000 Männer wurden getötet, Tausende Frauen und Mädchen verschleppt. Die baden-württembergische Landesregierung beschloss 1000 jener Frauen, die sich hatten befreien können, aber schwer traumatisiert waren, in den Südwesten zu bringen. Hier sollten sie psychologische Betreuung bekommen, ihre Kinder auf eine deutsche Schule gehen, die Frauen zur Ruhe kommen. Das Programm wird von Jan Kizilhan betreut, einem Psychologen und Traumaspezialisten von der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen. Er ist es auch gewesen, der gemeinsam mit der Anwältin Amal Clooney dafür gesorgt hat, dass zwei der Jesidinnen vor dem Europaparlament und der UN-Vollversammlung auftreten und fordern konnten, dass die Verbrechen an den Jesiden als Völkermord verurteilt werden. Doch die Öffentlichkeit ist auch eine Gefährdung. Denn wenn sie darüber sprechen, was ihnen in den Händen islamistischer Gewalttäter widerfahren ist, setzen sie sich dem Voyeurismus der Öffentlichkeit aus.
Kerstin Conz, Mitarbeiterin der „Schwäbischen Zeitung“und Lehrbeauftragte in Konstanz, berichtet, was Ekhlas, eine der jungen Frauen, die ein Kartoffelmuster gestaltet hat, erzählt hat. Als sie versuchte aus den Händen der Terroristen zu fliehen, sei sie mehrfach wieder eingefangen und schwerst misshandelt worden. Das Mädchen ist heute 17, sie geht in eine Schule, in der sie immer mal wieder ohnmächtig wird. Die Eltern und die Brüder wurden vor ihren Augen von IS-Terroristen erschossen. „Es gibt nichts, was sie nicht mit uns gemacht hätten“, zitiert Conz die junge Frau.
In der sehr dezent gehaltenen Ausstellung ist die Sehnsucht der Frauen nach ihrer alten Heimat zu spüren. Jesiden gelten als bäuerlich und erdverbunden, das Heimweh nach dem heiligen Ort Lalish im Nordirak wird in kleinen begehbaren Holzkuppeln mit vertrauten Geräuschen von Vögeln und Zikaden erlebbar. An einer anderen Stelle können nach jesidischer Tradition Tücher an Zweige gebunden werden, jedes Tuch steht für einen Wunsch. „Lalish ist für mich das Paradies“, hat eine Jesidin an die Tafel geschrieben, „es ist in mir und überall.“
Dass man über das durch die Vergewaltiger erlittene Unrecht nicht spricht, war einmal. Nachdem der oberste Würdenträger der Jesiden, Baba Scheich, verfügt hat, dass die vom IS missbrauchten Frauen nicht aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden, sondern weiterhin Jesidinnen bleiben, scheint es, als wollten manche der Frauen der Gemeinschaft etwas zurückgeben. Das erklärt wohl auch, dass viele sehr bereitwillig den Vernehmerinnen des Bundeskriminalamtes und des Generalbundesanwalts Auskunft geben.
Jedes Detail interessiert
Seit 2014 wird im Auftrag der Abteilung für Völkerstrafrecht in Karlsruhe mit den Jesidinnen zusammengearbeitet, um Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorzubereiten. Die Vernehmerinnen interessiert, was genau passiert ist. Darum sind es Frauen, die mit den Jesidinnen in einer zumeist angenehmen Umgebung sprechen wollen.
Manche haben dem Psychologen Kizilhan Handyaufnahmen ihrer Peiniger geschickt, anhand derer die Ermittler versuchen herauszubekommen, wer die IS-Leute sind. Viele der Bilder sind von schlechter Qualität und nicht gerichtsverwertbar. Obendrein trugen viele der selbsternannten Krieger für den Islam Kampfnamen: Abu Hamza, Abu Mohammed, Abu Hassan. Von denen gibt es Hunderttausende. Man muss an ihre wahren Identitäten herankommen – und da helfen die Gespräche mit den Frauen: Sie haben in der Zeit ihrer Gefangenschaft Bilder gezeigt bekommen, auf denen die Familien der IS-Männer zu sehen sind. Manche haben sich körperliche Besonderheiten merken können, bis hin zum Tatoo, mit dessen Hilfe dann die Klarnamen der Terroristen herausgefunden werden können.
Die Ermittler wollen wissen, was passiert ist, sie suchen nach Gefängniswärtern und Kommandanten. „Wir wollen die Täter haben“, sagt einer. Das ganze ist eine aufwändige Kleinarbeit, aber die deutsche Justiz kommt den Verbrechern immer näher: Wenn diese sich unter Flüchtlinge mischen, wenn sie in den sozialen Medien miteinander kommunizieren, ist die Chance groß, dass sie von Ermittlern und Geheimdiensten dabei beobachtet werden.
Der Wunsch der Frauen auszusagen ist so groß, dass die Ermittlerinnen vom Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft kaum hinterherkommen. Den meisten unter ihnen geht es dabei weniger um die persönliche Rache für den Mord an der eigenen Familie oder für die erlittenen Demütigungen und Misshandlungen. Sondern es geht ihnen um die Geschichte, die Erinnerung ihrer Gemeinschaft. Und um die Aussicht auf Gerechtigkeit nach Jahrhunderten der Misshandlungen.
Die Lehrbeauftragte Conz sagt, die Ausstellung zeige auch die gemeinsamen Werte von Frieden und Freiheit, für die die Jesiden so einstünden wie die Menschen im Südwesten. Die Ausstellung wie auch die Bemühungen der Bundesanwaltschaft dokumentieren, dass das den Jesiden und den Christen geschehene Unrecht die deutsche Gesellschaft angehen. Ein Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft sagt, man signalisiere, dass etwas getan werde.
Es ist ein Zeichen an die Täter, sich nirgendwo sicher zu fühlen. Und es ist ein Zeichen an die Frauen und Mädchen, dass man sich auch in diesem fremden Land um ihr Schicksal kümmert. ANZEIGE