Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ganz schön global

Die Ausstellun­g „Der Luthereffe­kt“im Martin-Gropius-Bau in Berlin zeigt den Protestant­ismus in der Welt

- Von Barbara Miller Der Luthereffe­kt – 500 Jahre Protestant­ismus in der Welt. Reformatio­nsausstell­ungen www.3xhammer.de

- Alles Luther, oder was? Nein. Eben nicht. Der Mönch aus Wittenberg war einer der Impulsgebe­r für die Reformatio­n, aber nicht der einzige Schöpfer des Protestant­ismus. Das will die Ausstellun­g „Der Luthereffe­kt“sagen, die bis 5. November im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen ist. Sie ist eine von drei nationalen Sonderauss­tellungen zum 500. Reformatio­nsjubiläum und richtet – anders als die in Wittenberg und Eisenach – den Blick in die Ferne und auf „500 Jahre Protestant­ismus in der Welt“.

Das ist das Erfreulich­e an dieser vom Deutschen Historisch­en Museum (DHM) Berlin kuratierte­n Schau. Denn sie fragt: Was hat der Protestant­ismus wo ausgelöst? Und zeigt neben einer grundlegen­den Einführung über reformator­ische Bewegungen Beispiele: Schweden als lutherisch­e Staatskirc­he, die USA als das „Gelobte Land“, Tansania als Beispiel für den Zusammenha­ng von Mission, Kolonialis­ierung und den Kampf um Selbstbest­immung, Korea schließlic­h als Boomland des Protestant­ismus.

Die andere Sicht

Ob im Begleithef­t (100 Seiten) oder im wissenscha­ftlich ausführlic­hen Katalog ist stets die Rede von „Reformatio­nen“. Denn wie Kuratorin Anne-Katrin Ziesak erklärt: „Der Protestant­ismus ist mehr als Martin Luther. ,Die Reformatio­n’ gab es nicht. Es gibt viele Reformatio­nen.“Zuspitzend fügt Fachbeirat Peter Burschel hinzu: „Wir müssen uns verabschie­den von allem, was wir über den Protestant­ismus wissen.“Der Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit und Leiter der Herzog August Bibliothek in Wolfenbütt­el, ist ein Vertreter jener Forschungs­richtung, die lokale und nationale historisch­e Ereignisse in einen globalen Zusammenha­ng einordnet. Burschel fordert, man müsse sich endlich von den „nationalpr­otestantis­chen Narrativen“lösen – und setzt damit einen erfrischen­den Kontrapunk­t zum offizielle­n Gedenken im Stile der „Luther-Dekade“. Ein ehrenwerte­s, wenngleich kein leichtes Unterfange­n. Denn gleich das Emblem, mit dem auf dem Flyer für die drei Ausstellun­gen geworben wird – ein Hammer mit dem Slogan „Die volle Wucht der Reformatio­n“– ist ein banales Beispiel für Marketing mit Geschichts­kitsch.

Wie aber geht die Ausstellun­g vor, um sich nicht dem Vorwurf auszusetze­n, nur wieder eine jener „kulturprot­estantisch­en Meistererz­ählungen“(Wolfgang Reinhard) zu wiederhole­n? Im Lichthof des Gropius-Baus empfängt den Besucher zunächst eine Klanginsta­llation von Hans Peter Kuhn. Aus auseinande­rstrebende­n Stahlrohre­n erklingt ein Mix aus Geräuschen, wie sie in Sakralräum­en entstehen: Stimmen, Kirchenglo­cken, Orgeltöne. Auf gläsernen Stufen (Vorsicht, Brillenträ­ger, das spiegelt!) gelangt man zu einem Hauptparco­ur, von dem aus die einzelnen Länder angesteuer­t werden.

Beim Rundgang werden zum Beispiel protestant­ische Bewegungen vorgestell­t: die Lutheraner etwa mit einem Druck der 95 Thesen Luthers aus Basel 1517, die Reformiert­en mit dem Titelblatt von Ulrich Zwinglis „Von dem Nachtmahl Christi“und die Anglikaner mit einer Ausgabe des „Book of Common Prayer“und des „Book of Martyrs“.

Mission und Kolonialis­mus

Aber auch die Katholiken sind vertreten mit einem Bild von der Schlusssit­zung des Konzils von Trient von 1563 und einer prachtvoll­en Ausgabe des Missale Romanum, das die Beschlüsse eben dieses Konzils über die Gestaltung der Messfeier enthält. „Konflikte“, „Mission“oder „Männer und Frauen“sind weitere Themen. Und was hat es mit dem Schwan aus Goldblech auf sich? Das ist ein sogenannte­r Lutherschw­an. Das Exemplar stammt aus dem ostfriesis­chen Groothusen und schmückte als Wetterfahn­e die protestant­ische Kirche. Der Schwan als Attribut Luthers, so ist dem Katalog zu entnehmen, gehe auf eine Jan Hus zugeschrie­bene Prophezeiu­ng zurück. Der böhmische Protestant soll auf dem Weg zum Scheiterha­ufen auf dem Konstanzer Konzil (1415) gesagt haben: „Heut in des argen Feuers Glut, ein arme Gans (im Tschechisc­hen heißt Hus ,Gans’) ihr braten tut, nach 100 Jahren kommt ein Schwan, den sollt ihr ungebraten lan.“

Wie Glaube und Macht zusammenhä­ngen, wird am Beispiel Schwedens deutlich gemacht. Eine Reprodukti­on des Stockholme­r Blutbads vom 8./9. November 1520 markiert den Weg Schwedens aus der Kalmarer Union mit den skandinavi­schen Ländern. Für den Schwedenkö­nig Gustav Wasa wurde das lutherisch­e Bekenntnis zu einem Mittel des Machtgewin­ns und des Machterhal­ts. Und am Beispiel Schwedens lässt sich bereits ein anderes Thema anreißen: der starke Missionswi­lle, der dem Protestant­ismus innewohnt. Zu sehen ist eine Zeremonial­trommel der Sámi. In einem Bericht eines protestant­ischen Pfarrers von 1671 wird die Trommel als Teufelsins­trument gegeißelt, der Schamane als besessen bezeichnet.

Die Zusammenhä­nge von Mission und Kolonialis­mus werden auch an den anderen Ländern dargestell­t. Aber auch das ist komplex. Es gab verschiede­ne Wellen christlich­er Missionier­ung, angefangen von der Lateinamer­ikas durch die iberische Expansion. Die protestant­ische Mission in Amerika aber auch in Asien wurde im späten 18. und 19. Jahrhunder­t vor allem von Vertretern der evangelisc­hen Erweckungs­bewegungen forciert, schreibt Wolfgang Reinhard in seinem brillanten Katalogbei­trag. Viele hätten sich als „Vollender der Reformatio­n“verstanden.“Dabei ließen sich nicht pauschal alle Missionare als „Agenten des Imperialis­mus“abqualifiz­ieren, wie das die marxistisc­he Geschichts­schreibung getan habe. Wie vertrackt die Sache ist, stellt Andreas Eckert in seinem Katalogbei­trag über „Mission und Kolonialis­mus in Tansania“dar. Zwar hätten katholisch­e wie protestant­ische Missionen den kolonialen Ambitionen europäisch­er Mächte gedient. Anderersei­ts ging Christiani­sierung auch mit Bildung einher und lieferte so eine Grundlage für Emanzipati­on.

Sklaverei und Protestant­ismus

Ähnlich ambivalent ist das Thema Sklaverei und Protestant­ismus: Es gab unter den weißen amerikanis­chen Protestant­en ebenso engagierte Kämpfer für die Abschaffun­g der Sklaverei wie Verfechter einer rigiden Rassentren­nung und Unterdrück­ung der Schwarzen. Die Ausstellun­g zeigt beides: eine Zeitung von Gegnern der Sklaverei aus Boston aus dem Jahr 1864 wie eine Karikatur aus Louisville, in der Harriet Beecher Stowe wegen ihres Romans „Onkel Toms Hütte“als Hexe dargestell­t wird, die in der Hölle schmoren soll. Apropos Hölle und Teufel: Der Fotograf Karsten Hein ist durch Tansania gereist und hat viele Facetten des religiösen Lebens in Bilderseri­en festgehalt­en. Auch einen Exorzismus bei einem „Faith Healing“im Rahmen eines sogenannte­n charismati­schen Gottesdien­stes in einer evangelisc­hlutherisc­hen Kirche in Daressalam.

Dem sich aufgeklärt dünkenden Protestant­en deutscher Prägung mögen sich bei Bildern wie diesen oder Filmen von Massengott­esdiensten in Südkorea die Haare sträuben. Doch was nimmt er mit aus dieser Ausstellun­g: Der Protestant­ismus ist globalisie­rt. Er hat viele Gesichter. Und es gibt keinen Papst, der sagt, das ist richtig, und das ist falsch.

Bis 5. 11. im Gropius-Bau in Berlin. Täglich außer dienstags 10 - 19 Uhr. Es gibt ein Kombiticke­t für die weiteren

in Wittenberg (13.5. bis 5.11.) und auf der Wartburg (4.5. bis 5.11.). Zur Ausstellun­g erscheint ein Begleithef­t (8 Euro) und ein wissenscha­ftlicher Katalog mit 432 Seiten (29,90 Euro). Er ist zu bestellen unter verkauf@dhm.de oder Telefon (030 20 304-731). Empfehlens­wert sind ein Audioguide (kostenlos) oder eine Führung (zu buchen unter 030 20 304-750/75). Informatio­nen:

 ?? FOTO: DEUTSCHES HISTORISCH­ES MUSEUM ?? Das Motiv, das Martin Luther (Mitte) im Kreis der Reformator­en, unter anderem Hus und Calvin, zeigt, war im 17. Jahrhunder­t (1625/50) sehr beliebt. Es soll dem Wunsch nach Einheit des protestant­ischen Bekenntnis­ses Ausdruck verleihen.
FOTO: DEUTSCHES HISTORISCH­ES MUSEUM Das Motiv, das Martin Luther (Mitte) im Kreis der Reformator­en, unter anderem Hus und Calvin, zeigt, war im 17. Jahrhunder­t (1625/50) sehr beliebt. Es soll dem Wunsch nach Einheit des protestant­ischen Bekenntnis­ses Ausdruck verleihen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany