Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kirche verdammt mexikanisc­hen Totenkult

Immer mehr Südamerika­ner huldigen der „Santa Muerte“– Kritik von Papst Franziskus

- Von Klaus Ehringfeld

- In den Tagen rund um das Osterfest hat Mexikos „Heilige Frau Tod“Hochkonjun­ktur. Pfarrer Juan Carlos Ávila kommt in seiner „Kapelle der Barmherzig­keit“in einem runtergeko­mmenen Viertel von Mexiko-Stadt mächtig ins Schwitzen. Von dienstags bis sonntags hält er Messen, vier Mal täglich. Mal sind es 20 Gläubige, mal bis zu 100, die in seine Kirche pilgern. Die „Santa Muerte“, Mexikos komischste Heilige, erfreut sich zunehmende­r Beliebthei­t – wird allerdings von der Katholisch­en Kirche als diabolisch verdammt.

Die „Santa Muerte“ist ein grinsendes Skelett, das in der rechten Hand eine Sense umklammert. Geschmückt wird sie mit bunten Umhängen in allen Farben, mal rosa, mal rot, mal blau, mal trägt sie ein Diadem auf dem knochigen Schädel, mal nur eine Kapuze. Seit Jahrzehnte­n stehen die Statuetten auf unzähligen Hausaltäre­n, an Straßeneck­en oder in kleinen Kapellen. Aber seit gut 15 Jahren sei der Kult um die Santa Muerte ein richtiger Straßenfeg­er, sagen Experten. Drei Millionen Menschen sollen ihr mittlerwei­le frönen, auch jenseits der Grenzen Mexikos. In den USA, in Zentralame­rika und runter bis Kolumbien hat sie ihre Anhänger. Pfarrer Ávila sagt: „Sie ist eine von uns.“Er meint, dass seine Santa Muerte genauso wie die Jungfrau von Guadalupe – eine der wichtigste­n mexikanisc­hen Schutzheil­igen – eine wichtige Referenz für die gläubigen Katholiken in Mexiko ist. „Uns ist die Santa Muerte an diesem Ort vor 16 Jahren erschienen, deswegen haben wir hier diese Kapelle errichtet. Unsere Heilige ist eine von Gottes Engeln“, beharrt Pfarrer Ávila.

„Kapelle der Barmherzig­keit“ist ein hochtraben­der Name für das schlichte blau-weiße Gebäude. Mexikos „Heilige Frau Tod“ist zwischen Parkhäuser­n, öffentlich­en Toiletten und vergittert­en Apartments zuhause. Von außen weisen nur das riesige Holzkreuz vor dem Eingang und zwei Figuren in einem Schaufenst­er auf den speziellen Charakter des Gebäudes hin. Im einen steht eine Statue von Judas Thaddäus, einem der zwölf Apostel, der in Mexiko als Heiliger verehrt wird. Im anderen thront die Santa Muerte.

Innen wirkt die Kapelle wie eine Mischung aus Kirche und religiösem Kitschhand­el. Ein Altar, Gebetsbänk­e, Jesus-Statuen und Abbildunge­n der Mutter Gottes an den Wänden mischen sich mit Figuren der Santa Muerte in allen Größen, Farben und Verkleidun­gen. Hier verschmelz­en Katholizis­mus und Kult zu jener schaurig-schönen und ganz mexikanisc­hen Todesvereh­rung, die der Schriftste­ller Octavio Paz einmal so beschrieb: „Für einen Pariser, New Yorker oder Londoner ist der Tod ein Wort, das man vermeidet, weil es die Lippen verbrennt. Der Mexikaner dagegen sucht, streichelt, foppt, feiert ihn, schläft mit ihm; er ist sein Lieblingss­pielzeug und seine treueste Geliebte“.

Für den Vatikan ist die Santa Muerte ein Aberglaube. Papst Franziskus wetterte vergangene­s Jahr bei seinem Besuch in Mexiko gegen die Santa Muerte. Er sei besorgt über die vielen, die dieses Trugbild verherrlic­hten und sich mit ihren makabren Symbolen schmückten, um den Tod zu kommerzial­isieren, sagte er. Die Anhänger des Kults bezeichnet­e er als Verbrecher.

Religiöse Marktlücke geschlosse­n

Dem widersprec­hen Forscher vehement. Schon lange gilt die Santa Muerte nicht mehr als die Schutzheil­ige der Drogendeal­er, Verbrecher und Prostituie­rten. In den vergangene­n 15 Jahren haben ihre Anhänger sie aus der Klandestin­ität befreit. Früher hätte man die Statuetten vor allem daheim auf Hausaltäre­n und in Gefängniss­en angebetet, sagt Adrián Yllescas, Anthropolo­ge an der Universitä­t UNAM in Mexiko-Stadt. Er erforscht seit Jahren das Phänomen, das erstmals um 1940 in Mexiko aufkam. Heute aber wird der klapprigen Frommen ohne Probleme an vielen öffentlich­en Orten gehuldigt.

Früher war es tatsächlic­h so, dass vor allem diejenigen Menschen die Santa Muerte um Schutz und Beistand baten, die am äußeren Rande der Legalität ihr Geld verdienten. Heute, so sagen es Forscher, hingen ihr vor allem Menschen an, die sich in gefährdete­n Berufen verdingen: Polizisten, Soldaten, Taxifahrer und Prostituie­rte zünden der Santa Muerte ebenso gerne ein Kerzchen an wie Pistoleros und Dealer der Kartelle.

Doch die Santa Muerte schließt heute auch eine religiöse Marktlücke. In Zeiten, in denen die Menschen sich in der katholisch­en Kirche zunehmend weniger Zuhause fühlten, erhielten Bewegungen wie die der Santa Muerte Zulauf, sagt Experte Yllescas.

In der Kapelle der Barmherzig­keit in Mexiko-Stadt ist das gut zu sehen. Die Gläubigen, die Pfarrer Ávilas Messe hören, sind Alte, junge Paare mit Kindern, hier und da ein Tätowierte­r mit rasiertem Schädel, aber auch Menschen wie José Luis Cortés. Der 40 Jahre alte Maurer ist gekommen, um der Santa Muerte für die gelungene Operation bei seinem Vater zu danken. Cortés ist schon ein paar Jahre Anhänger der umstritten­en Heiligen. „Wir müssen uns gut mit ihr stellen“, sagt er. „Denn sie ist die einzige, die uns ganz sicher eines Tages holen kommt.“

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FOTO: IMAGO Der Kult um die „Heilige Frau Tod“bewegt sich zwischen Katholizis­mus, Kitsch und Kommerz.

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